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Schumpeter und die Theorie des Ratings – warum Wandel das bessere Fundament für Stabilität ist

Von Dr. Oliver Everling | 20.Oktober 2025

Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis ist auch ein Anlass, über die theoretischen Grundlagen von Credit Ratings nachzudenken. So wie Philippe Aghion, Peter Howitt und Joel Mokyr Schumpeters Idee der schöpferischen Zerstörung in die Gegenwart übertragen, basieren auch Ratings und die Arbeit von Ratingagenturen auf theoretischen Modellen, die wirtschaftliche Dynamik erfassen und bewerten sollen. Ein Credit Rating ist nie bloß eine Zahl, sondern Ausdruck einer Theorie über Risiko, Marktprozesse und Anpassungsfähigkeit. In stabilen Zeiten können Modelle, die von Gleichgewicht, Prognostizierbarkeit und Kontinuität ausgehen, nützlich sein. Doch Schumpeter hätte wohl davor gewarnt, Stabilität mit Sicherheit zu verwechseln. Denn Märkte sind nicht im Gleichgewicht, sondern im Wandel – und Kreditrisiken entstehen nicht im Stillstand, sondern in der Bewegung.

Gerade die Schumpeter-Schule betont, dass Fortschritt aus Innovation, Wettbewerb und der Bereitschaft zur Erneuerung entsteht. Für Ratingagenturen bedeutet das, ihre Modelle kontinuierlich zu hinterfragen. Ein statisches Ratingmodell, das vergangenheitsbezogene Kennzahlen überbewertet und strukturellen Wandel unterschätzt, wird der Realität einer dynamischen Wirtschaft nicht gerecht. Theorien über Innovation und strukturellen Wandel zeigen, dass sich Risiko dort neu formiert, wo Neues entsteht – und dass überkommene Strukturen nicht per se sicherer sind. Ein Unternehmen in einer alternden Branche mit stabilen Cashflows mag kurzfristig verlässlich wirken, doch langfristig kann es ökonomisch gefährdeter sein als ein junges, wachstumsstarkes Unternehmen, das sich an neue Marktbedingungen anpasst.

Die Arbeiten der Nobelpreisträger erinnern auch Ratingagenturen daran, dass sie nicht nur Beobachter, sondern Teilnehmer eines sich wandelnden Systems sind. Ihre Urteile beeinflussen Kapitalflüsse und damit auch, wo Innovation stattfindet. Indem sie Risiken bewerten, setzen sie zugleich Anreize für oder gegen Erneuerung. Wenn sie den Status quo systematisch bevorzugen, können sie ungewollt zum Hemmschuh der schöpferischen Zerstörung werden. Doch wer Schumpeter ernst nimmt, erkennt: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität entsteht nicht durch die Vermeidung von Wandel, sondern durch die Fähigkeit, ihn zu verstehen und zu gestalten.

Theorien sind für Ratings daher keine abstrakten Konstrukte, sondern die Grundlage jedes Urteils. Sie müssen den Geist des Fortschritts in sich tragen – so wie Schumpeters Kapitalismus, der Wohlstand aus Bewegung schöpft. Der Nobelpreis mahnt damit auch die Ratingwelt, Modelle und Methoden immer wieder zu erneuern, um das dynamische Wesen von Risiko und Wachstum zu erfassen. Denn wer den Wandel bewertet, darf nicht im Stillstand verharren.

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