Resilienz als Wachstumsmotor im Banking der Zukunft
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
In Zeiten permanenter Unsicherheit und globaler Polykrisen wird Resilienz zur entscheidenden Fähigkeit für Banken, nicht nur zu überleben, sondern profitabel zu wachsen. Matthias Scholz, Partner bei BearingPoint, machte in seinem Vortrag auf der Jahreskonferenz „Finanzdienstleister der nächsten Generation“ des Frankfurt School Forum deutlich: Die Herausforderungen unserer Zeit – vom Brexit über die Pandemie bis hin zu Kriegen, Handelskonflikten und einem wachsenden Fachkräftemangel – lassen keine Phase der Stabilität mehr zu. Banken, die in diesem Umfeld weiterhin Spitzenleistungen erbringen wollen, benötigen eine klare Antwort: eine strategisch verankerte, ganzheitlich gedachte Resilienz.
Scholz stellte dabei das Konzept des „NEW“-Banking vor – Nachhaltigkeit, Effizienz und Wachstum als Leitmotive für zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Resilienz bildet dabei das Fundament: Sie schafft nicht nur Schutz, sondern eröffnet auch Chancen. Entscheidend ist jedoch, nicht nur auf Krisen zu reagieren, sondern die Widerstandsfähigkeit strukturell in die Organisation zu integrieren. Fünf zentrale Bereiche stehen dabei im Mittelpunkt: Kunden, Mitarbeitende, Governance, Daten und Technologie.
Im Zentrum steht der Kunde – und der Anspruch, ihn wirklich zu verstehen. Banken benötigen eine umfassende 360-Grad-Sicht auf ihre Kund\:innen, um deren Bedürfnisse vorausschauend zu adressieren. Der Trend ist eindeutig: 58 % der Bankkund\:innen bevorzugen mobile Anwendungen oder Webseiten als primären Kommunikationskanal. Erfolgreiche Banken kombinieren daher das Beste aus digitaler Effizienz und persönlicher Nähe in einem hybriden Modell, das Online und Filialerlebnis intelligent verbindet.
Die zweite Säule bilden die Mitarbeitenden – als Schlüsselressource und Engpass zugleich. Bis 2030 droht Banken und Versicherern der Verlust von bis zu 30 % der Arbeitskräfte. Umso wichtiger ist es, Prozesse intelligent zu digitalisieren, neue Arbeitsmodelle zu etablieren und Fähigkeiten gezielt zu steuern. Resilienz bedeutet hier nicht nur Widerstandsfähigkeit, sondern auch Anpassungsfähigkeit – in Strukturen, Kompetenzen und Denkweisen.
Governance und Unternehmenskultur bilden die dritte Säule. Deutschland liegt mit einer Cost-Income-Ratio von 59,2 % deutlich hinter skandinavischen Banken (CIR ca. 9,9 %). Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Banken effizienter, flexibler und kulturstärker werden. Resiliente Governance bedeutet: klare Strukturen, schnelle Entscheidungen, vereinfachte Prozesse – und eine Unternehmenskultur, die Wandel nicht nur zulässt, sondern fördert.
Daten und Technologie schließlich sind die Werkzeuge, mit denen Resilienz konkret umgesetzt werden kann. Nur wer datenbasiert handelt, kann flexibel auf Veränderungen reagieren, Risiken frühzeitig erkennen und gezielt steuern. Investitionen in Technologie sind dabei nicht nur ein Mittel zur Effizienzsteigerung, sondern auch zur Absicherung des Geschäftsmodells in einem volatilen Umfeld.
Matthias Scholz machte klar: Resilienz ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess. Sie entsteht nicht durch einzelne Maßnahmen, sondern durch das Zusammenspiel von Kundenorientierung, Mitarbeiterkompetenz, guter Führung und intelligenter Technologie. Wer Resilienz im Sinne des „NEW“-Banking versteht und umsetzt, hat nicht nur die Kraft zur Krisenbewältigung – sondern auch die Grundlage für nachhaltiges, profitables Wachstum.
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Der perfekte Cyber-Sturm: Wenn KI und Weltpolitik kollidieren
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
In seiner eindrucksvollen Keynote auf der Jahreskonferenz „Finanzdienstleister der nächsten Generation“ des Frankfurt School Forum zeichnete Sergej Epp, Global CISO und Mitglied des Executive Teams bei Sysdig, ein alarmierendes Bild der aktuellen Bedrohungslage: Wir befinden uns am Beginn eines „perfekten Sturms“ – ausgelöst durch die Verschmelzung von Künstlicher Intelligenz, geopolitischen Spannungen und einer rasant wachsenden digitalen Angriffsfläche. Was heute noch Science-Fiction scheint, wird morgen Realität: autonome Hacking-Operationen, Deepfakes auf C-Level-Niveau und eine Geschwindigkeit der Bedrohung, mit der klassische Sicherheitsmechanismen schlicht nicht mehr Schritt halten können.
Epp begann seinen Vortrag mit einem eindrücklichen Beispiel: JoeBot, eine KI, die beim Online-Spiel Counter-Strike binnen kürzester Zeit das Spielverhalten von Profispielern imitieren konnte – präzise, adaptiv, gnadenlos effizient. Was in der Gaming-Welt beeindruckt, ist im Cyberraum brandgefährlich. Der Bogen spannte sich von der bekannten Carbanak-Bande, die über 100 Banken weltweit um Milliarden betrogen haben soll, bis hin zu modernen Angriffen wie der Scarleteel-Kampagne, bei der in nur 220 Sekunden sensible Daten erbeutet wurden – vom Erstzugriff bis zur Extraktion.
Die Bedrohungslage wird zusätzlich durch die geopolitische Entwicklung verschärft. Epp verwies auf den „China-Faktor“ – von Industriespionage über gezielte IP-Diebstähle bis hin zu digitaler Präpositionierung. Sektoren wie Wind- und Solarenergie seien bereits Ziel solcher Operationen. Der Cyberraum wird zum geopolitischen Schlachtfeld, auf dem nicht mehr nur Staaten agieren, sondern zunehmend auch autonome Systeme.
Zudem leidet die technische Grundlage vieler Unternehmen an strukturellen Schwächen: 92 % der erfolgreichen Ransomware-Angriffe erfolgen über unverwaltete Geräte, 97 % der Zugriffsrechte auf Workload-Identitäten bleiben ungenutzt, über 60 % aller Container leben weniger als eine Minute – perfekte Bedingungen für Angreifer, die kaum Spuren hinterlassen. Besonders beunruhigend: 77 % des Codes in heutigen Anwendungen stammt aus Open-Source-Quellen, und 74 % davon enthalten bekannte Schwachstellen. Die Risiken entlang der gesamten Software-Supply-Chain explodieren – etwa durch kompromittierte Tools wie „zx utils“.
Gleichzeitig verändert Künstliche Intelligenz die Angriffs- wie Verteidigungsseite radikal. Während Sicherheitsabteilungen früher noch mit Hackern und später mit Softwareentwicklern Schritt halten mussten, stehen sie ab 2025 zunehmend im Wettbewerb mit KI-Agenten. Autonome Hacking-Systeme sind keine Zukunftsvision mehr – sie werden bereits heute in simulierten Cyber-Ranges getestet, mit realistischen Szenarien und echten Zielumgebungen. OpenAI-Modelle wie o3 beweisen bereits ihre Effizienz in über 100 simulierten, multidisziplinären Cyberübungen.
Auch das Vertrauen in die digitale Identität erodiert. Prominente Beispiele wie der Deepfake-Angriff auf den Bayer-CEO zeigen: Die „menschliche Firewall“ wird durch täuschend echte Videos, Stimmen und Bots systematisch ausmanövriert. Die KI-Systeme werden so leistungsfähig und zugänglich, dass sie von jedermann eingesetzt werden können – für gute wie für zerstörerische Zwecke. Die Fähigkeit von KI, Aufgaben zu übernehmen, verdoppelt sich aktuell alle sieben Monate.
Was also tun in einem Umfeld, das sich schneller verändert als jede Abwehrmaßnahme greifen kann? Sergej Epp skizzierte eine neue Verteidigungsphilosophie: Zero Trust muss der Grundsatz jedes Unternehmens werden. Jeder Mitarbeitende wird als potenzieller Insider behandelt, jede Anwendung als kompromittiert, jeder Lieferant als Einfallstor. Digitale Identität – von Mensch und Maschine – muss neu gedacht, konsequent überwacht und permanent erneuert werden. Sicherheitsstrategien müssen nicht nur mithalten, sondern sich radikal neu erfinden. Wer sich nicht laufend anpasst, wird vom Sturm mitgerissen.
Epps Fazit: Die Zukunft gehört denjenigen, die den Wandel antizipieren, nicht denjenigen, die nur reagieren. Die neue Realität ist da – und sie ist schneller, intelligenter und gefährlicher als je zuvor.
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GRC neu gedacht: Mit Integration und KI zu resilientem IKT-Risikomanagement
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
In seinem Vortrag auf der 20. Jahreskonferenz „Finanzdienstleister der nächsten Generation“ des Frankfurt School Forum machte Dr. Hermann Hienz, Leiter Cybersecurity bei Sopra Steria, deutlich: Die Zeit fragmentierter Governance-, Risiko- und Compliance-Strukturen ist vorbei. Angesichts einer immer kritischeren Bedrohungslage und wachsendem regulatorischem Druck brauche es ein radikales Umdenken im IKT-Risikomanagement – weg von Silos, hin zu einem integrierten, technologiegestützten Ansatz.
Der finanzielle Schaden durch Cyberkriminalität allein im Jahr 2024 wird laut Bitkom auf über 178 Milliarden Euro geschätzt. Parallel dazu wächst das regulatorische Korsett unaufhörlich – von DORA, NIS2, CRA und DSGVO über die EBA-Leitlinien bis hin zu MaRisk, BAIT und dem IT-Sicherheitsgesetz. DORA allein umfasst über 650 Seiten – ein Zeichen dafür, wie komplex und tiefgreifend die Anforderungen inzwischen geworden sind. Doch während der externe Druck zunimmt, beobachten Hienz und sein Team in der Praxis häufig interne Schwächen: dezentrale Zuständigkeiten, widersprüchliche Rollenbilder, redundante Prozesse, fragmentierte Technologie und ein spürbarer Mangel an Veränderungsbereitschaft.
Sein Plädoyer: Nur ein integriertes GRC-Modell, das sämtliche Funktionen – von Prozessmanagement, BCM und Datenschutz über IKT-Assetmanagement bis hin zu Testprogrammen – in einem konsistenten Rahmen zusammenführt, kann den gestiegenen Anforderungen gerecht werden. Dieses Modell basiert auf klaren Zielbildern, strukturierter Periodisierung und einer übergreifenden Prozesslandkarte, die es erlaubt, IKT-Risiken nicht nur zu erfassen, sondern systematisch zu steuern und zu kommunizieren. Dabei rückt auch die Rolle des IKT-Risikomanagements als Informationsabnehmer immer stärker in den Fokus: Prozesse, die nicht klar beschrieben, gesteuert oder dokumentiert sind, bleiben blind für Risiken.
Ein zentrales Werkzeug dieser neuen GRC-Denke ist der technologische Unterbau. Der Einsatz moderner GRC-Plattformen ermöglicht Automatisierung, Transparenz und Standardisierung. Damit entsteht nicht nur Ordnung in der Komplexität, sondern auch eine neue Form der Zusammenarbeit – bereichsübergreifend, nachvollziehbar und resilient. „Der Einsatz von KI ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit“, so Hienz. Nur mit künstlicher Intelligenz sei es möglich, die riesigen Datenmengen zu bewältigen, Muster zu erkennen und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. KI unterstütze nicht nur bei der Optimierung, sondern sei auch zentraler Treiber für die kontinuierliche Verbesserung (KVP) der gesamten GRC-Architektur.
Hienz betonte außerdem die strategische Bedeutung der Governance-Struktur. Die Bündelung der sogenannten Second-Line-Funktionen im Bereich „Non-Financial Risk“ sei essenziell, um Widersprüche in der Steuerung zu vermeiden und klare Verantwortlichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig müsse Schulung und Kommunikation auf allen Ebenen regelmäßig erfolgen – nicht nur als regulatorische Pflicht, sondern als Voraussetzung für gelebte Resilienz.
Sein Fazit: Ein integriertes GRC-Rahmenwerk ist mehr als ein neues Organigramm – es ist ein Kulturwandel. Es befähigt Organisationen, Risiken nicht nur zu verwalten, sondern aktiv zu gestalten. Und es macht Unternehmen bereit für das, was kommt – egal ob Angriff, Ausfall oder Audit. Wer Governance, Risiko und Compliance endlich zusammen denkt, gewinnt nicht nur Kontrolle, sondern Zukunftsfähigkeit.
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Resilienz braucht Führung, nicht nur Vorschrift
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
In seinem Praxisbeitrag auf der 20. Jahreskonferenz „Finanzdienstleister der nächsten Generation“ des Frankfurt School Forum stellte Tobias Ludwichowski, Chief Information Security Officer der Signal Iduna Gruppe, die zentrale Frage: „Wie wird ein Unternehmen wirklich resilient?“ Mit dem klaren Ziel vor Augen, dass nur ein widerstandsfähiger Geschäftsbetrieb auch zukunftsfähig ist, zeigte Ludwichowski auf, wie man Resilienz nicht nur auf dem Papier entwirft, sondern sie strukturell verankert – auf allen Ebenen, in allen Prozessen und mit klarer Verantwortlichkeit.
Angesichts der aktuellen Risikolage ließ Ludwichowski keinen Zweifel daran, dass es höchste Zeit für einen Perspektivwechsel ist: „Cyber Incidents“ stehen heute auf Platz eins der wichtigsten Unternehmensrisiken. Doch Resilienz ist weit mehr als IT-Sicherheit. Die Umsetzung regulatorischer Anforderungen wie DORA sei keine technische, sondern eine gesamtunternehmerische Aufgabe – strategisch, organisatorisch, kulturell.
Der Vortrag folgte dabei einem zweistufigen Ansatz: Zuerst gelte es zu klären, „was Resilienz im jeweiligen Unternehmenskontext bedeutet“ – welche Ziele verfolgt werden, welche konkreten Auswirkungen dies auf Geschäftsprozesse, Produkte und Organisationseinheiten hat. Danach folgt das „Wie der Umsetzung“: Welche Anforderungen ergeben sich daraus für Anwendungen, Systeme, Prozesse – bis hinunter zur Serverinfrastruktur und den Gebäuden? Ludwichowski betonte: „Gutes Design ist wichtig – echte Resilienz entsteht jedoch erst durch konsequente Umsetzung.“
Besonderes Augenmerk legte der CISO auf das Verständnis von Governance. Für eine erfolgreiche Umsetzung von DORA reiche es nicht aus, regulatorische Vorgaben zu erfüllen. Es brauche ein modernes Governance-Verständnis, das über die klassische Projektlogik hinausgeht. Gesetzliche Pflicht sei kein Treiber für Wandel – nur die tatsächliche Wirksamkeit könne überzeugen. Transparenz sei hierbei der Schlüssel, denn „niemand mag Überraschungen“. Deshalb müsse Resilienz ganzheitlich gedacht und entlang der gesamten digitalen Lieferkette operationalisiert werden – von der Strategie bis zur Datenbank, vom Prozess bis zum physischen Gebäude.
Ludwichowski kritisierte die typischen Schwächen klassischer Programmorganisationen: Ihnen fehle oft der Hebel, um neue Strukturen in den operativen Alltag zu überführen. Der Folgeaufwand für die Linienorganisation werde häufig unterschätzt. Deshalb sei es entscheidend, die Linienorganisation frühzeitig einzubinden – mit klarer Kommunikation, einheitlicher Steuerung und einem zentralen Vorgehen für die Operationalisierung. Nur so könne aus Konzepten gelebte Praxis entstehen.
Ein zentrales „Drehkreuz“ müsse sicherstellen, dass die in Projekten entwickelten Maßnahmen nicht nur konzipiert, sondern auch tatsächlich überführt, umgesetzt und qualitätsgesichert werden. Ludwichowski sprach dabei von einer systematischen Übertragung: von der Herstellung in die Operationalisierung – unterstützt durch Arbeitsaufträge, Tickets, klare Zuständigkeiten und lückenlose Nachvollziehbarkeit. Der entscheidende Punkt sei: „Jeder Manager hat ein großes Interesse daran, jeden Monat auf Null zu stehen.“ Die Methode: Tausende von Tickets, gezielt in die Organisation hineingeschossen, sichern Verantwortung, Verbindlichkeit und Umsetzung – transparent und überprüfbar.
Sein Fazit: Resilienz ist kein Projekt, sondern eine Haltung. Sie entsteht nicht durch Regulierungsdruck, sondern durch überzeugte Führung, durchdachte Strukturen und konsequente Operationalisierung. Nur wenn all diese Elemente zusammenwirken, wird aus einer Anforderung eine tatsächliche Fähigkeit zur Widerstandsfähigkeit – und damit ein echter Wettbewerbsvorteil im digitalen Zeitalter.
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DORA: Regulatorische Pflicht oder echter Resilienztest für den Finanzsektor?
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
Auf der 20. Jahreskonferenz „Finanzdienstleister der nächsten Generation“ des Frankfurt School Forum diskutierten Armin Reinhardt, Senior Manager Risk Advisory Insurance bei Deloitte, und Jens Bläser, Director bei Deloitte, eine der drängendsten Fragen der Branche: „Macht DORA Finanzinstitute wirklich widerstandsfähiger?“ Ihre gemeinsame Analyse des Digital Operational Resilience Act(DORA) offenbarte ein differenziertes Bild – zwischen regulatorischer Notwendigkeit, strukturellem Paradigmenwechsel und praktischen Herausforderungen bei der Umsetzung.
Beide Experten machten deutlich: DORA verändert die Spielregeln im Finanzsektor grundlegend. Während früher einzelne Vorgaben ausreichten, verlangt DORA ein durchgängiges, wirksam funktionierendes Resilienzmanagement. Es geht nicht mehr nur darum, Dokumente zu erstellen, sondern darum, dass Prozesse tatsächlich gelebt werden – im Alltag, in der Krise, in der gesamten digitalen Infrastruktur. Der Anspruch ist hoch: Resilienz muss messbar, steuerbar und überprüfbar sein – und zwar institutionenweit.
Dabei greift die Regulierung tief in bestehende Strukturen ein. Erstmals kommen viele IT-Dienstleister, die bisher im Hintergrund arbeiteten, durch DORA direkt in den Fokus der Bankenaufsicht. Ob Informationsregister, IKT-Vorfälle oder Drittparteirisiken: Die Anforderungen an Governance, Risiko- und Incident-Management steigen erheblich. Die Referenten zeigten auf, dass der aktuelle Umsetzungsstand in der Praxis stark variiert – insbesondere in den Dimensionen Governance & Strategie, IKT-Risikomanagement, Drittparteiensteuerung, Vorfallmanagement, Business Continuity Management sowie Testing.
Ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Threat-Led Penetration Testing (TLPT). Wer dieses verpflichtende Testverfahren unterlässt, riskiert empfindliche Sanktionen – laut Jens Bläser bis zu 5 Millionen Euro. Auch eine Nichtmeldung von IKT-bezogenen Vorfällen kann teuer werden. Verstöße gegen DORA betreffen nicht nur das FinmadiG, sondern ebenso VAG und KWG. Damit wird deutlich: Die digitale operative Resilienz ist kein Spezialthema mehr, sondern rückt ins Zentrum regulatorischer Aufsicht.
Trotz aller Anforderungen und Risiken bleiben gewisse Einschränkungen. Reinhardt und Bläser betonten, dass auch ein vollständig DORA-konformes Institut nicht automatisch vor digitalen Angriffen geschützt ist. Wenn Angriffe im Hintergrund unentdeckt bleiben, Daten extrahiert und Spuren verwischt werden, können selbst umfangreiche Resilienzmaßnahmen ins Leere laufen. DORA decke zwar alle Phasen eines Angriffs ab – vom Eindringen bis zur Datenausleitung –, doch letztlich komme es auf die konsequente Umsetzung und operative Wirksamkeit an.
Fazit der beiden Deloitte-Experten: DORA bringt ohne Zweifel ein neues Resilienzniveau in die Finanzbranche – jedoch nur dann, wenn die Regeln nicht nur dokumentiert, sondern auch täglich gelebt und geprüft werden. Der Weg zur echten Widerstandsfähigkeit ist damit nicht nur ein regulatorischer, sondern vor allem ein kultureller und technologischer Transformationsprozess.
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Resilienz statt Rausch: BNP Paribas über die Zukunft der Bank
Von Dr. Oliver Everling | 14.Mai 2025
Die Zukunft der Finanzbranche verlangt nicht nur innovative Technologien, sondern vor allem auch Stabilität, Anpassungsfähigkeit und Vertrauen. Unter diesem Leitmotiv stand die 20. Jahreskonferenz des Frankfurt School Forum, die am 14. Mai 2025 unter dem Titel „Finanzdienstleister der nächsten Generation 25 – Cybersecurity, Threat Intelligence, Gen AI, Resilience“ an der Frankfurt School of Finance & Management stattfand. Die Jubiläumsausgabe der renommierten Veranstaltungsreihe bot eine hochkarätige Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft, Finanzwirtschaft und Technologiebranche. Moderiert wurde die Konferenz von Prof. Dr. Daniel Beimborn, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Bamberg, der mit einem klaren Fokus auf die strategische Rolle von IT, Sicherheit und Innovation durch das Programm führte.
Zum Auftakt stellte Prof. Beimborn den ersten Redner des Tages vor: Dr. Carsten Esbach, Chief Operating Officer für Deutschland und Österreich bei BNP Paribas. In seiner Opening Keynote sprach Dr. Esbach über „Resilienz als kritischer Erfolgsfaktor für ein europäisches Kreditinstitut“ und lieferte einen tiefen Einblick in das Selbstverständnis, die strategischen Prioritäten und die operative Realität eines der führenden Finanzinstitute Europas.
BNP Paribas, so Esbach, verstehe sich als europäische Bank mit globaler Reichweite – tätig in 64 Ländern und mit rund 175.000 Mitarbeitenden weltweit. Die Struktur der Gruppe sei bewusst breit diversifiziert: sowohl geografisch als auch hinsichtlich der Kundensegmente, Branchen und Geschäftsbereiche. Das Geschäftsmodell ruhe auf drei zentralen Säulen – Commercial, Personal Banking & Services; Investment & Protection Services; sowie Corporate & Institutional Banking – und sei mit Bedacht solide aufgestellt. Dr. Esbach griff dabei auf ein einprägsames Bild zurück: Die Bank sei „ohne Alkohol“ aufgestellt – nicht spektakulär berauschend, aber eben auch ohne Kater. Diese nüchterne, verantwortungsbewusste Haltung spiegele sich auch in der Performance der Aktie wider, der man eine Entwicklung wie einem Rentenpapier nachsage: stabil, vorhersehbar, risikoarm.
Ein zentrales Element dieser Stabilität sei die robuste Finanzstruktur der Gruppe. Die CET1-Quote – ein wesentlicher Indikator für die Eigenkapitalausstattung – liegt bei 12,4 Prozent. Doch Resilienz bedeute für BNP Paribas mehr als nur Bilanzkennzahlen. Entscheidend seien ebenso technologische Innovationskraft, operative Widerstandsfähigkeit und ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Mit über 780 implementierten KI-Anwendungsfällen bis zum ersten Halbjahr 2024 gehört BNP Paribas zu den technologisch führenden Banken in Europa. Rund 800 Spezialistinnen und Spezialisten arbeiten konzernweit im Bereich Künstliche Intelligenz. Mehr als 260 Initiativen, Pilotprojekte und Proof-of-Concepts wurden mit innovativen EinTechs umgesetzt – darunter auch mit dem vielbeachteten Start-up Mistral.ai. Die Cloud-Nutzung nimmt kontinuierlich zu: 49 Prozent der Anwendungen basieren inzwischen auf Cloud-Infrastrukturen, was einem Zuwachs von 50 Prozent seit Beginn des aktuellen Strategieplans entspricht.
Auch regulatorische Anforderungen wie die europäische DORA-Verordnung – Digital Operational Resilience Act – stehen im Fokus. Esbach machte deutlich, dass DORA kein einmaliges Projekt sei, sondern als kontinuierliche Managementaufgabe verstanden werde. Die Sicherstellung einer verlässlichen, widerstandsfähigen und transparenten IT-Infrastruktur sei eine Grundvoraussetzung für die Erreichung der Unternehmensziele und zur Minimierung operationeller Risiken. Dazu gehört auch der strategische Ausbau von Partnerschaften, etwa mit IBM Cloud, um IT-Sicherheit und Skalierbarkeit langfristig zu gewährleisten.
Ein weiteres Highlight der Präsentation war das Kontomodell „Nickel“, das exemplarisch für die Philosophie von BNP Paribas steht, Banking für alle zugänglich, verständlich und sicher zu machen. Nickel verzichtet bewusst auf Dispokredite, um Kundinnen und Kunden volle Kontrolle über ihr Geld zu ermöglichen – ohne Überraschungen, ohne versteckte Risiken. Das Konto sei für alle gedacht: jung oder alt, arm oder reich, für Ramensäue ebenso wie für Couchpotatoes, so Esbach mit einem Augenzwinkern. Das Prinzip dahinter sei einfach: Jeder Mensch verdiene Zugang zu Zahlungsdienstleistungen – um bezahlen zu können und bezahlt zu werden. Nickel sei „100 Prozent nützlich und 0 Prozent riskant“ – ein klares Statement für inklusive Finanzprodukte im digitalen Zeitalter.
Neben Kunden und Technologie richtete Esbach einen besonderen Fokus auf die Mitarbeitenden. BNP Paribas investiere gezielt in eine moderne, digitale Arbeitsumgebung, die weltweit konsistent, benutzerfreundlich und leistungsfähig sei. Die Grundlage für den Erfolg dieser Transformation sei die breite Akzeptanz durch die Mitarbeitenden – ermöglicht durch eine gelungene Verbindung aus funktionalem Design, intuitiver Bedienung und hoher Performance. Die Unternehmenskultur sei geprägt von flachen Hierarchien, einem selbständigen Arbeitsstil und einer hohen Diversität. Ein besonderes Augenmerk liege auf der Gesundheit und Entwicklung der Mitarbeitenden sowie auf der internen Mobilität, die zahlreiche Karrieremöglichkeiten eröffne.
Zum Abschluss seiner Keynote betonte Dr. Esbach, dass BNP Paribas durch ein robustes Geschäftsmodell, kontinuierliche technologische Innovation und ein starkes Engagement für Nachhaltigkeit hervorragend aufgestellt sei, um zukünftige Herausforderungen zu meistern, Chancen zu nutzen und nachhaltiges Wachstum zu sichern. In einer Zeit wachsender Unsicherheiten und rasanten Wandels sei Resilienz keine Option mehr – sondern die Grundlage langfristiger Wettbewerbsfähigkeit.
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Zollpause als Chance – aber Unsicherheiten bleiben
Von Dr. Oliver Everling | 13.Mai 2025
„Die Einigung zwischen China und den USA auf eine 90-tägige ‚Zollpause‘ ist grundsätzlich eine gute Nachricht – vor allem für die chinesische und die US-Volkswirtschaft.“ Mit diesen Worten bewertet Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL, das vorübergehende Einlenken im Handelsstreit der beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Die Reaktion an den Märkten war prompt: „Entsprechend reagierten chinesische und amerikanische Aktienmärkte besonders positiv.“
Hintergrund ist die enorme Belastung, die die bisherigen Strafzölle mit sich brachten. „Die bisherigen gegenseitigen Zollsätze von weit über 100 Prozent waren für beide kaum durchhaltbar und hätten bei längerem Bestand die Rezessionswahrscheinlichkeit deutlich erhöht“, erklärt Mumm. Eine Entspannung könnte daher auch unmittelbare Auswirkungen auf globale Konjunkturaussichten haben.
Gleichzeitig mahnt der Ökonom zur Vorsicht: „Denn es ist unvorhersehbar, ob nicht nach oder gar während der Frist wieder neue Handelsrestriktionen erlassen werden, zumal erhöhte Sonderzölle auf bestimmte Produktkategorien weitergelten.“ Damit bleibe die Unsicherheit hoch – mit direkten Folgen für Investitionsentscheidungen, Prognosen und Erwartungen an den Kapitalmärkten.
Die Auseinandersetzung zwischen den USA und China sei ohnehin nicht allein auf die aktuelle Zollfrage beschränkt. „Dabei spielt eine wesentliche Rolle, dass sich die USA und China in einem Wettlauf um die globale Führungsstellung in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht befinden, der die kommenden Jahrzehnte prägen wird.“
Trotz aller Risiken sieht Mumm Chancen für Anleger – wenn diese besonnen handeln. „Den Kopf in den Sand zu stecken und erst wieder zu investieren, wenn die Unruhe vorüber ist, wäre daher die falsche Strategie.“ Stattdessen empfiehlt er eine Rückbesinnung auf bewährte Prinzipien: „Vielmehr macht es Sinn, klassische Grundsätze der Kapitalanlage wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.“ Dazu zählt er etwa Diversifikation, Risikostreuung und eine fundierte Unternehmensanalyse. Denn: „Vor allem innovative und dynamische sowie gleichzeitig sehr resiliente Geschäftsmodelle tragen auch in schwer kalkulierbaren Phasen zur Stabilität eines Portfolios bei.“
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Mid-Caps im Fokus: Warum sich ein Blick auf mittelgroße Unternehmen jetzt besonders lohnen könnte
Von Dr. Oliver Everling | 12.Mai 2025
In einem zunehmend unsicheren Marktumfeld gewinnen bislang oft übersehene mittelständische Unternehmen – sogenannte Mid-Caps – deutlich an Bedeutung. Anjli Shah, Managerin des abrdn SICAV I – Global Mid-Cap Equity Fund bei Aberdeen Investments, erklärt, warum diese Unternehmen gerade in volatilen Zeiten eine attraktive Anlageoption darstellen.
„Mid-Caps wurden lange Zeit von Anlegern übersehen“, stellt Shah fest. „Auch heute gibt es nur eine begrenzte Anzahl globaler Fonds, die sich gezielt auf dieses Marktsegment konzentrieren.“ Dabei biete gerade die aktuelle Marktlage Chancen: „Jetzt könnte ein günstiger Zeitpunkt sein, eine gezielte Allokation in diese Anlageklasse in Erwägung zu ziehen.“
Mid-Caps zeichnen sich laut Shah durch mehrere Vorteile aus: „Sie bieten nicht nur attraktive Diversifizierungsvorteile, sondern sind im Vergleich zu Großunternehmen weltweit derzeit rekordverdächtig günstig bewertet.“ Trotz dieser günstigen Bewertung hätten Mid-Caps in den vergangenen 25 Jahren „höhere Renditen erzielt als ihre größeren Pendants“.
Darüber hinaus seien Mid-Caps auch als Gegengewicht zu überrepräsentierten US-Mega-Stocks interessant: „Mid-Caps können so als attraktiver ‚Sweet Spot‘ für Anleger in der momentan volatilen Lage überzeugen“, so Shah. „Dieses Marktsegment bietet damit Potenzial für höhere Renditen als Large-Caps – bei gleichzeitig geringerem Risiko verglichen mit Small-Caps.“
Ein Blick auf den MSCI World Mid-Cap Index unterstreicht dieses Bild. Wie Shah erläutert: „Die Daten zeigen, dass der MSCI World Mid-Cap Index in den 25 Jahren bis zum 27. April 2025 ein höheres durchschnittliches Wachstum verzeichnete als der MSCI World Large-Cap Index.“ Gleichzeitig sei die Volatilität geringer gewesen als bei Small-Caps – also weniger Schwankung bei höherer Rendite.
Ein weiterer Punkt: Mid-Caps zeigen sich im aktuellen Abschwung vergleichsweise robust. „Im Zuge des aktuellen Marktabschwungs haben Anleger vergleichsweise weniger Kapital aus globalen Mid-Caps abgezogen als aus Large-Caps und Small-Caps“, erklärt Shah. „Dies könnte ein Hinweis auf die besondere Attraktivität dieses ‚Sweet Spots‘ inmitten der aktuellen Marktturbulenzen sein.“
Auch die Bewertungen sprechen laut Shah eine klare Sprache: „Das KGV von Mid-Caps liegt aktuell auf dem niedrigsten Niveau seit 2009 und deutlich unter dem historischen Durchschnitt – ein Hinweis darauf, dass Mid-Caps derzeit im Vergleich zu Large-Caps besonders attraktiv bewertet sind.“
Die relative Stärke zeigt sich auch in der Jahresperformance: „Bis zum 27. April verzeichnete der MSCI World Mid-Cap Index eine kumulierte Rendite von -0,47 % seit Jahresbeginn“, führt Shah aus. „Damit fiel der Rückgang geringer aus als beim MSCI World Index (-1,94 %) und beim MSCI World Small-Cap Index (-4,10 %).“
Shah betont außerdem die Qualität vieler Mid-Cap-Unternehmen: „Unternehmen, die den Sprung von Small-Cap zu Mid-Cap geschafft haben, verfügen in der Regel über etablierte, widerstandsfähige Geschäftsmodelle – und behalten dennoch ihre unternehmerische Agilität.“ Dadurch seien sie oft weniger riskant als Small-Caps, ohne auf Wachstum zu verzichten.
Allerdings sei bei Mid-Caps aktives Management besonders wichtig: „Mid-Caps sind im Vergleich zu Large-Caps häufig weniger gut erforscht und werden von Analysten seltener abgedeckt. Genau darin liegt eine Chance – nämlich die Möglichkeit, bislang unentdeckte Marktchancen und ‚versteckte Perlen‘ zu identifizieren.“
Abschließend rät Shah zu einer aktiven Anlagestrategie: „Passive Anlagestrategien, wie der Einsatz eines passiven ETFs, sind für Mid-Caps nicht zu empfehlen. Stattdessen sollte der Fokus auf qualitativ hochwertigen Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen und soliden Finanzkennzahlen liegen.“
Ihr Fazit ist eindeutig: „Für Anleger, die in Mid-Caps investieren wollen, ist nun jedoch ein guter Zeitpunkt. Denn die Bewertungen von Mid-Caps liegen im historischen Vergleich zu Large Caps auf einem Rekordtief – was einen Einstieg potenziell umso attraktiver macht.“
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Neustart unter Merz: Wie Investitionspakete und Reformen Deutschlands Ratings beeinflussen könnten
Von Dr. Oliver Everling | 7.Mai 2025
Die Wahl von Friedrich Merz zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland markiert nicht nur einen politischen Wendepunkt, sondern könnte auch eine bedeutende Signalwirkung auf die Kreditwürdigkeit Deutschlands und damit auf dessen Credit Ratings haben. Deutschland, das nach der Corona-Krise das Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum in Europa war, setzt nun mit ambitionierten Investitionspaketen in Verteidigung und Infrastruktur auf eine wirtschaftliche Erneuerung. Christoph Ohme, Leitender Portfoliomanager bei ODDO BHF Asset Management, sieht darin eine Chance: „Mit den beiden Investitionspaketen für Verteidigung und Infrastruktur besteht nun endlich die Chance, strukturelle Wachstumshindernisse anzugehen und das große Potenzial unserer innovativen Unternehmen freizusetzen.“ Solche Investitionen sind nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht bedeutsam, sondern wirken sich auch positiv auf die Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Landes aus, da sie langfristige Wachstumsperspektiven und höhere Steuereinnahmen versprechen.
Für Ratingagenturen sind neben fiskalischer Stabilität auch strukturelle Reformen entscheidend. Ohme fordert in diesem Zusammenhang, dass „unnötige bürokratische Hürden abgebaut werden“ – ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der Effizienz staatlicher Institutionen und damit auch mit der Bewertung von Kreditrisiken steht. Eine effizientere Verwaltung kann das Vertrauen der Kapitalmärkte stärken und somit zu stabileren oder gar verbesserten Credit Ratings führen.
Das 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturpaket könnte laut Prognosen das BIP-Wachstum ab 2026 um bis zu 1,4 % steigern. „Auch die Unternehmensgewinne können dann wachsen“, betont Ohme, was auf eine mittel- bis langfristig verbesserte wirtschaftliche Fundamentallage hindeutet – ebenfalls ein entscheidender Faktor für Ratingentscheidungen. Die Aussicht auf zweistellige Gewinnzuwächse bei börsennotierten Unternehmen erhöht zudem die Attraktivität des Standortes Deutschland für Investoren. Positive Kapitalzuflüsse – Ohme spricht von einer „weiteren Kapitalrotation aus den USA in die europäischen Märkte“ – deuten auf ein gestärktes Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität hin, was sich wiederum günstig auf Ratings auswirken kann.
Auch wenn geopolitische Risiken wie US-Zollerhöhungen drohen, betont Ohme: „Aufgrund der wechselhaften Nachrichtenlage rechnen wir in den nächsten Tagen und Wochen mit einer erhöhten Volatilität.“ Solche Unsicherheiten wirken sich zunächst negativ auf Marktstimmung und Risikoeinschätzung aus, jedoch zeigt seine Einschätzung, dass die Bewertung des deutschen Markts aktuell günstiger ist als die des US-Markts – ein potenzieller Vorteil bei der Risikobewertung durch Ratingagenturen. Die potenziell wachstumshemmenden Effekte durch Zölle – „Die Kosten der Zölle könnten das Wachstum im Jahr 2026 um 0,9 % reduzieren“ – zeigen zugleich, wie äußere Faktoren in Credit Ratings eingepreist werden könnten, insbesondere bei exportorientierten Volkswirtschaften.
Sektoren mit stabilen oder sogar steigenden Einnahmeerwartungen – wie der Rüstungs- und Infrastrukturbereich – könnten trotz globaler Unsicherheiten positiv zur gesamtwirtschaftlichen Lage beitragen. Ohme erklärt: „Die Regierungen finanzieren die Projekte vor, so dass die Unternehmen des Sektors von Anfang an positive Cashflows verzeichnen können.“ Diese stabile Einnahmestruktur stützt die wirtschaftliche Planbarkeit und könnte Ratingagenturen dazu bewegen, den Industriesektor robuster zu bewerten, was auch Rückwirkungen auf das Länderrating hat.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die wirtschafts- und strukturpolitischen Entscheidungen der neuen Bundesregierung nicht nur das Potenzial haben, Deutschland zurück auf einen Wachstumspfad zu bringen, sondern auch bedeutende Auswirkungen auf die Einschätzungen der Kreditwürdigkeit durch Ratingagenturen haben könnten. Positive Wachstumsimpulse, fiskalisch solide Investitionsstrategien und strukturelle Reformen sind zentrale Faktoren, die mittel- bis langfristig zu einer Stabilisierung oder Verbesserung der Credit Ratings Deutschlands führen können.
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Deutschlands Hausaufgaben unerledigt
Von Dr. Oliver Everling | 6.Mai 2025
Wenn die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt, steht sie vor einer ernüchternden wirtschaftlichen Realität: „Auch im laufenden Jahr wird die Wirtschaftsleistung aller Voraussicht nach nicht wachsen“, konstatiert Axel Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe. Damit würde das Jahr 2025 das sechste Jahr in Folge ohne wirtschaftliches Wachstum markieren. Die deutsche Wirtschaft stagniert auf dem Niveau von Ende 2019, also vor der Corona-Pandemie. Besonders problematisch ist dabei die Entwicklung der Industrie. „Die Industrieproduktion befindet sich seit Ende 2017 in einem ausgeprägten Abwärtstrend“, erklärt Angermann. Aktuell liege sie „mehr als 15 Prozent unter dem damals erreichten Wert“. Der Fahrzeugbau sei besonders betroffen und habe „Einbußen von mehr als einem Viertel“ verzeichnet. Besserung sei nicht in Sicht – im Gegenteil: „Die deutsche Industrieproduktion wird deshalb im laufenden Jahr erneut um mehr als ein Prozent schrumpfen.“
Als Belastungsfaktor sieht Angermann unter anderem die drohenden protektionistischen Maßnahmen aus den USA. „Die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Zölle belasten die exportorientierte Industrie auf verschiedene Art und Weise.“ Einerseits würden die Exporte in die USA betroffen sein, andererseits verschärfe sich der Wettbewerb mit Anbietern aus Asien sowohl im Inland als auch auf Drittmärkten. Zudem käme aus den USA ein zusätzlicher negativer Impuls, „falls die dortige Wirtschaftslage sich deutlich eintrübt“, was sich bereits andeute.
Vor diesem Hintergrund fallen Angermanns Erwartungen an die neue Bundesregierung hoch aus – der Koalitionsvertrag aber enttäuscht: „Der große Wurf, von dem ein deutliches Aufbruchsignal ausgehen könnte, ist es nicht geworden.“ Statt klarer Prioritäten und konkreter Maßnahmen fehle es an Mut und Entschlossenheit. Positiv bewertet Angermann zwar die geplante Senkung der Stromsteuer und das Bekenntnis zum Bürokratieabbau sowie zur Digitalisierung. Doch warnt er: „Angesichts der Fruchtlosigkeit bisheriger Bemühungen reicht das allein für das erwähnte Aufbruchsignal allerdings nicht aus.“ Besonders kritisch sieht er die Zurückhaltung bei steuerlichen Entlastungen: „Wirklich enttäuschend ist die Mutlosigkeit in der Frage steuerlicher Entlastungen sowohl für die Einkommensbezieher als auch für die Unternehmen.“
Für Angermann steht fest: Die Bundesregierung sollte die Aufmerksamkeit stärker auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten lenken. „Es kommt nicht in erster Linie darauf an, welche Ideen und Maßnahmen Trump als nächstes in den Ring wirft“, stellt er klar. Viel entscheidender sei, „was wir hier in Deutschland (und Europa) selbst beeinflussen können und letztlich auch nur selbst ins Werk setzen können.“ Trotz aller Herausforderungen bleibt er vorsichtig optimistisch: „Die gute Nachricht ist: Es gibt viele Stellschrauben, an denen angesetzt werden kann.“ Damit seien „Hoffnungen auf das Ende der Misere und einen neuen Aufschwung also allemal begründbar.“
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