Marktstimmung, Zinsentwicklung und Goldrally: Implikationen für Credit Ratings
Von Dr. Oliver Everling | 11.August 2025
Die jüngsten Entwicklungen an den Finanzmärkten, wie sie Michaël Lok, Group CIO und Co-CEO Asset Management der Union Bancaire Privée (UBP), beschreibt, haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf Aktien, Anleihen und Rohstoffe, sondern auch auf die Einschätzung von Kreditrisiken und damit auf Credit Ratings. Wenn Lok feststellt, dass „der Rückgang der Aktienrisikoprämien in Verbindung mit hohen Bewertungen“ das Potenzial für Aktien begrenzt und eine diversifizierte Vermögensallokation erfordert, bedeutet dies für Ratingagenturen, dass die makroökonomische Stabilität aktuell eher durch externe Faktoren wie Zollpolitik, Zinsentwicklung und Investitionszyklen beeinflusst wird als durch klassische Konjunkturindikatoren.
Für Emittenten im Investment-Grade-Bereich kann dies vorübergehend stabilisierend wirken, da sinkende Aufwärtsrisiken auf der Zinsseite die Refinanzierungskosten dämpfen. Lok betont, dass „hochverzinsliche Strategien wie High Yield, vorrangige Kredite und AT1-CoCos unser bevorzugtes Segment innerhalb dieser Anlageklasse“ bleiben – eine Einschätzung, die Ratingagenturen aufmerksam beobachten. Steigende Investitionen in High-Yield-Titel können nämlich zu einer Verschiebung der Risikobereitschaft führen und bei schwächerer Konjunktur schnell in höhere Ausfallraten umschlagen.
Auch Rohstoffmärkte wie Gold spielen bei Kreditratings indirekt eine Rolle. Loks Einschätzung, dass sich Gold „inmitten eines langfristigen Bullenmarktes befindet und die Grundlage für die inflationsbereinigte Vermögenssicherung und das Risikomanagement für Anlegerportfolios bleibt“, verweist auf eine zunehmende Bedeutung von inflationssicheren Anlageformen für die Bonitätsbewertung – insbesondere in Regionen oder Branchen, die stark von Währungs- und Zinsbewegungen abhängen.
Für Ratingagenturen ergibt sich daraus ein komplexes Bild: Während die Berichtssaison in den USA mit einem Gewinnwachstum von 10 % und insbesondere 21 % im Technologiesektor kurzfristig positiv wirkt, können „hohe Bewertungen in Verbindung mit der fragilen Anlegerstimmung“ – wie Lok warnt – bei plötzlichen Stimmungsumschwüngen zu schnellen Bewertungsanpassungen führen. Für die Kreditwürdigkeit von Unternehmen, insbesondere im spekulativen Bereich, bedeutet dies erhöhte Volatilität der Kapitalmarktzugänge.
In Summe zeigt die Analyse, dass makroökonomische Entspannung – etwa durch begrenzte Zollerhöhungen – zwar die Unsicherheit reduziert, Ratingagenturen jedoch weiterhin eine breite Palette an Risikofaktoren im Blick behalten müssen: von geopolitischen Spannungen über Zentralbankpolitik bis hin zu Investitionszyklen in Schlüsselbranchen. Die Verbindung zwischen Marktstimmung, Bewertungsniveaus und fundamentaler Bonität bleibt dabei ein sensibler Balanceakt, der sich schnell verschieben kann.
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Tokenisierung als Gamechanger: Neue Wege für Immobilieninvestments
Von Dr. Oliver Everling | 8.August 2025
Die Tokenisierung eröffnet der Immobilienwirtschaft neue Perspektiven und könnte sich in den kommenden Jahren als eine der bedeutendsten Innovationen der Branche herausstellen. Indem analoge Vermögenswerte digital auf der Blockchain abgebildet werden, können Immobilienanteile in Form sogenannter Token ausgegeben werden. Diese Token repräsentieren Eigentumsrechte oder wirtschaftliche Ansprüche an einer Immobilie und sind über digitale Marktplätze handelbar. Die damit einhergehende Fragmentierung von Immobilieninvestitionen senkt die Einstiegshürden erheblich – Kleinanlegern wird erstmals der Zugang zu einer Anlageklasse ermöglicht, die traditionell institutionellen Investoren vorbehalten war. Auch der Transaktionsprozess selbst erfährt durch den Einsatz der Blockchain-Technologie eine signifikante Effizienzsteigerung: Notarielle Beurkundungen, manuelle Registereinträge und papierbasierte Verwaltungsschritte könnten künftig durch smarte Verträge und automatisierte Abläufe ersetzt oder zumindest stark vereinfacht werden.
Der generelle Trend zur Tokenisierung zeigt sich auch jenseits der Immobilienbranche deutlich. Wie Clemens Berendt, Lead Portfoliomanager der apoBank, betont: „Die Tokenisierung der Geldanlage verändert den Kapitalmarkt – nicht morgen, sondern bereits heute.“ In seiner Einschätzung macht er deutlich, dass digitale Assets wie Stablecoins eine Brücke zwischen der klassischen Finanzwelt und dem Krypto-Ökosystem schlagen und somit eine neue Ära der Finanzmarktinfrastruktur einläuten. Diese Transformation betrifft nicht nur Kryptowährungen, sondern eine Vielzahl bisher illiquider Anlageklassen – darunter neben Immobilien auch Anleihen, Private Equity, Kunst und Sammlerobjekte. Für die Immobilienwirtschaft bedeutet dies konkret, dass vormals schwer handelbare Objekte künftig mit einem Mausklick den Eigentümer wechseln könnten. Die Tokenisierung bietet somit nicht nur ein Instrument zur Demokratisierung von Immobilieninvestments, sondern auch ein potenziell liquideres, transparenteres und effizienteres Marktumfeld.
Allerdings ist der Markt für tokenisierte Immobilienanlagen derzeit noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Zwar gibt es erste Pilotprojekte und Plattformen, die digitale Immobilienanteile vertreiben, doch fehlt es vielfach noch an regulatorischer Klarheit, standardisierten Verfahren und einer breiten Akzeptanz im institutionellen Umfeld. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zählt bereits mehr als 200 Anbieter von Kryptowertpapieren, was das wachsende Interesse und die zunehmende Marktdynamik unterstreicht. Zugleich warnt Clemens Berendt vor unseriösen Angeboten und betont die Risiken des „grauen Kapitalmarkts“, auf dem sich viele Anbieter ohne adäquate Aufsicht bewegen. Für professionelle Investoren und etablierte Marktteilnehmer wie Banken oder Fondsgesellschaften besteht daher die Herausforderung, Chancen der Tokenisierung mit der gebotenen Vorsicht zu nutzen. In diesem Zusammenhang stellt Berendt klar: „Wir sehen in der zunehmenden Tokenisierung der Geldanlage vor allem große Potenziale für Effizienzsteigerung in Wertpapierprozessen sowie in der Produktentwicklung und Vermögensverwaltung.“
Die Immobilienwirtschaft steht somit an einem Wendepunkt: Während regulatorische, technologische und marktspezifische Fragen noch zu klären sind, liegt in der Tokenisierung eine große Chance für eine Modernisierung der Branche. Wer jetzt die richtigen Weichen stellt, kann von einer Entwicklung profitieren, die das Potenzial hat, den Immobilienmarkt ebenso grundlegend zu verändern wie einst das Internet den Handel. Tokenisierte Immobilienanlagen könnten in wenigen Jahren so selbstverständlich sein wie heute Immobilienfonds oder REITs – vorausgesetzt, der Markt entwickelt sich unter klaren regulatorischen Leitplanken, mit vertrauenswürdigen Akteuren und einem Bewusstsein für die tatsächlichen Potenziale und Risiken dieser neuen Technologie.
Mit der zunehmenden Verbreitung von tokenisierten Finanzinstrumenten gewinnt auch das sogenannte Tokenrating an Bedeutung. Ähnlich wie klassische Ratings von Anleihen oder Unternehmen dient ein Tokenrating dazu, die Qualität und das Risiko eines digitalen Assets zu bewerten – sei es ein tokenisiertes Wertpapier, eine digitale Immobilie oder ein anderer Sachwert in Form eines Tokens. Insbesondere im Immobilienbereich, wo hohe Investitionssummen und lange Anlagezeiträume üblich sind, kann ein fundiertes Rating Vertrauen schaffen und als Entscheidungshilfe für Investoren dienen.
Ein Tokenrating berücksichtigt verschiedene Kriterien, darunter die rechtliche Struktur des Tokens (z. B. Wertpapier vs. Utility Token), die Qualität des zugrunde liegenden Vermögenswertes (z. B. Lage und Zustand der Immobilie), die Transparenz des Emittenten, die technologische Umsetzung (Smart Contract, Blockchain-Protokoll) sowie Sicherheits- und Compliance-Aspekte. Auch die Liquidität des Tokens, also die Möglichkeit, ihn an digitalen Börsen zu handeln, kann ein wichtiger Bestandteil der Bewertung sein.
Da es sich bei vielen tokenisierten Assets um neue, innovative Produkte handelt, fehlen bislang häufig etablierte Marktstandards. Ein unabhängiges Tokenrating kann hier Orientierung bieten und zugleich dazu beitragen, unseriöse Anbieter zu identifizieren. Gerade in einem von Clemens Berendt als teilweise „grauer Kapitalmarkt“ beschriebenen Umfeld ist dies entscheidend, um Risiken zu erkennen und Vertrauen in digitale Vermögenswerte aufzubauen. Langfristig könnte sich ein differenziertes Tokenrating als ebenso unverzichtbar erweisen wie das klassische Bonitätsrating für traditionelle Kapitalmarktprodukte.
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Maastricht-Regeln als Weg zur Konzentration auf staatliche Kernaufgaben
Von Dr. Oliver Everling | 7.August 2025
Europa steht an einem wirtschaftlichen Wendepunkt. Angesichts schwacher Daten zur Industrieproduktion und rückläufiger Exporte – insbesondere aus Deutschland – mehren sich die Stimmen, die tiefgreifende Reformen im Inneren der EU fordern. In einem aktuellen Meinungsbeitrag von Dr. Johannes Mayr, Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz, wird das Regelwerk von Maastricht als strukturelles Hindernis für notwendige Investitionen kritisiert. Es sei, so Mayr, Ausdruck eines „Dogmas fiskalischer Zurückhaltung“, das „echte gemeinsame Investitionsimpulse verhindert“ habe. Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, einer sich wandelnden globalen Wirtschaftsordnung und des technologischen Rückstands Europas plädiert er für ein Umdenken: weg von nationalen Egoismen, hin zu gemeinschaftlicher Finanzierung und strategischen Projekten. Dabei fordert er „mehr Vertrauen in den Markt statt dysfunktionaler politischer Sparregeln“.
Diese Einschätzung trifft in Teilen berechtigt einen wunden Punkt. Tatsächlich hat Europa in den letzten Jahren an ökonomischem Gewicht eingebüßt, das reale Wachstum stagniert, und Investitionen in Schlüsselbereiche wie Infrastruktur, Verteidigung und Digitalisierung blieben im internationalen Vergleich zurück. Doch so berechtigt die Kritik an der Investitionsschwäche ist, so einseitig ist die pauschale Ablehnung der Maastricht-Regeln. Denn diese waren nie als Investitionsverbot gedacht, sondern als Rahmen zur Sicherung nachhaltiger Haushaltsführung und makroökonomischer Stabilität. Sie zwingen Regierungen zur Prioritätensetzung. Gerade in Zeiten knapper Mittel hilft diese fiskalische Disziplin dabei, sich auf staatliche Kernaufgaben zu konzentrieren – also auf solche Ausgaben, die produktive Wirkung entfalten und langfristig zur Stärkung des volkswirtschaftlichen Potenzials beitragen.
Staatliche Ausgaben sind nämlich nicht automatisch wachstumsfördernd. Viele konsumtive Ausgaben – etwa zur kurzfristigen Stabilisierung oder zum politischen Opportunismus – können sogar kontraproduktiv wirken, wenn sie Ressourcen binden, ohne die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. In dieser Hinsicht kann die Einhaltung der Maastricht-Kriterien als ein Instrument verstanden werden, das den Staat zu mehr Effizienz zwingt. Statt beliebiger Ausgaben eröffnet sich so die Möglichkeit, Mittel gezielt dort einzusetzen, wo sie Zukunftswirkung entfalten: bei Bildung, Innovation, kritischer Infrastruktur oder der Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft.
Der Text von Dr. Mayr weist zu Recht auf den Investitionsbedarf in Bereichen wie KI, Halbleiter, Energie oder Verteidigung hin. Auch die Notwendigkeit gemeinschaftlicher europäischer Strategien ist unbestritten. Doch die Schlussfolgerung, die Maastricht-Regeln deshalb als hinderlich zu verwerfen, greift zu kurz. Vielmehr gilt es, sie weiterzuentwickeln – etwa durch die Schaffung eines klar definierten europäischen Investitionsrahmens, der zusätzliche fiskalische Spielräume für gemeinschaftlich getragene Zukunftsprojekte eröffnet, ohne die Stabilitätskriterien aufzuweichen. Dies würde ermöglichen, gezielt in Projekte mit hohem volkswirtschaftlichem Ertrag zu investieren, ohne den Glauben in die fiskalische Solidität Europas zu erschüttern.
Die im Beitrag angesprochene Kapitalmarktunion kann hier ergänzend eine wichtige Rolle spielen. Sie ermöglicht nicht nur eine effizientere Allokation privaten Kapitals, sondern reduziert zugleich die Abhängigkeit staatlicher Haushalte von kurzfristiger Verschuldung. Der Ruf nach „integrierten Finanzmärkten“ und „harmonisierten Regulierungen“ ist daher berechtigt – gerade unter dem Aspekt der Mobilisierung nichtstaatlicher Ressourcen für die wirtschaftliche Transformation. Dennoch bleibt auch hier entscheidend, dass politische und finanzielle Verantwortung nicht entkoppelt werden.
Europa muss handeln – darin besteht Konsens. Doch das bedeutet nicht, fiskalische Disziplin aufzugeben. Im Gegenteil: Die Herausforderung besteht darin, Investitionen strategisch zu priorisieren, anstatt in struktureller Unentschiedenheit zu verharren. Die Maastricht-Kriterien können in diesem Zusammenhang als Disziplinierungsrahmen verstanden werden, der die Staaten zur Rückbesinnung auf das Wesentliche zwingt: effiziente Strukturen, kluge Allokation öffentlicher Mittel und ein wirtschaftliches Umfeld, das Wachstum nicht durch Schulden, sondern durch Produktivität generiert. Europas Chance liegt nicht in der Aufweichung fiskalischer Regeln, sondern in ihrer klugen Weiterentwicklung – für mehr Investitionen dort, wo sie wirklich volkswirtschaftlichen Ertrag bringen.
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KI-Disruption als Ratingfaktor: Wie technologische Anpassung über Bonität entscheidet
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz verändert nicht nur Geschäftsmodelle und Kommunikationsstrategien, sondern hat tiefgreifende Implikationen für die Bonitätsbeurteilung von Unternehmen – also für Credit Ratings. Der jüngste Newsletter der EVEREST GmbH zeigt exemplarisch auf, wie ein Unternehmen auf die disruptiven Effekte der KI reagiert und welche Risiken sowie Chancen daraus für die wirtschaftliche Stabilität erwachsen. Im Zentrum steht die Feststellung: „Seit es AI Overviews gibt, haben wir auf unseren Plattformen viel weniger Traffic. Autsch!“ Diese Aussage verdeutlicht den unmittelbaren Einfluss generativer KI auf etablierte digitale Geschäftsmodelle, insbesondere auf solche, die stark auf Suchmaschinenoptimierung (SEO) angewiesen waren. Eine signifikant sinkende Reichweite kann mittelfristig zu einem Rückgang der Umsätze führen – ein Umstand, der bei der Analyse von Geschäftsrisiken künftig stärker berücksichtigt werden muss.
Bonitätsanalysten könnten in solchen Entwicklungen verstärkt Anzeichen für strukturelle Schwächen sehen, wenn Unternehmen nicht schnell und wirksam gegensteuern. Das Risiko, dass auf Content-basierende Geschäftsmodelle durch KI ersetzt oder marginalisiert werden, stellt ein neues, technologieinduziertes Geschäftsrisiko dar. Doch gerade die Fähigkeit zur Anpassung und Innovation wird zu einem wichtigen Indikator für Resilienz und damit für Rating-Stabilität. So hebt EVEREST hervor: „Jammern nützt nix. Wir stellen uns der neuen Realität und ergreifen die Chancen.“ Diese strategische Neuausrichtung umfasst Maßnahmen wie die Optimierung von Inhalten für KI-Systeme („Zu SEO kommt GEO“) und den gezielten Einsatz von KI zur Effizienzsteigerung im Kundensupport und bei der Gründungsberatung. Wer eigene, nutzerzentrierte KI-Lösungen implementiert, reduziert die Abhängigkeit von Plattformen wie Google und steigert die eigene Wertschöpfungstiefe – ein positiver Faktor für Kreditratings.
Die Aussage „Sinkende Reichweiten, neue Wettbewerber, veränderte Erwartungen: Wer nicht untergehen will, muss reagieren“ beschreibt ein zunehmend relevantes Kreditausfallrisiko: den Verlust der Marktrelevanz. Ratingagenturen werden in Zukunft nicht nur auf Kennzahlen der Vergangenheit schauen, sondern auch die Transformationsfähigkeit in Echtzeit bewerten müssen. Die Fähigkeit zur Nutzung von KI, zur Prozessautomatisierung und zur Ansprache neuer Zielgruppen – wie im Beispiel des Callcenter-Unternehmens mit 500 Mitarbeitenden beschrieben – kann entscheidend sein für die Fortführung der Geschäftstätigkeit. Auch hier heißt es: „KI killt dein Business? KI kann dich retten!“ – eine Aussage, die den paradoxen Charakter aktueller Transformationsprozesse treffend zusammenfasst.
Insgesamt zeigt sich: Unternehmen, die KI nicht nur als Bedrohung, sondern als Werkzeug verstehen und frühzeitig in die eigene Struktur integrieren, können Wettbewerbsvorteile aufbauen. Für Credit Ratings bedeutet das, dass technologische Anpassungsfähigkeit – analog zur Finanzkraft – zu einem eigenständigen Bewertungskriterium avancieren dürfte. EVEREST demonstriert, wie dieser Weg konkret aussehen kann: durch intelligente Chatbots, KI-gestützte Planungsprozesse und automatisierte Beratungsleistungen. Ratinganalysten werden künftig genau beobachten, ob solche Maßnahmen lediglich punktuelle Reaktionen darstellen oder Ausdruck einer tiefergehenden strategischen Repositionierung sind. Denn nur Letzteres verspricht langfristige Stabilität – und damit ein gutes Rating.
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ESG als Erfolgsfaktor: Fachbuch knackt 130.000 Downloads im Aufschwung des Private-Equity-Markts
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Das im Dezember 2024 erschienene Buch *„ESG als Treiber von M\&A – Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse erfolgreich managen“*, herausgegeben von Karl A. Niggemann, Ulrich Dahlhausen, Markus B. Hofer, Rudolf Schmitz und Oliver Everling, hat inzwischen die Marke von **130.000 Downloads** überschritten – ein bemerkenswerter Erfolg für ein Fachbuch dieser inhaltlichen Tiefe. Die hohe Nachfrage unterstreicht die wachsende Relevanz von ESG-Kriterien in der Gestaltung und Bewertung von Transaktionen im Private-Equity-Markt.
Der Erfolg des Buchs fällt in eine Phase, in der der globale Private-Equity-Markt nach mehreren wirtschaftlichen Schocks klare Erholungsanzeichen zeigt. Laut *Capital Dynamics Private Markets Insights* stieg das weltweite Exit-Volumen im ersten Halbjahr 2025 um **41 % im Vergleich zum Vorjahr** auf **545,9 Mrd. US-Dollar**. Treiber dieser Entwicklung waren robuste M\&A-Transaktionen und mehrere bedeutende IPOs im ersten Quartal, auch wenn im zweiten Quartal ein Rückgang um 35 % bei den Exits zu verzeichnen war – bedingt durch zunehmende Marktunsicherheiten und politische Entwicklungen wie die Ankündigung eines sogenannten „Liberation Day“ durch Präsident Trump im April.
Vor diesem Hintergrund zeigt das Springer-Buch, wie wichtig fundierte ESG-Strategien und Bonitätsanalysen für Unternehmen und Investoren geworden sind. Besonders im Mid-Market-Segment, das laut Studie zunehmend als „Sweet Spot“ im Private-Equity-Bereich gilt, gewinnen ESG-konforme und resilient strukturierte Investments an Bedeutung. Denn Unternehmen mittlerer Größe sind oftmals weniger stark von systemischer Volatilität betroffen und bieten durch operative Hebel zusätzliches Wertschöpfungspotenzial.
2024 machten von Private-Equity-Gesellschaften initiierte Transaktionen und Continuation Funds bereits **44 % des Sekundärmarktes** aus – mit einem Rekordvolumen von **75 Mrd. US-Dollar**. Die Zahl der Fondsabschlüsse stieg 2025 im ersten Quartal um **8 %**, vor allem im Segment kleiner und mittlerer Unternehmen. Auch hier liefert das Buch praxisnahe Ansätze zur Integration von ESG-Faktoren und Ratings in Transaktionsprozesse.
Inmitten volatiler Märkte, geopolitischer Unsicherheiten und sich wandelnder regulatorischer Rahmenbedingungen zeigt der Erfolg des Buchs, dass ESG nicht nur als Compliance-Thema, sondern als strategischer Hebel für nachhaltige M\&A-Prozesse verstanden wird. Die starke Resonanz aus Wissenschaft und Praxis belegt, dass der Bedarf an fundierter Orientierung im Umgang mit ESG-Kriterien, Ratings und Due-Diligence-Prozessen größer ist denn je.
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WpI MaRisk – eine verpasste Chance für die Risikokultur
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Mit dem neuen Rundschreiben zu den Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Wertpapierinstituten („WpI MaRisk“) setzt die BaFin zweifellos wichtige Impulse zur Stärkung der Risikosteuerung und Transparenz im Finanzsektor. Liquiditätssteuerung, Stresstests, Risikoberichte und Notfallpläne werden umfassend adressiert. Doch gerade in einem so detaillierten Regelwerk fällt eines besonders auf: Das Thema „Ratings“ und der Umgang mit externen Bonitätseinschätzungen werden mit keinem Wort explizit geregelt. Das ist nicht nur eine Lücke, sondern ein strukturelles Versäumnis.
In einer Zeit, in der Ratingurteile für Märkte, Emittenten und Produkte gleichermaßen risikobestimmend sind – insbesondere im Kontext der Bewertung von Anlageportfolios, der Allokation von Risikokapital oder bei Liquiditätsplanungen – ist es kaum nachvollziehbar, dass Ratings keine Rolle im BaFin-Rundschreiben spielen. Selbst dort, wo regelmäßig Bewertungen, Risikobewertungen oder Ergebnisermittlungen gefordert werden, bleibt unklar, ob und wie externe Bonitätsurteile einbezogen werden sollen – etwa als Input zur Modellkalibrierung, zur Einschätzung von Risikokonzentrationen oder zur Beurteilung von Abwicklungsrisiken.
Diese Auslassung ist aus mehreren Gründen problematisch. Erstens ignoriert sie, dass Ratings – bei aller berechtigten Kritik – ein marktetabliertes Frühwarnsystem darstellen, das regulatorisch längst anerkannt ist, etwa im Bankenaufsichtsrecht oder im Versicherungsaufsichtsgesetz. Zweitens versäumt es die BaFin damit, Wertpapierinstitute zu einem reflektierten und dokumentierten Umgang mit externen Ratings zu verpflichten. Gerade kleinere Institute verlassen sich häufig stark auf externe Urteile, ohne deren Aussagekraft kritisch zu hinterfragen oder in ihre internen Limitsysteme sauber zu integrieren.
Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn das Rundschreiben zumindest ein Mindestmaß an Leitlinien zum Einsatz von Ratings definiert hätte – etwa zur Einbettung in die Risikoinventur, zur Berücksichtigung in der Risikoberichterstattung oder zur Einordnung in Stresstestszenarien. Auch eine Auseinandersetzung mit dem Risiko einer zu starken Ratings-Abhängigkeit und der Forderung nach eigenständiger Validierung wäre angebracht gewesen.
Stattdessen hinterlässt die WpI MaRisk den Eindruck, Ratings seien für die Risikosteuerung nachrangig oder entbehrlich. Diese Haltung ist realitätsfern – gerade in einem Umfeld steigender Bonitätsrisiken, höherer Volatilität und zunehmender Marktverwerfungen. Wer Ratings ignoriert, verzichtet auf ein wichtiges Instrument zur Risikoorientierung. Wer sie unreflektiert nutzt, handelt grob fahrlässig. Die BaFin hätte hier stärker differenzieren und Orientierung geben müssen.
Die Regulierung von Risikomanagement darf sich nicht in operativen Anforderungen erschöpfen. Sie muss auch den methodischen Werkzeugkasten definieren – und dazu gehören Ratings zwingend. Die nächste Überarbeitung der WpI MaRisk sollte diesen blinden Fleck beheben.
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Niedrigzinsen sind kein Freibrief für geringes Risiko
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Sinkende Zinsen dürfen nicht als generelles Signal für sinkende Risiken verstanden werden – eine trügerische Gleichung, die an den Finanzmärkten immer wieder zu Fehlbewertungen führt. Gerade in einem Umfeld geldpolitischer Lockerung ist es entscheidend, zwischen geldpolitischem Kurs und fundamentalen Risikoeinschätzungen zu unterscheiden. Zinssenkungen reflektieren in vielen Fällen nicht eine Entwarnung, sondern im Gegenteil eine Reaktion auf bestehende oder wachsende wirtschaftliche Probleme. Wie Lauren van Biljon, Senior Portfolio Managerin bei Allspring Global Investments, betont: „Wenn es ein ‚hawkish cut‘ ist, dann ist es ein ‚hawkish cut‘ – also eine Zinssenkung, bei der gleichzeitig klar signalisiert wird, dass man sich Sorgen um das Lohnwachstum und den Arbeitsmarkt macht.“ Der Kapitalmarkt kann solche widersprüchlichen Signale aufnehmen, ohne dass sie sich unmittelbar in risikoadäquaten Aufschlägen widerspiegeln – im Gegenteil, in der Praxis werden teils sogar Anleihen mit schlechterem Rating zu niedrigeren Renditen gehandelt, wenn sie von der allgemeinen Zinsentwicklung profitieren.
Diese Entwicklung zeigt, dass Marktpreise nicht automatisch eine realistische Einschätzung des Kreditrisikos darstellen. Der Fokus auf Leitzinsen verstellt häufig den Blick auf fundamentale Schwächen der Emittenten – sei es im Unternehmens- oder Staatsbereich. Van Biljon verweist auf strukturelle Probleme wie „hartnäckiges Lohnwachstum“ und einen „angespannten Arbeitsmarkt“, die letztlich auf tieferliegende Angebotsprobleme verweisen, auf die geldpolitische Instrumente nur begrenzt wirken. Auch der Umgang mit Gilt-Verkäufen – also der Abbau von Anleihebeständen durch die Notenbank – sei unter diesen Umständen besonders sensibel, zumal „einige Spannungen \[…] am langen Ende der Kurve“ zu beobachten seien. Eine künstlich gedämpfte Zinsstrukturkurve darf also nicht als Garantie für solide Fundamentaldaten missverstanden werden.
Sophie Careford, Leiterin der internationalen Portfolio-Spezialisten bei Allspring, unterstreicht diese Einschätzung und warnt davor, vorschnelle Schlüsse aus der Zinsentwicklung zu ziehen. Ihrer Einschätzung nach wird zwar eine Zinssenkung erwartet, doch in Verbindung mit einem „vorsichtigen Tonfall seitens der Bank“, wobei Formulierungen wie „schrittweise und umsichtig“ oder „kein vorgezeichneter Kurs“ dominieren dürften. Es gehe nicht um einen grundlegenden Richtungswechsel, sondern um die Schaffung geldpolitischer Flexibilität in einem Umfeld multipler Unsicherheiten – schwachem Wachstum, hoher Kerninflation, einem fiskalisch restriktiven Umfeld und strukturellen Arbeitsmarktproblemen. Auch die Frage nach der Angemessenheit eines 2 %-Inflationsziels wird von Careford als diskussionswürdig erachtet: „So kontrovers es auch sein mag, es lohnt sich, die Allgemeingültigkeit des 2 %-Inflationsziels zu hinterfragen.“
Diese Ambivalenz der geldpolitischen Signale zeigt, warum Ratings als komplementäre Risikoeinschätzung an Bedeutung gewinnen. Wenn Marktpreise unter dem Eindruck geldpolitischer Maßnahmen verzerrt sind, können Ratings helfen, die risikoadäquate Bewertung von Emittenten und Anlageinstrumenten wieder herzustellen. Besonders in Zeiten, in denen die Märkte Zinssenkungen als Einladung zur Renditejagd verstehen, kommt es zu Fehlallokationen – gerade bei Anleihen mit schwächerer Bonität. Hier bieten Ratings eine wichtige Orientierung: Auch wenn der Marktzins fällt, bleibt das Ausfallrisiko bestehen – oder steigt sogar. Die Vorstellung, dass niedrigere Zinsen ein universelles Zeichen für Sicherheit seien, gehört daher zu den gefährlichsten Irrtümern der Kapitalanlage.
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Ratings als Schlüssel zu Private-Equity-Chancen
Von Dr. Oliver Everling | 6.August 2025
Die überarbeitete Verordnung zu europäischen Long-Term Investment Funds (ELTIF), die im Januar 2024 in Kraft getreten ist, hat einen tiefgreifenden Wandel auf den Kapitalmärkten angestoßen – insbesondere für Privatanleger. Erstmals erhalten diese nun in breiterem Maße Zugang zu Anlageformen, die zuvor nahezu ausschließlich institutionellen Investoren vorbehalten waren: Private Equity, Private Debt oder Infrastruktur. Diese Anlageformen versprechen nicht nur neue Renditechancen, sondern auch einen besseren Zugang zur wirtschaftlichen Realität jenseits börsennotierter Unternehmen. Doch wie können Privatanleger fundierte Entscheidungen treffen, wenn es um diese komplexen, nicht transparenten Märkte geht? Hier kommt dem Rating eine zentrale Rolle zu.
Ein Rating ist kein bloßes Zahlenurteil – es ist ein Instrument der Aufklärung, Einordnung und Risikotransparenz. Es schafft Orientierung in einem Markt, der durch geringe Informationsdichte, hohe Komplexität und eingeschränkte Liquidität geprägt ist. Gerade weil Private Markets nicht an der Börse gehandelt werden, fehlt die tägliche Kursfeststellung als Spiegel des Marktvertrauens. Ratings füllen diese Leerstelle, indem sie qualitative und quantitative Kriterien zu einem strukturierten Urteil verdichten. Die Ratingagentur Scope zeigt exemplarisch, wie dieser Beitrag in der Praxis aussieht: Laut Scope kamen im Jahr 2024 allein 55 neue ELTIFs auf den Markt – ein Zeichen für die Dynamik, aber auch für die Herausforderung, aus einer wachsenden Zahl von Angeboten die passenden zu identifizieren. Ratings helfen, Risiken zu klassifizieren und die Seriosität sowie die Erfolgswahrscheinlichkeit von Anlagevehikeln und Strategien einzuschätzen.
Doch die Herausforderung geht tiefer: Private-Equity-Anlagen erfordern ein grundsätzliches Verständnis des Marktes. Wie Marc Tavakolian, Head of Investor Relations bei ODDO BHF Private Assets, betont, sei die Bedeutung von Private-Equity-Investments für Anleger heute noch stark unterschätzt. „Das potenzielle Anlageuniversum auf den privaten Märkten ist größer als das an der Börse gehandelte“, so Tavakolian. Der Unterschied ist enorm: Während in Deutschland nur rund 438 börsennotierte Unternehmen existieren, die bestimmte Größenkriterien erfüllen, liegt die Zahl entsprechender privater Unternehmen bei über 16.000. Dieses Reservoir an unternehmerischem Potenzial kann durch klassische Aktienkäufe nicht erschlossen werden – hier beginnt die Relevanz von Private Equity und damit auch der Bedarf an fundierten, ratingsgestützten Entscheidungen.
Ein Rating beleuchtet nicht nur den Fonds als Vehikel, sondern auch die zugrunde liegende Strategie. Denn Private Equity ist nicht gleich Private Equity. Tavakolian verweist auf die vier typischen Phasen eines Fonds: Kapitalbeschaffung, Investmentperiode, Ausschüttungsphase und Liquidation. Jede Phase birgt andere Risiken – etwa Liquiditätsengpässe in der Anfangsphase oder Bewertungsunsicherheiten in der Investmentperiode. Hier kann ein Rating systematisch Transparenz schaffen: Welche Strategie wird verfolgt? In welchem Unternehmensstadium wird investiert? Sind es Venture-Capital-Investments in Startups ohne getestetes Geschäftsmodell? Oder Buyouts in reife Unternehmen mit stabilem Cashflow? Handelt es sich um Turnaround-Fonds, die mit hohen Risiken, aber auch entsprechendem Renditepotenzial verbunden sind?
Zentral ist dabei laut Tavakolian: „Daher geht es den Unternehmen bei der Entscheidung für Private Equity nicht allein um die Deckung des Kapitalbedarfs, der unter Umständen auch durch Kredite gedeckt werden könnte. Private-Equity-Investitionen bringen neben Geld auch Know-how, ohne dass Zinsen anfallen. Das macht sie nicht nur für die Anleger, sondern auch für die Unternehmen attraktiv.“ Genau hier schließt sich der Kreis zur Rolle des Ratings. Denn je stärker Know-how, Netzwerkqualität, Managementkompetenz und strategische Fokussierung eines Fonds in die Bewertung einfließen, desto besser können Anleger beurteilen, ob das Vehikel zu ihren Zielen und Risikoprofilen passt.
In einer Zeit, in der sich die Grenzen zwischen institutionellem und privatem Kapital auflösen und regulatorische Neuerungen wie die ELTIF-Novelle diesen Prozess beschleunigen, wird die Rolle von Ratingagenturen unverzichtbar. Sie fungieren als Brücke zwischen Transparenzanspruch und Intransparenzrealität, zwischen Anlegerinteresse und Anbieterverantwortung – und letztlich zwischen Hoffnung auf Rendite und Kontrolle des Risikos. Wer die Potenziale privater Märkte nutzen will, sollte daher Ratings nicht als Zusatzinformation betrachten, sondern als Voraussetzung für informierte Entscheidungen.
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„Too Big to Ignore“ – Wie der Handelsboom Credit Ratings herausfordert
Von Dr. Oliver Everling | 5.August 2025
Die jüngsten Quartalsergebnisse börsennotierter Unternehmen liefern, wie Dr. Christoph Bruns feststellt, ein vielsagendes Bild: „Zu den Auffälligkeiten gehören die starken Ergebnisse der Banken- und Brokerindustrie.“ Die hohe Volatilität an den Finanzmärkten, die geopolitische Verschiebungen, geldpolitische Unsicherheiten und technische Innovationen reflektiert, hat sich als lukratives Umfeld für den Handel mit Finanzprodukten erwiesen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass auch neue Märkte wie der Handel mit Kryptowährungen an Bedeutung gewinnen – obwohl viele dieser Produkte wenig Substanz aufweisen. Trotzdem ist der Handel enorm, was Bruns mit einem bezeichnenden Zitat unterstreicht: „Ungeachtet der fehlenden Substanz hinter den meisten Kryptos vollzieht sich auf dem Feld ein enormer Handel.“ Die Antwort der Bank of America auf die Frage nach dem Engagement in diesem Markt bringt die zugrunde liegende Logik auf den Punkt: „It is too big to ignore!“
In diesem Spannungsfeld zwischen spekulativem Handelserfolg und fragwürdiger Wertbasis wird die Rolle klassischer Bewertungsinstrumente wie der Credit Ratings zunehmend problematisch. Die Bonitätsnoten, einst als stabiler Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und Staaten gedacht, laufen Gefahr, an Relevanz zu verlieren. Denn der Markt hat sich verändert: „Klar ist jedoch, dass der Markt handelbarer Finanzprodukte größer denn je und obendrein ein Wachstumsmarkt ist.“ In einer solchen Umgebung zählen weniger langfristige Fundamentaldaten als vielmehr kurzfristige Opportunitäten. Unternehmen wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder BNP Paribas profitieren ebenso wie neuere Akteure: „Zu den Auffälligkeiten im Brokerage-Geschäft zählt unter anderem der kometenhafte Aufstieg des US-Anbieters Robinhood.“ Dass dieses Unternehmen heute mit einem Marktwert von fast 90 Milliarden US-Dollar die meisten europäischen Großbanken „deutlich in den Schatten“ stellt, verweist auf eine tektonische Verschiebung innerhalb der Finanzarchitektur.
Dabei bleiben die grundlegenden mentalen Muster der Finanzindustrie offenbar bestehen. Bruns erinnert an das geflügelte Wort von Citigroup-Chef Chuck Prince, der die Haltung der Branche im Vorfeld der Subprime-Krise treffend beschrieb: „Man müsse weitertanzen, solange die Musik spiele.“ Heute ist die Musik lauter denn je, und der Tanz hat globalen Charakter: „Auch chinesische, japanische und britische Wertpapierhäuser melden gute Zahlen.“ Die Beteiligung privater Anleger an den gestiegenen Handelsvolumina ist dabei nicht zu unterschätzen – ein Trend, der ebenso Chancen wie Risiken birgt.
Gerade in einem solchen Umfeld stellt sich die Frage, ob Ratings den heutigen Märkten noch gerecht werden. Wenn Werte zunehmend durch Handelsaktivität selbst und weniger durch wirtschaftliche Substanz oder Stabilität entstehen, geraten klassische Bewertungskriterien ins Hintertreffen. Die Dynamik des Marktes, wie Bruns sie schildert, lässt erkennen, dass sich die Finanzwelt in einem Zustand ständiger Bewegung befindet – während Credit Ratings in ihrer Trägheit oft nur ein Abbild der Vergangenheit zu liefern scheinen.
Angesichts dieser Entwicklungen sind auch die Ratingagenturen gefordert, ihre Analysemodelle und Bewertungsmethoden grundlegend zu überdenken. Wenn Märkte sich zunehmend durch spekulative Dynamik, technologische Innovationen und kurzfristige Kapitalströme definieren, reicht eine ausschließliche Fokussierung auf traditionelle Kennzahlen wie Verschuldungsgrad oder Zinsdeckungsquote nicht mehr aus. Vielmehr bedarf es einer erweiterten Methodik, die auch systemische Risiken aus der hohen Handelsaktivität, der Rolle privater Anleger oder der wachsenden Bedeutung von schwer bewertbaren Assets wie Kryptowährungen berücksichtigt. Nur wenn Ratingagenturen sich diesen Realitäten stellen, können ihre Urteile auch künftig verlässliche Orientierung bieten. Es wäre an der Zeit, dass sie – ganz im Sinne des Zitats der Bank of America – anerkennen: „It is too big to ignore!“
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Boom, Bust – und das Ende der Zinslogik: Dr. Polleits Report als Weckruf für Investoren
Von Dr. Oliver Everling | 2.August 2025
Seit April 2024 bietet Thorsten Polleit mit seinem neuen „Boom & Bust Report“ einen ebenso markanten wie eigenständigen Dienst für investitions- und geldpolitisch interessierte Leser an. Der Report erscheint regelmäßig als digitaler Newsletter und kombiniert ökonomische Analyse mit pointierten Kommentaren zur makroökonomischen Entwicklung, insbesondere zur Geldpolitik, zum Verhalten der Zentralbanken und zu den Konsequenzen für Märkte wie Gold, Silber, Aktien und Anleihen.
Die Darstellungsform ist geprägt von einer klaren, meinungsstarken Sprache, häufig untermalt mit historischen Grafiken, Datenreihen und Zitaten, die ökonomische Entwicklungen über Jahrzehnte hinweg sichtbar machen. Polleit bezieht sich auf klassische ökonomische Prinzipien, insbesondere der Österreichischen Schule, und tritt in klarem Gegensatz zu keynesianisch geprägter Politik und moderner Geldtheorie auf. Der Stil ist erklärend, aber nicht akademisch trocken, sondern richtet sich bewusst an engagierte Privatanleger und institutionelle Investoren, die jenseits des Mainstreams denken und handeln möchten.
Ein zentrales Thema des Reports vom Juli 2025 ist die Entkopplung zwischen Langfristzinsen und dem Goldpreis. Der Goldpreis hat sich — entgegen klassischer Annahmen — zuletzt auch bei steigenden Zinsen nach oben bewegt. Dies deutet laut Polleit auf eine wachsende Vertrauenskrise gegenüber dem Fiatgeldsystem hin. Die Zentralbanken, so seine These, manipulierten zunehmend die Kreditmärkte und verlören dabei die Kontrolle über die Zinssignale. Der Zins, traditionell als Preis des Geldes verstanden, spiegele längst nicht mehr Angebot und Nachfrage wider, sondern werde durch geldpolitische Eingriffe künstlich verzerrt.
Hier kommt der Bezug zu Credit Ratings ins Spiel: Wenn Zinsen als ökonomisches Bewertungssignal ausfallen, können auch klassische Risikoeinschätzungen – wie sie Ratings darstellen – an Aussagekraft verlieren. Wenn Kapitalmarktpreise politisch beeinflusst oder manipuliert sind, ist die Aussagekraft marktbasierter Indikatoren für Kreditrisiken zwangsläufig reduziert. Ratingagenturen, die sich auf Märkte und Modelle stützen, laufen so Gefahr, Fehlbewertungen systematisch zu wiederholen oder zu unterschätzen – insbesondere in Zeiten finanzieller Repression.
Polleit verdeutlicht diesen Zusammenhang, indem er aufzeigt, dass der Goldpreis heute eine Funktion anderer Erwartungen ist: Erwartungen eines systemischen Wandels, möglicherweise sogar eines Währungsregimewechsels. Er präsentiert zwei Szenarien: Entweder preist der Goldmarkt korrekt eine Rückkehr zu sinkenden Zinsen und weiterem Geldmengenwachstum ein (Szenario 1), oder er liegt falsch und wird sich korrigieren müssen (Szenario 2). Polleit hält das erste Szenario für wahrscheinlicher. Daraus folgt für ihn ein klarer Rat an Investoren: Gold behalten oder kaufen – nicht verkaufen.
Auch zur Rolle von Zentralbanken bezieht der Report dezidiert Stellung. Die angebliche politische Unabhängigkeit von Notenbanken sei ein Mythos, argumentiert Polleit. De facto gebe es längst eine fiskalische Dominanz: Zentralbanken agierten zunehmend als Finanzierungsinstrumente überschuldeter Staaten. Zinssenkungen und Anleihekäufe dienten dabei nicht mehr der Stabilität oder Preisniveausicherung, sondern der indirekten Staatsfinanzierung. Auch dies untergrabe die Aussagekraft von Ratings, da die Kreditwürdigkeit von Staaten in einem manipulierten Zinsumfeld kaum noch marktbasiert zu ermitteln sei.
Der „Boom & Bust Report“ positioniert sich damit als Stimme gegen die ökonomische Orthodoxie und als intellektuelles Werkzeug für Investoren, die verstehen wollen, warum Märkte nicht mehr funktionieren wie früher. Seine kritische Haltung gegenüber politischer Einflussnahme auf Märkte, seine detaillierten Auswertungen makroökonomischer Daten und seine klaren Anlageimplikationen machen ihn zu einem relevanten Angebot in einer Zeit wirtschaftlicher Verunsicherung.
Inhaltlich anspruchsvoll, stilistisch zugespitzt und mit einem klaren Zielpublikum im Blick – so lässt sich Polleits neuer Dienst zusammenfassen. Dass er dabei auch zentrale Prämissen des bestehenden Finanzsystems infrage stellt, verleiht dem Report eine Brisanz, die über klassische Anlageempfehlungen hinausgeht. Wer Credit Ratings, Zinsentwicklungen oder die Rolle von Gold im Portfolio verstehen will, erhält hier wertvolle, wenn auch provokante Impulse.
Themen: Ratings | Kommentare deaktiviert für Boom, Bust – und das Ende der Zinslogik: Dr. Polleits Report als Weckruf für Investoren