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Rückgang der Kapitalmarktaktivität in Europa bremst das Neugeschäft der Ratingagenturen
Von Dr. Oliver Everling | 9.Juli 2025
Im ersten Halbjahr 2025 wurden laut Daten von LSEG Deals Intelligence in Europa schätzungsweise 13,4 Milliarden US-Dollar an Investmentbanking-Provisionen generiert. Das entspricht einem Rückgang von 11 % gegenüber dem Vorjahr, liegt aber über den Werten aus den ersten sechs Monaten der Jahre 2023 und 2022. Die Provisionen aus der Platzierung von Anleihen (Debt Capital Markets) beliefen sich auf 5,8 Milliarden US-Dollar – ein Rückgang von 5 % gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2024. Die Erträge aus dem Aktiengeschäft (Equity Capital Markets) sanken um 23 % auf ein Zwei-Jahres-Tief von 1,1 Milliarden US-Dollar. Auch das syndizierte Kreditgeschäft brachte rückläufige Provisionen ein: Mit 2,9 Milliarden US-Dollar wurde der niedrigste Stand seit drei Jahren erreicht. Provisionen aus abgeschlossenen M&A-Transaktionen beliefen sich laut LSEG auf 3,6 Milliarden US-Dollar – ein Minus von 10 % gegenüber dem Vorjahr und der niedrigste Halbjahreswert seit 2013. Europas Anteil an den weltweiten Investmentbanking-Provisionen lag bei 22 % und damit so niedrig wie zuletzt vor drei Jahren. Innerhalb Europas wurden 21 % der Provisionen im Vereinigten Königreich erwirtschaftet, gefolgt von Frankreich (15 %) und Deutschland (11 %). Spitzenreiter war Goldman Sachs mit einem Provisionsvolumen von 1,0 Milliarden US-Dollar, was einem Marktanteil von 7,6 % entspricht.
Im Bereich Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions) belief sich das Transaktionsvolumen mit europäischer Beteiligung im ersten Halbjahr 2025 auf 586,9 Milliarden US-Dollar – ein Anstieg um 18 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum, wie LSEG ermittelte. Dennoch sank die Anzahl der Deals um 9 % und erreichte den niedrigsten Stand seit dem ersten Halbjahr 2020. Das Volumen der Transaktionen mit einem europäischen Zielunternehmen lag bei 340,6 Milliarden US-Dollar, was einem Rückgang von 4 % entspricht – während die globale M&A-Aktivität um 33 % zulegte. Entsprechend sank der europäische Anteil an weltweiten Übernahmen von 24 % im Vorjahr auf 17 % in 2025. Im Sektorvergleich dominierte die Finanzbranche mit 26 % Anteil am Zielvolumen, gefolgt von Technologieunternehmen, die die meisten Transaktionen verzeichneten. Ausländische Übernahmen durch Nicht-Europäer gingen um 14 % auf 112,3 Milliarden US-Dollar zurück, während inländische Transaktionen leicht auf 228,4 Milliarden US-Dollar stiegen. Europäische Übernahmen im Ausland stiegen um 2 % auf 116,6 Milliarden US-Dollar – ein Vierjahreshoch. Die größte Einzeltransaktion war laut LSEG die Abspaltung des Nordamerika-Geschäfts von Holcim im Volumen von 33,7 Milliarden US-Dollar – künftig unter dem Namen Amrize.
Im Bereich Aktienemissionen sank das Volumen europäischer Equity- und equity-ähnlicher Transaktionen laut LSEG im ersten Halbjahr 2025 auf 60,0 Milliarden US-Dollar – ein Rückgang um 19 % gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Transaktionen fiel um 16 %. Folgeemissionen machten 81 % des Markts aus, IPOs 10 % und Wandelanleihen 9 %. Insgesamt wurden 46 Börsengänge europäischer Unternehmen verzeichnet, 15 weniger als im Vorjahr. Die erzielten Emissionserlöse lagen mit 6,2 Milliarden US-Dollar um 61 % unter dem Vorjahreswert. Den größten IPO tätigte die Asker Healthcare Group aus Schweden, die im März in Stockholm eine Milliarde US-Dollar einnahm. Das Volumen aus Folgeemissionen sank um 12 % auf 48,5 Milliarden US-Dollar, während Wandelanleihen um 59 % auf 5,3 Milliarden US-Dollar zulegten. Die aktivsten Emittentenländer waren laut LSEG das Vereinigte Königreich (21 %), gefolgt von der Schweiz (15 %) und Italien (12 %). Goldman Sachs führte die Rangliste der Konsortialführer im europäischen Aktienmarkt an, vor JP Morgan.
Im Anleihemarkt verzeichneten die europäischen Debt Capital Markets im ersten Halbjahr 2025 ein Gesamtvolumen von 1,63 Billionen US-Dollar – ein leichter Rückgang um 1 %, aber laut LSEG der dritthöchste jemals gemessene Halbjahreswert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1980. Weltweit stieg das Volumen der Anleiheemissionen auf 6,36 Billionen US-Dollar – ein Zuwachs von 13 % und ein Allzeithoch. Insgesamt kamen in Europa 2.353 neue Anleihen auf den Markt – 15 % weniger als im Vorjahr. Deutschland war mit einem Anteil von 17 % das aktivste Emissionsland, gefolgt vom Vereinigten Königreich (16 %) und Frankreich (13 %). 82 % des Emissionsvolumens entfielen auf Finanzinstitute sowie staatliche Emittenten, gefolgt von Energie- und Industrieunternehmen. BNP Paribas belegte den ersten Platz im europäischen Anleihemarkt laut LSEG mit einem Marktanteil von 6,2 %, gefolgt von JP Morgan (5,7 %) und Barclays (5,6 %).
Die aktuellen Zahlen zur Entwicklung des Investmentbankings in Europa im ersten Halbjahr 2025, wie sie von LSEG Deals Intelligence veröffentlicht wurden, haben auch für Ratingagenturen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Zwar stehen diese nicht im Mittelpunkt der Datenlage, doch lässt sich aus der rückläufigen Kapitalmarktaktivität und den sinkenden Provisionseinnahmen eine Reihe von Implikationen für das Geschäft mit Kreditratings ableiten. Insbesondere die um 15 % gesunkene Anzahl an Anleiheemissionen in Europa bedeutet konkret, dass Ratingagenturen im ersten Halbjahr deutlich weniger Erstmandate für die Bewertung neuer Schuldverschreibungen erhalten haben dürften. Zwar blieb das gesamte Emissionsvolumen auf hohem Niveau, aber das Geschäft mit Neu-Ratings hängt stark von der Anzahl und Vielfalt der Transaktionen ab – nicht nur vom Gesamtwert. Je weniger Emissionen, desto weniger Ratingprozesse, insbesondere bei kleinen oder mittelgroßen Emittenten, die in der Regel stärker auf externe Ratings angewiesen sind.
Darüber hinaus ist auch das rückläufige M\&A-Geschäft in Teilen relevant für Ratingagenturen. Zwar ist das Transaktionsvolumen bei europäischen Beteiligungen laut LSEG um 18 % gestiegen, doch die Zahl der Deals fiel um 9 % und damit auf ein Fünfjahrestief. Für Ratingagenturen sind größere M\&A-Transaktionen meist mit einem erhöhten Analyseaufwand verbunden, da diese die Kapitalstruktur und das Risiko vieler Unternehmen verändern. Weniger Deals bedeuten somit tendenziell auch weniger Bedarf an Sonderanalysen, Kreditupdates und Re-Ratings – alles Leistungen, die oft zusätzlich beauftragt werden und Honorarpotenzial bieten. Zudem könnten sinkende M\&A-Aktivitäten das Cross-Selling von Services, etwa ESG-Ratings oder strukturierte Finanzanalysen, ebenfalls belasten.
Im Bereich der Aktienmärkte zeigt sich ein ähnliches Bild: Mit einem Rückgang des Emissionsvolumens um 19 % und einem Einbruch bei IPOs um 61 % im Vergleich zum Vorjahr bleibt ein wesentlicher Wachstumsbereich für Ratingagenturen unter den Erwartungen. Während Aktienemissionen seltener direkt geratet werden, führen Börsengänge in der Regel zu einem erhöhten Bedarf an Kapitalmarktfähigkeitsprüfungen und bonitätsbezogenen Einschätzungen – etwa im Rahmen von Pre-IPO-Ratings oder Corporate Assessments, wie sie von einigen Agenturen angeboten werden. Eine geringere Zahl an Börsengängen reduziert somit potenziell auch hier das Geschäft.
Für die großen internationalen Ratingagenturen bedeutet diese Marktlage unter dem Strich, dass das klassische, volumengetriebene Geschäft mit Emissionsratings in Europa derzeit unter Druck steht. Der starke Anstieg der globalen Anleihemärkte um 13 % und Rekordwerte in den USA oder Asien könnten dies teilweise kompensieren, doch in Europa wird die Auftragslage 2025 bislang eher von Stagnation und Rückgängen geprägt. Damit wächst auch der relative Stellenwert von wiederkehrenden Einnahmen aus Surveillance-Ratings und von wachstumsstarken Segmenten wie ESG-Ratings oder strukturierten Finanzprodukten. Die von LSEG dokumentierte Marktentwicklung verweist somit indirekt auf die Notwendigkeit für Ratingagenturen, ihre Geschäftsmodelle weiter zu diversifizieren – und ihre Präsenz dort auszubauen, wo die Kapitalmärkte aktuell wachsen.
Themen: Anleiherating, Ratings | Kommentare deaktiviert für Rückgang der Kapitalmarktaktivität in Europa bremst das Neugeschäft der Ratingagenturen
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