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Stilrotation, Psychologie und Ratings: Warum Qualität trotz Marktzyklen zählt

Von Dr. Oliver Everling | 2.Oktober 2025

Stilrotationen an den Finanzmärkten zeigen, wie sehr Erwartungen und Stimmungen die Kapitalströme beeinflussen können. „Börse ist immer auch ein Stück Psychologie. Von Zeit zu Zeit sind Aktien gefragt, die mit ihren Merkmalen zu den momentanen Erwartungen der Marktteilnehmer passen. Andere Unternehmen bleiben dann trotz guter Zahlen unter dem Radar“, heißt es bei Comgest. Gerade seit dem zweiten Quartal 2024 lässt sich dies in Europa beobachten: Value-Titel wie Banken, Energie- oder Industrieunternehmen haben deutlich an Attraktivität gewonnen, während Growth- und Qualitätsaktien an Boden verloren haben. Das schlägt sich auch in Zahlen nieder – so legte der MSCI Europe Value seit März 2024 um 23,3 Prozent zu, während der MSCI Europe Growth nur 1,4 Prozent und der MSCI Europe Quality 2,7 Prozent verloren.

Für Ratingagenturen und ihre Einschätzungen sind solche Entwicklungen von erheblicher Bedeutung. Die Verschiebung von Kapital zwischen Anlagestilen wirkt sich nicht nur auf die Marktpreise, sondern auch auf die Bonitätseinschätzungen und Risikoprofile von Unternehmen aus. Denn Branchen, die kurzfristig vom Markt bevorzugt werden, können von einer verbesserten Wahrnehmung ihrer Kreditqualität profitieren, während andere trotz stabiler Fundamentaldaten ins Hintertreffen geraten. Mark Schumann von Comgest weist jedoch darauf hin, dass Value-Aktien „sehr stark auf ihre Heimatmärkte konzentriert“ seien und deren Geschäftsmodelle von externen Faktoren wie Zinsen oder Regulatorik abhängen. Solche Entwicklungen seien „häufig sehr kurzfristig und schwer vorhersehbar“ und daher keine tragfähige Basis für langfristige Investments – eine Einschätzung, die im Kern auch für die Arbeit von Ratingagenturen gilt, die versuchen müssen, zwischen temporären Marktzyklen und struktureller Stärke zu unterscheiden.

Franz Weis hebt hervor, dass Qualitätsunternehmen durch Wettbewerbsvorteile wie Preissetzungsmacht oder stabile Kundenbeziehungen langfristig zweistelliges Gewinnwachstum erzielen können. Er betont: „Marktzyklen kommen und gehen, strukturelle Stärke bleibt. Oft entstehen gerade daraus die besten Chancen.“ Aus Sicht der Ratings stellt sich damit die Frage, ob die Modelle ausreichend berücksichtigen, dass kurzfristige Bewertungsabschläge nicht zwingend eine Verschlechterung der fundamentalen Bonität widerspiegeln.

Beispiele wie Schneider Electric oder Lindt & Sprüngli verdeutlichen dies. Während Schneider Electric von Nachfrageschüben durch den KI-Trend profitieren dürfte, zugleich aber kurzfristige Schwankungen im Kurs hinnehmen musste, zeigt Lindt & Sprüngli, wie Qualität vom Markt honoriert wird. „Lindt & Sprüngli kann daher seine Margen besser managen, was uns wiederum eine klarere Sichtbarkeit auf das zukünftige Gewinnwachstum gibt“, erläutert Schumann.

Stilrotationen fordern Anleger wie auch Ratingagenturen heraus. Sie zeigen, wie sehr Marktzyklen auf kurzfristigen Strömungen basieren, während für die Bonitätseinschätzung strukturelle Wettbewerbsstärke ausschlaggebend bleibt. Oder wie Weis es formuliert: „Unsere Unternehmen wachsen überdurchschnittlich, profitieren von globalen Megatrends und sind bei Margen, Eigenkapitalrendite und Free Cash Flow dem Markt voraus. Das macht ihre Gewinne krisenresistenter und sollte langfristig die Performance unserer europäischen Strategien stärken.“ Für die Logik der Ratings bedeutet das, dass psychologisch getriebene Umschichtungen zwar die Kapitalmärkte bewegen, die Substanz eines Unternehmens aber nicht minder im Mittelpunkt stehen muss.

Themen: Aktienrating, Unternehmensrating | Kommentare deaktiviert für Stilrotation, Psychologie und Ratings: Warum Qualität trotz Marktzyklen zählt

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