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Fehlende Blaupausen für bessere Systeme

Von Dr. Oliver Everling | 9.August 2022

Für Menschen in autokratisch regierten Staaten kann die Europäische Union (EU) kein Vorbild sein, wie auch die politischen Verhältnisse in den USA kaum eine Blaupause dafür sein können, in welche Richtung die Autokratien der Welt umgebaut werden sollten. In Europa leben Menschen mit unterschiedlichen Rechten, die ihnen von Geburt an verliehen sind – dies liegt im Wesen von Monarchien, die die politische Sonderstellung und erblichen Privilegien bestimmter Familien festschreiben.

Kaum einer würde in der Volksrepublik China daher auf die Idee kommen, unter den 56 Völkern des bevölkerungsreichsten Staates der Welt wieder Königshäuser ins Leben zu rufen, um dem „Vorbild“ Europas zu folgen. Daher ist der Gedanke absurd, dass Europa mit seinen 12 Monarchien als Modell fungieren könnte. Ebenso wünscht sich in Peking oder Moskau keiner einen Sturm wie auf das Kapitol in Washington.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs öffneten sich für deutsche Unternehmen nicht nur riesige neue Absatzmärkte. „Darüber hinaus konnten sie die lohnintensive Produktion in osteuropäische Länder auslagern,“ schreibt Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL, „dort günstige Rohstoffe einkaufen und in den Westen transportieren. Der Krieg in der Ukraine hat die steigenden Inflationsraten mit explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen seit Februar mit befeuert, was einen weiteren Trend der letzten Dekade beendet hat: die immer tiefer sinkenden Zinsen.“

Von allen Regimewechseln sieht Carsten Mumm die deutsche Volkswirtschaft erheblich betroffen, auch weil das Erfolgsmodell der exportorientierten Industrie mit einem Schwerpunkt auf hochwertige Fahrzeuge, Anlagen, Maschinen und Chemieprodukte seit Jahrzehnten nahezu reibungslos funktionierte: „Dem Erfolg dieser Strategie steht heute das Versäumnis im Weg, rechtzeitig die Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Schwächen werden heute nicht nur aufgrund der Abhängigkeiten von einzelnen Rohstofflieferanten und den, bis zum globalen Lockdown, maximal effizienten globalen Lieferketten offensichtlich. Nun droht der Wegfall weiterer wichtiger Absatzmärkte, wenn sich die geopolitische Lage zwischen China und Taiwan weiter zuspitzt und auch die chinesischen Handelsbeziehungen sanktioniert werden müssen. Unübersehbar ist zudem, dass nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa den Anschluss an die Entwicklung der Internet-Technologie verloren hat.“

Angesichts der vielfältigen Zeitenwenden und Krisenherden sei eine wirtschaftliche, politische und möglicherweise auch gesellschaftliche Erneuerung zwingend notwendig: „Anstatt immer weiter kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, brauchen wir ein klar umrissenes Zielbild und die Wegbeschreibung zu einer modernen und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft, die auf demokratischen und marktwirtschaftlichen Grundsätzen basiert. Ein solches Modell hätte im internationalen Systemwettbewerb mit der zunehmenden Anzahl an Autokratien zudem eine klare Signalfunktion.“

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