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Maastricht-Regeln als Weg zur Konzentration auf staatliche Kernaufgaben

Von Dr. Oliver Everling | 7.August 2025

Europa steht an einem wirtschaftlichen Wendepunkt. Angesichts schwacher Daten zur Industrieproduktion und rückläufiger Exporte – insbesondere aus Deutschland – mehren sich die Stimmen, die tiefgreifende Reformen im Inneren der EU fordern. In einem aktuellen Meinungsbeitrag von Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz, wird das Regelwerk von Maastricht als strukturelles Hindernis für notwendige Investitionen kritisiert. Es sei, so Mayr, Ausdruck eines „Dogmas fiskalischer Zurückhaltung“, das „echte gemeinsame Investitionsimpulse verhindert“ habe. Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, einer sich wandelnden globalen Wirtschaftsordnung und des technologischen Rückstands Europas plädiert er für ein Umdenken: weg von nationalen Egoismen, hin zu gemeinschaftlicher Finanzierung und strategischen Projekten. Dabei fordert er „mehr Vertrauen in den Markt statt dysfunktionaler politischer Sparregeln“.

Diese Einschätzung trifft in Teilen berechtigt einen wunden Punkt. Tatsächlich hat Europa in den letzten Jahren an ökonomischem Gewicht eingebüßt, das reale Wachstum stagniert, und Investitionen in Schlüsselbereiche wie Infrastruktur, Verteidigung und Digitalisierung blieben im internationalen Vergleich zurück. Doch so berechtigt die Kritik an der Investitionsschwäche ist, so einseitig ist die pauschale Ablehnung der Maastricht-Regeln. Denn diese waren nie als Investitionsverbot gedacht, sondern als Rahmen zur Sicherung nachhaltiger Haushaltsführung und makroökonomischer Stabilität. Sie zwingen Regierungen zur Prioritätensetzung. Gerade in Zeiten knapper Mittel hilft diese fiskalische Disziplin dabei, sich auf staatliche Kernaufgaben zu konzentrieren – also auf solche Ausgaben, die produktive Wirkung entfalten und langfristig zur Stärkung des volkswirtschaftlichen Potenzials beitragen.

Staatliche Ausgaben sind nämlich nicht automatisch wachstumsfördernd. Viele konsumtive Ausgaben – etwa zur kurzfristigen Stabilisierung oder zum politischen Opportunismus – können sogar kontraproduktiv wirken, wenn sie Ressourcen binden, ohne die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. In dieser Hinsicht kann die Einhaltung der Maastricht-Kriterien als ein Instrument verstanden werden, das den Staat zu mehr Effizienz zwingt. Statt beliebiger Ausgaben eröffnet sich so die Möglichkeit, Mittel gezielt dort einzusetzen, wo sie Zukunftswirkung entfalten: bei Bildung, Innovation, kritischer Infrastruktur oder der Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft.

Der Text von Dr. Mayr weist zu Recht auf den Investitionsbedarf in Bereichen wie KI, Halbleiter, Energie oder Verteidigung hin. Auch die Notwendigkeit gemeinschaftlicher europäischer Strategien ist unbestritten. Doch die Schlussfolgerung, die Maastricht-Regeln deshalb als hinderlich zu verwerfen, greift zu kurz. Vielmehr gilt es, sie weiterzuentwickeln – etwa durch die Schaffung eines klar definierten europäischen Investitionsrahmens, der zusätzliche fiskalische Spielräume für gemeinschaftlich getragene Zukunftsprojekte eröffnet, ohne die Stabilitätskriterien aufzuweichen. Dies würde ermöglichen, gezielt in Projekte mit hohem volkswirtschaftlichem Ertrag zu investieren, ohne den Glauben in die fiskalische Solidität Europas zu erschüttern.

Die im Beitrag angesprochene Kapitalmarktunion kann hier ergänzend eine wichtige Rolle spielen. Sie ermöglicht nicht nur eine effizientere Allokation privaten Kapitals, sondern reduziert zugleich die Abhängigkeit staatlicher Haushalte von kurzfristiger Verschuldung. Der Ruf nach „integrierten Finanzmärkten“ und „harmonisierten Regulierungen“ ist daher berechtigt – gerade unter dem Aspekt der Mobilisierung nichtstaatlicher Ressourcen für die wirtschaftliche Transformation. Dennoch bleibt auch hier entscheidend, dass politische und finanzielle Verantwortung nicht entkoppelt werden.

Europa muss handeln – darin besteht Konsens. Doch das bedeutet nicht, fiskalische Disziplin aufzugeben. Im Gegenteil: Die Herausforderung besteht darin, Investitionen strategisch zu priorisieren, anstatt in struktureller Unentschiedenheit zu verharren. Die Maastricht-Kriterien können in diesem Zusammenhang als Disziplinierungsrahmen verstanden werden, der die Staaten zur Rückbesinnung auf das Wesentliche zwingt: effiziente Strukturen, kluge Allokation öffentlicher Mittel und ein wirtschaftliches Umfeld, das Wachstum nicht durch Schulden, sondern durch Produktivität generiert. Europas Chance liegt nicht in der Aufweichung fiskalischer Regeln, sondern in ihrer klugen Weiterentwicklung – für mehr Investitionen dort, wo sie wirklich volkswirtschaftlichen Ertrag bringen.

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