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US-Marktmacht, enge Credit-Spreads und KI-Revolution: Anleger vor einer neuen Ära

Von Dr. Oliver Everling | 3.November 2025

Die Dominanz der USA an den Kapitalmärkten ist seit der Finanzkrise unübersehbar. Aktienindizes klettern von Rekord zu Rekord, alternative Anlageklassen wie Private Equity und Private Debt boomen, und die Credit-Märkte weiten sich aus. Trotz dieser Stärke wächst jedoch die Unsicherheit unter Investoren, ob die historisch engen Renditeaufschläge von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen noch gerechtfertigt sind. Werner Krämer von Lazard Asset Management widerspricht Spekulationsängsten entschieden. Er betont: „Die Unternehmensgewinne haben sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Aus unserer Sicht steht die überragende Entwicklung der Unternehmensanleihen (wie auch der Aktienmärkte) auf einer soliden fundamentalen Basis und stellt keine Blase dar.“

Laut Krämer profitieren viele Unternehmen trotz geopolitischer Risiken von einer stetig steigenden Eigenkapitalrendite, niedrigen Ausfallquoten und verbesserten Ratings. Die Entwicklung zeigt sich in Vergleichen von Credit-Indizes wie iBoxx oder Bloomberg, die eine deutlich bessere Kreditqualität heute im Vergleich zur Vergangenheit offenbaren. Gleichzeitig mahnt Krämer zur Vorsicht, da die engen Spreads wenig Raum für Fehlentscheidungen ließen. „Eine individuelle Abwägung, ob ein Renditeaufschlag einer einzelnen Anleihe ein Investment rechtfertigt, ist zwingend notwendig. Dies gilt insbesondere im Hochzinsbereich, denn High Yield-Anleihen weisen auch heute eine viel höhere Ausfallwahrscheinlichkeit auf als Investment Grade-Anleihen.“ Anleger müssten daher sorgfältiger differenzieren und die fundamentale Analyse ins Zentrum stellen: „Bei den vorliegenden engen Spreads, die bei möglichen Rückschlägen wenig Puffer bieten, muss die fundamentale Kreditanalyse bei Investments in einzelne Unternehmensanleihen – insbesondere im High Yield-Bereich – der entscheidende Faktor sein.“

Die Frage, ob Unternehmensanleihen angesichts der gestiegenen Qualität eine neue Rolle als Ersatz für Staatsanleihen einnehmen, ist für Krämer legitim. Er verweist darauf, dass sich die Bonität vieler Staaten seit Jahren verschlechtere: „Die Ratings der Staaten, gemessen am Bloomberg Global Aggregate Bond Index, verschlechtern sich seit Jahrzehnten stetig, im Gegensatz zur Credit-Qualität der Unternehmensanleihen.“ Dennoch bleibe der Markt für Staatsanleihen zentral: „Staatsanleihen werden auch in Zukunft der zentrale Anker aller Kapitalmarktentscheider bleiben.“

Parallel dazu entsteht in der Technologiebranche ein weiterer Megatrend, der die Kapitalmärkte langfristig prägen dürfte: künstliche Intelligenz. Kay-Peter Tönnes von Antecedo Asset Management sieht keinen Anflug einer Überhitzung, sondern vielmehr den Auftakt einer tiefgreifenden Transformation. „Wir sind weit entfernt von einer KI-Blase“, sagt er. „Was wir derzeit erleben, ist der Beginn einer technologischen Revolution mit beispiellosem Wachstumstempo.“ Er vergleicht die Entwicklung mit dem Aufstieg Chinas, als dessen Wirtschaft von 180 Milliarden Dollar auf 1,3 Billionen Dollar wuchs – allerdings benötigte das Land dafür zwei Jahrzehnte. „Bei KI passiert das in nur sechs Jahren. Das ist ein Wachstumstempo, das dreimal so hoch ist. Dafür gibt es kein historisches Beispiel.“

Auch der Blick auf Bewertungen stützt aus seiner Sicht die These eines strukturellen Wandels. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Nasdaq 100 sei zwar von 24 auf 34 gestiegen, doch Tönnes hält dies für gerechtfertigt: „Bei einer Entwicklung, die mit einer 30-Prozent-Amplitude pro Jahr abläuft, ist das aus meiner Sicht locker gerechtfertigt.“ Die heutige Situation sei nicht mit der Dotcom-Ära vergleichbar, in der Bewertungen vielfach dreistellig waren. „Sollte es die viel zitierte Super-KI in einigen Jahren tatsächlich geben, wären die heutigen Bewertungen sogar Schnäppchen.“

Hinzu kommt ein geopolitischer Faktor. Der technologische Wettstreit zwischen den USA und China wird laut Tönnes auch wirtschaftlich und währungspolitisch entscheidend sein. „Der Tech-Krieg zwischen den USA und China wird darüber entscheiden, wer künftig die Führungsrolle in der Weltwirtschaft hat und damit die Weltleitwährung stellt.“ Beide Nationen seien gezwungen, die technologische Vorherrschaft anzustreben: „Deshalb ist der technologische Wettlauf nicht nur ökonomisch, sondern strategisch existenziell.“

Für Anleger bedeutet dies, dass KI nicht als kurzfristige Modeerscheinung betrachtet werden sollte. Tönnes fasst zusammen: „KI wird ganze Branchen verändern, Forschung beschleunigen und neue Industrien hervorbringen. Wir stehen nicht am Ende eines Booms, sondern am Beginn einer neuen Ära.“

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