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Die Erosion des Dollar-Vertrauens: Europas Chance auf wirtschaftliche Führungsstärke
Von Dr. Oliver Everling | 3.Juni 2025
Die Vereinigten Staaten schwanken laut Axel Angermann seit dem 19. Jahrhundert zwischen zwei außenpolitischen Polen: dem Führungsanspruch auf globaler Ebene und einem ausgeprägten Isolationismus. Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen, geldpolitischen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte.
Mit der Politik Donald Trumps sieht Angermann einen deutlichen Ausschlag des Pendels in Richtung Isolationismus. Diese Entwicklung hält er in einer eng vernetzten Weltwirtschaft für gefährlich – nicht nur für die internationale Ordnung, sondern auch für die USA selbst. „Die preistreibenden Wirkungen der Zollpolitik schaden der amerikanischen Wirtschaft“, warnt Angermann. Dazu komme, dass „die rigide Migrationspolitik und die Angriffe auf die Universitäten wesentliche Grundpfeiler der Wettbewerbsfähigkeit“ untergraben würden. Auch innenpolitisch werde die Verlässlichkeit der USA beschädigt: „Die Infragestellung der Unabhängigkeit der Zentralbank lässt Zweifel an der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Politik aufkommen“, schreibt er, und konstatiert weiter: „Der Verzicht auf die Pflege von Bündnissen schmälert das politische Gewicht der USA in der Welt.“
Konkrete Anzeichen dieser Entwicklung lassen sich Angermann zufolge bereits an den Anleihemärkten erkennen. Jahrzehntelang hätten globale Investoren das hohe Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten bereitwillig finanziert – doch nun zeigten sich Risse im Vertrauen. „Globale Anleger stellen sich zunehmend die Frage nach der Sicherheit von US-Staatsanleihen“, stellt Angermann fest. Noch sei dieser Zweifel durch „moderat steigende Zinsen“ beherrschbar, doch die wachsenden Schulden der US-Regierung verschärften die Lage, denn „die Tragfähigkeit der US-Staatsfinanzen ist nicht mehr gegeben.“
In dieser Unsicherheit sieht Angermann jedoch auch eine große Chance – und zwar für Europa. Das bisherige Vertrauen in US-Staatsanleihen sei nur durch das „TINA“-Argument („there is no alternative“) gestützt. Genau an dieser Stelle könne die Europäische Währungsunion eine Alternative anbieten. Der Euro sei bereits die zweitwichtigste Reservewährung der Welt und Europa biete entscheidende Vorteile: „eine unabhängige Zentralbank, einen verlässlichen Rechtsrahmen für Unternehmen, eine offene Wirtschaft, demokratische Entscheidungsstrukturen und alles in allem politische Stabilität.“ Angermann betont, dass Europa in den kommenden Jahren ohnehin gewaltige Investitionen benötige – für Infrastruktur, Forschung, Digitalisierung, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz. All das könne Kapital anziehen und die Rolle des Euro im globalen Währungssystem stärken.
Doch dazu bedarf es struktureller Reformen. Am wichtigsten sei die Vollendung der Kapitalmarktunion. „Ein einheitlicher Kapitalmarkt, der für globale Kapitalströme attraktiv und groß genug ist“, fehle in Europa bislang – im Gegensatz zu den USA. Angermann unterstreicht: „Die europäische Kapitalmarktunion zu vollenden, sollte deshalb für europäische Regierungen und die EU-Kommission eine überragende strategische Bedeutung haben.“ Auch für die Realwirtschaft sei das entscheidend, etwa durch bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups. Er verweist dabei auf den Draghi-Report, der dies bereits deutlich gemacht habe. Nationale Einzelinteressen, wie sie etwa aus Deutschland kommen, sollten zugunsten des europäischen Gesamtprojekts in den Hintergrund treten. Denn, so Angermann abschließend: „Der Währungsunion bietet sich hier eine Jahrhundertchance, die nicht verspielt werden sollte.“ Zwar sei es derzeit nicht realistisch, den Dollar als Leitwährung abzulösen, doch: „Wenn das Vertrauen globaler Anleger in den Dollar weiter erodieren sollte, dann könnte und sollte Europa globalen Investoren eine Alternative bieten können.“
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