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De-Skilling durch KI?
Von Dr. Oliver Everling | 26.September 2025
„Wir müssen KI als Ergänzung, nicht als Ersatz menschlicher Fähigkeiten begreifen“, mahnt Heike Gündling, Expertin für digitale Transformation. Ihre Warnung verweist auf ein Phänomen, das in der aktuellen Debatte um Künstliche Intelligenz bislang zu wenig Beachtung findet: den Effekt des sogenannten De-Skilling, also den Verlust oder die Erosion menschlicher Fähigkeiten durch die Delegation von Aufgaben an intelligente Systeme.
Die rasante Verbreitung von KI verändert nicht nur Wirtschaft und Gesellschaft, sondern wirft auch Fragen nach ihren langfristigen Auswirkungen auf das menschliche Gehirn auf. Menschliche Kognition ist formbar, sie entwickelt und stabilisiert sich durch Übung, Wiederholung und Anwendung. Wenn jedoch KI immer häufiger komplexe Denk- und Kreativitätsaufgaben übernimmt, droht eine kognitive Verlagerung: Nutzer verlassen sich auf externe Intelligenz, anstatt eigene neuronale Netzwerke zu aktivieren. Langfristig könnte die Fähigkeit zur kohärenten Argumentation und zur Entwicklung origineller Ideen verkümmern.
Neurowissenschaftlich betrifft dies Hirnareale wie den präfrontalen Kortex, der für Planung und Entscheidungsfindung zuständig ist, oder temporo-parietale Bereiche, die für Sprachproduktion und -verständnis eine zentrale Rolle spielen. Das Prinzip „Use it or lose it“ gilt auch hier: Weniger Beanspruchung kann zu einem Rückgang neuronaler Dichte und Konnektivität führen. Auch das kritische Denken gerät in Gefahr, denn wenn Algorithmen scheinbar verlässliche Antworten liefern, sinkt der Anreiz, Hypothesen selbst zu formulieren, Quellen zu prüfen oder Argumente zu hinterfragen. Kritisches Denken ist eng mit dem Frontallappen verknüpft, insbesondere mit Funktionen wie Arbeitsgedächtnis und Metakognition, die durch mangelnde Nutzung langfristig geschwächt werden können.
Ein oft unterschätzter Bereich ist zudem die soziale Kognition. KI-gestützte Kommunikations- und Empfehlungssysteme simulieren menschliche Interaktion, ohne sie wirklich ersetzen zu können. Werden Dialoge zunehmend über KI-Schnittstellen geführt, schwinden Fähigkeiten wie Empathie, das Erkennen nonverbaler Signale oder das Verarbeiten emotionaler Reaktionen. Langfristig drohen Isolation und eine Reduktion emotionaler Intelligenz.
Vor diesem Hintergrund fordert Gündling, dass Bildungseinrichtungen und Unternehmen gezielt Kompetenzen fördern, die nicht durch KI ersetzt werden können – kreatives Denken, soziale Interaktion, moralisches Urteilsvermögen. Dazu gehören ein kritisches Verständnis von Algorithmen und ihren Grenzen, die Entwicklung hybrider Kompetenzen, die Menschen befähigen, KI-Ergebnisse eigenständig zu bewerten und zu verfeinern, sowie bewusste Phasen ohne digitale Hilfsmittel, um eigene Fähigkeiten aktiv zu trainieren.
Die neurologischen Risiken des De-Skilling sind damit real, aber nicht unausweichlich. Wenn Technologiegestaltung, Bildung und individuelle Reflexion zusammengedacht werden, kann KI unser Potenzial erweitern, statt es verkümmern zu lassen. Die Herausforderung besteht darin, die Balance zu wahren: zwischen Effizienz durch KI und der Bewahrung unserer kognitiven, sozialen und kreativen Fähigkeiten.
Themen: Hard Skill Rating, Soft Skill Rating | Kommentare deaktiviert für De-Skilling durch KI?
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