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China stellt sich dem Systemrisiko

Von Dr. Oliver Everling | 30.November 2021

„Pekings Politik ist für Chinas Wirtschaftswachstum von großer Bedeutung“, betont Stephen Li Jen, CEO von Eurizon SLJ Capital. Die Verlagerung des Schwerpunkts hin zu einem Wirtschaftswachstum, das das Wohlergehen der Bevölkerung im Auge hat, wurde von Präsident Xi mehrfach angesprochen und sollte auch in den kommenden Jahren ein zentrales Thema für Investoren sein. „Daraus resultiert, dass der Immobiliensektor sowie der Exportsektor als Motor des chinesischen Wirtschaftswachstums an Bedeutung verlieren und durch inländischen Konsum und Investitionen in Technologie ersetzt werden“, führt Li Jen weiter aus.

Während dieses Übergangs könnte es zu einem vorübergehenden Rückgang des Potenzialwachstums kommen, der von Peking aber toleriert werden dürfte, solange die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Städten robust bleibt, was 2021 bisher auch der Fall war. Zugleich ist der Experte zuversichtlich, dass sich das Wirtschaftswachstum fortsetzen wird.

Die Wachstumselastizitäten von Chinas Handelspartnern im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum Chinas werden je nach Land unterschiedlich ausfallen. Deutschlands Präsenz in China könnte weiterhin florieren, während einige Schwellenländer Schwierigkeiten haben könnten, vom Aufstieg Chinas zu profitieren.

Ein wesentliches Systemrisiko ist Chinas Gesamtverschuldung außerhalb des Finanzsektors, die sich auf dem Niveau einiger führender Industrieländer befindet. „Wir glauben jedoch, dass ein robustes nominales BIP-Wachstum die Schuldenlast Chinas im Laufe der Zeit abbauen könnte. Auch wenn dieser Schuldenabbau relativ spät kommt, so stellt sich das Land doch wenigstens diesem Systemrisiko, anstatt wie viele Industrieländer die Verschuldung weiter zu fördern.“

Li Jen

Folgt man der Argumentation von Li Jen, ist die Attraktivität von China relativ: Weil in den Industrieländern beispielsweise die Verschuldung weniger als in China gezügelt wird, bleiben Investments in China trotz bekannter Probleme interessant.

Die politischen Entscheidungsträger in Peking haben nach Ansicht von Li Jen die Risiken der Verschuldung erkannt und verdoppeln ihre Bemühungen, diese einzudämmen, insbesondere auf den Immobilienmärkten; sie machen sich mehr Sorgen über eine übermäßige Verschuldung als über eine unzureichende Gesamtnachfrage.

„Für die erste Hälfte des Jahres 2022 sehen wir die Aussichten für chinesische Vermögenswerte günstig“, erklärt Li Jen auch mit Blick auf chinesische Anleihen. „Chinesische Aktien haben in diesem Jahr bereits erhebliche Kurskorrekturen erlebt und sollten in einer guten Position sein, um 2022 eine überdurchschnittliche Performance zu erzielen, wenn die regulatorischen Überraschungen hinter uns liegen“, so der China-Kenner. „Obwohl wir alle akzeptieren, dass China eine höhere Risikoprämie für Aktien haben sollte, vermuten wir, dass der aktuelle Abstand beim KGV zu groß sein könnte.“

„Die jüngste Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China könnte von den politischen Entscheidungsträgern inszeniert worden sein. Wir glauben aber nicht, dass es sich um einen politischen Fehler handelt, der zu einem systemischen Zusammenbruch des Finanzsystems führen wird, sondern dass die jüngsten Entwicklungen mit der strategischen und strukturellen Neuausrichtung, die für die zweite fünfjährige Amtszeit von Präsident Xi geplant ist, im Einklang stehen“, fasst Li Jen zusammen.

„Wir empfehlen Anlegern zu berücksichtigen, dass Peking eine schwierige Situation gut unter Kontrolle hat und dass das Streben nach einem höherwertigen Wirtschaftsmodell die Politik dominieren und das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren bestimmen wird. Dies ist eindeutig nicht der politische Weg des geringsten Widerstands, aber ein überschaubarer und vorübergehender Rückgang der BIP-Wachstumsrate beunruhigt uns nicht. Wir sind sogar der Meinung, dass die Politik Pekings zielführender ist als die der westlichen Industrieländer, wo die Verschuldung unbegrenzt steigen kann. Insofern sind wir für das Jahr 2022 für chinesische Anleihen, chinesische Aktien und die chinesische Währung positiv gestimmt“, erklärt Li Jen abschließend.

Themen: Aktienrating, Länderrating | Kein Kommentar »

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