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Niedrigzinsen sind kein Freibrief für geringes Risiko
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Sinkende Zinsen dürfen nicht als generelles Signal für sinkende Risiken verstanden werden – eine trügerische Gleichung, die an den Finanzmärkten immer wieder zu Fehlbewertungen führt. Gerade in einem Umfeld geldpolitischer Lockerung ist es entscheidend, zwischen geldpolitischem Kurs und fundamentalen Risikoeinschätzungen zu unterscheiden. Zinssenkungen reflektieren in vielen Fällen nicht eine Entwarnung, sondern im Gegenteil eine Reaktion auf bestehende oder wachsende wirtschaftliche Probleme. Wie Lauren van Biljon, Senior Portfolio Managerin bei Allspring Global Investments, betont: „Wenn es ein ‚hawkish cut‘ ist, dann ist es ein ‚hawkish cut‘ – also eine Zinssenkung, bei der gleichzeitig klar signalisiert wird, dass man sich Sorgen um das Lohnwachstum und den Arbeitsmarkt macht.“ Der Kapitalmarkt kann solche widersprüchlichen Signale aufnehmen, ohne dass sie sich unmittelbar in risikoadäquaten Aufschlägen widerspiegeln – im Gegenteil, in der Praxis werden teils sogar Anleihen mit schlechterem Rating zu niedrigeren Renditen gehandelt, wenn sie von der allgemeinen Zinsentwicklung profitieren.
Diese Entwicklung zeigt, dass Marktpreise nicht automatisch eine realistische Einschätzung des Kreditrisikos darstellen. Der Fokus auf Leitzinsen verstellt häufig den Blick auf fundamentale Schwächen der Emittenten – sei es im Unternehmens- oder Staatsbereich. Van Biljon verweist auf strukturelle Probleme wie „hartnäckiges Lohnwachstum“ und einen „angespannten Arbeitsmarkt“, die letztlich auf tieferliegende Angebotsprobleme verweisen, auf die geldpolitische Instrumente nur begrenzt wirken. Auch der Umgang mit Gilt-Verkäufen – also der Abbau von Anleihebeständen durch die Notenbank – sei unter diesen Umständen besonders sensibel, zumal „einige Spannungen \[…] am langen Ende der Kurve“ zu beobachten seien. Eine künstlich gedämpfte Zinsstrukturkurve darf also nicht als Garantie für solide Fundamentaldaten missverstanden werden.
Sophie Careford, Leiterin der internationalen Portfolio-Spezialisten bei Allspring, unterstreicht diese Einschätzung und warnt davor, vorschnelle Schlüsse aus der Zinsentwicklung zu ziehen. Ihrer Einschätzung nach wird zwar eine Zinssenkung erwartet, doch in Verbindung mit einem „vorsichtigen Tonfall seitens der Bank“, wobei Formulierungen wie „schrittweise und umsichtig“ oder „kein vorgezeichneter Kurs“ dominieren dürften. Es gehe nicht um einen grundlegenden Richtungswechsel, sondern um die Schaffung geldpolitischer Flexibilität in einem Umfeld multipler Unsicherheiten – schwachem Wachstum, hoher Kerninflation, einem fiskalisch restriktiven Umfeld und strukturellen Arbeitsmarktproblemen. Auch die Frage nach der Angemessenheit eines 2 %-Inflationsziels wird von Careford als diskussionswürdig erachtet: „So kontrovers es auch sein mag, es lohnt sich, die Allgemeingültigkeit des 2 %-Inflationsziels zu hinterfragen.“
Diese Ambivalenz der geldpolitischen Signale zeigt, warum Ratings als komplementäre Risikoeinschätzung an Bedeutung gewinnen. Wenn Marktpreise unter dem Eindruck geldpolitischer Maßnahmen verzerrt sind, können Ratings helfen, die risikoadäquate Bewertung von Emittenten und Anlageinstrumenten wieder herzustellen. Besonders in Zeiten, in denen die Märkte Zinssenkungen als Einladung zur Renditejagd verstehen, kommt es zu Fehlallokationen – gerade bei Anleihen mit schwächerer Bonität. Hier bieten Ratings eine wichtige Orientierung: Auch wenn der Marktzins fällt, bleibt das Ausfallrisiko bestehen – oder steigt sogar. Die Vorstellung, dass niedrigere Zinsen ein universelles Zeichen für Sicherheit seien, gehört daher zu den gefährlichsten Irrtümern der Kapitalanlage.
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