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Dilemma zwischen Rom und Berlin

Von Dr. Oliver Everling | 9.November 2017

Die EZB sieht sich seit geraumer Zeit mit der Forderung nach einer zügigen und deutlichen Abkehr von ihrer ultraexpansiven Geldpolitik konfrontiert. Der Beschluss, das Ankaufvolumen von Wertpapieren ab Januar auf 30 Milliarden Euro monatlich zu halbieren, das Programm selbst aber mindestens bis Oktober und aller Voraussicht nach noch darüber hinaus weiterlaufen zu lassen, erfüllt diese Forderung nicht und wird folglich die Kritik an der EZB nicht zum Verstummen bringen. „Aber wie berechtigt ist die Kritik überhaupt?“

Axel D. Angermann analysiert als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die Fakten: „Richtig ist: Die deutsche Bundesbank hätte die geldpolitischen Zügel längst gestrafft, so wie es die Fed bereits tut.“ Während aus deutscher Sicht dies nahe liege, sieht es für Italien anders aus. Hier zunächst die Fakten für Deutschland, laut Angermann: „Die deutsche Wirtschaftsleistung liegt knapp 10 Prozent über dem Niveau von 2008. Im laufenden Jahr steht beim Wachstum eine Zwei vor dem Komma. Die Arbeitslosenquote liegt (nach international vergleichbaren Kenngrößen) unter 4%. Die Beschäftigtenstatistik weist 3,6 Millionen mehr Beschäftigte aus als im Jahr 2008. Die Banken vergeben wieder mehr Kredite (aktuell etwa 4% mehr als im Vorjahr und 25 Mrd. Euro mehr als im Jahr 2008). Steigende Zinsen stellen angesichts eines Schuldenstandes des deutschen Staates von 65% und einer aktuellen Rendite 10-jähriger Staatsanleihen von etwa einem halben Prozentpunkt auch für den Finanzminister kein Problem dar.“

Diskussionswürdig hält Angermann allenfalls die Inflationsentwicklung: Die aktuelle Kerninflation von 1,5% zeige, dass selbst die unter Volldampf befindliche deutsche Wirtschaft nicht mit Inflationsgefahren zu kämpfen hat. Angermann diskutiert allerdings nicht, ob hier der Schein vielleicht trügt, denn die Produktivität ist buchstäblich für jedermann durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in bisher nicht gekanntem Ausmaß gestiegen. Die steigende Produktivität bildete sich bisher aber nirgends in sinkenden Preisen ab.

Wenn man die wirtschaftliche Lage durch eine italienische Brille betrachtet, wird deutlich, wem die Politik des Italieners an der Spitze der Europäischen Zentralbank dient: „Die italienische Wirtschaftsleistung liegt insgesamt noch mehr als 6 Prozent unter ihrem Niveau von 2008. Die Arbeitslosenquote ist mit 11% noch immer sehr hoch. Die Kreditvergabe der Banken liegt weiterhin darnieder (6% unter dem Vorjahreswert, knapp 140 Mrd. Euro unter dem Niveau von 2008). Und schließlich: Zinserhöhungen würden den italienischen Finanzminister, der einen doppelt so hohen Schuldenstand wie Deutschland verkraften und für 10-jährige Staatsanleihen etwa viermal so hohe Zinsen bieten muss wie sein deutscher Amtskollege, erheblich belasten.2

Nun ist Mario Draghi weder Präsident der deutschen noch der italienischen Notenbank, gibt Angermann zu bedenken, sondern hat die Aufgabe, eine für den Euroraum angemessene Geldpolitik zu finden. Angermanns Ausführungen zeigen, dass diese Aufgabe im Grunde genommen praktisch unlösbar ist, solange die wirtschaftlichen Entwicklungen im Euroraum so weit auseinanderlaufen, wie das aktuell noch immer (und übrigens schon seit dem Start der Währungsunion) der Fall ist.

Der Beschluss der EZB vom Oktober könne in diesem Lichte als Versuch angesehen werden, verschiedenen Anforderungen an die Geldpolitik Rechnung zu tragen. „Natürlich lässt sich darüber streiten,“ räumt Angermann ein, „inwieweit dies als gelungen gelten kann. Es wäre aber für eine sachbezogene Diskussion der Geldpolitik im Euroraum gewiss hilfreich, eine europäische Sichtweise einzunehmen und das Thema nicht einfach ausschließlich aus deutscher Sicht zu betrachten.“

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