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„Too Big to Ignore“ – Wie der Handelsboom Credit Ratings herausfordert
Von Dr. Oliver Everling | 5.August 2025
Die jüngsten Quartalsergebnisse börsennotierter Unternehmen liefern, wie Dr. Christoph Bruns feststellt, ein vielsagendes Bild: „Zu den Auffälligkeiten gehören die starken Ergebnisse der Banken- und Brokerindustrie.“ Die hohe Volatilität an den Finanzmärkten, die geopolitische Verschiebungen, geldpolitische Unsicherheiten und technische Innovationen reflektiert, hat sich als lukratives Umfeld für den Handel mit Finanzprodukten erwiesen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass auch neue Märkte wie der Handel mit Kryptowährungen an Bedeutung gewinnen – obwohl viele dieser Produkte wenig Substanz aufweisen. Trotzdem ist der Handel enorm, was Bruns mit einem bezeichnenden Zitat unterstreicht: „Ungeachtet der fehlenden Substanz hinter den meisten Kryptos vollzieht sich auf dem Feld ein enormer Handel.“ Die Antwort der Bank of America auf die Frage nach dem Engagement in diesem Markt bringt die zugrunde liegende Logik auf den Punkt: „It is too big to ignore!“
In diesem Spannungsfeld zwischen spekulativem Handelserfolg und fragwürdiger Wertbasis wird die Rolle klassischer Bewertungsinstrumente wie der Credit Ratings zunehmend problematisch. Die Bonitätsnoten, einst als stabiler Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und Staaten gedacht, laufen Gefahr, an Relevanz zu verlieren. Denn der Markt hat sich verändert: „Klar ist jedoch, dass der Markt handelbarer Finanzprodukte größer denn je und obendrein ein Wachstumsmarkt ist.“ In einer solchen Umgebung zählen weniger langfristige Fundamentaldaten als vielmehr kurzfristige Opportunitäten. Unternehmen wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder BNP Paribas profitieren ebenso wie neuere Akteure: „Zu den Auffälligkeiten im Brokerage-Geschäft zählt unter anderem der kometenhafte Aufstieg des US-Anbieters Robinhood.“ Dass dieses Unternehmen heute mit einem Marktwert von fast 90 Milliarden US-Dollar die meisten europäischen Großbanken „deutlich in den Schatten“ stellt, verweist auf eine tektonische Verschiebung innerhalb der Finanzarchitektur.
Dabei bleiben die grundlegenden mentalen Muster der Finanzindustrie offenbar bestehen. Bruns erinnert an das geflügelte Wort von Citigroup-Chef Chuck Prince, der die Haltung der Branche im Vorfeld der Subprime-Krise treffend beschrieb: „Man müsse weitertanzen, solange die Musik spiele.“ Heute ist die Musik lauter denn je, und der Tanz hat globalen Charakter: „Auch chinesische, japanische und britische Wertpapierhäuser melden gute Zahlen.“ Die Beteiligung privater Anleger an den gestiegenen Handelsvolumina ist dabei nicht zu unterschätzen – ein Trend, der ebenso Chancen wie Risiken birgt.
Gerade in einem solchen Umfeld stellt sich die Frage, ob Ratings den heutigen Märkten noch gerecht werden. Wenn Werte zunehmend durch Handelsaktivität selbst und weniger durch wirtschaftliche Substanz oder Stabilität entstehen, geraten klassische Bewertungskriterien ins Hintertreffen. Die Dynamik des Marktes, wie Bruns sie schildert, lässt erkennen, dass sich die Finanzwelt in einem Zustand ständiger Bewegung befindet – während Credit Ratings in ihrer Trägheit oft nur ein Abbild der Vergangenheit zu liefern scheinen.
Angesichts dieser Entwicklungen sind auch die Ratingagenturen gefordert, ihre Analysemodelle und Bewertungsmethoden grundlegend zu überdenken. Wenn Märkte sich zunehmend durch spekulative Dynamik, technologische Innovationen und kurzfristige Kapitalströme definieren, reicht eine ausschließliche Fokussierung auf traditionelle Kennzahlen wie Verschuldungsgrad oder Zinsdeckungsquote nicht mehr aus. Vielmehr bedarf es einer erweiterten Methodik, die auch systemische Risiken aus der hohen Handelsaktivität, der Rolle privater Anleger oder der wachsenden Bedeutung von schwer bewertbaren Assets wie Kryptowährungen berücksichtigt. Nur wenn Ratingagenturen sich diesen Realitäten stellen, können ihre Urteile auch künftig verlässliche Orientierung bieten. Es wäre an der Zeit, dass sie – ganz im Sinne des Zitats der Bank of America – anerkennen: „It is too big to ignore!“
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