Europäisches Batterierecycling-Konsortium mit 3,1 Millionen Euro Förderung nimmt Arbeit auf

Von Dr. Oliver Everling | 25.Oktober 2025

Ein europäisches Konsortium für Batterierecycling mit einem Gesamtvolumen von 3,137 Millionen Euro hat seine Arbeit aufgenommen. Unter der Leitung des Production Engineering of E-Mobility (PEM) der RWTH Aachen wurde das Projekt nach zwölf Monaten intensiver Vorbereitung offiziell gegründet. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen fördert das Vorhaben mit 2,068 Millionen Euro, während die Konsortiumspartner weitere 1,069 Millionen Euro beisteuern. Ziel des Projekts ist der Aufbau einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft für Batterien in Europa, die nachhaltige Materialien nutzt, ohne Einbußen bei Leistung und Qualität hinzunehmen.

Iondrive Limited (ASX: ION) nimmt als Kerntechnologiepartner eine zentrale Rolle im Konsortium ein. Das Unternehmen entwickelt Verfahren, um Metalle aus Altbatterien zurückzugewinnen und sie zu Vorprodukten für die Herstellung neuer Batteriezellen zu verarbeiten. Dabei kommt die sogenannte DES-Technologie (Deep Eutectic Solvent) zum Einsatz, ein umweltfreundliches Verfahren, das ohne aggressive Säuren auskommt und bei niedrigen Temperaturen arbeitet. „Die Teilnahme an diesem Konsortium bietet Iondrive die Möglichkeit, führenden europäischen OEMs zu demonstrieren, dass Batteriezellen, die aus mit unserem DES-Verfahren recycelten Metallen hergestellt wurden, eine gleichwertige Leistung wie solche aus Primärmaterialien erzielen können“, erklärte Iondrive-CEO Dr. Ebbe Dommisse. Er betonte zudem: „Das Konsortium bietet nicht nur einen Einstiegspunkt in den europäischen Markt, sondern sichert potenziell auch Einsatzmaterial von unseren vorgelagerten Industriepartnern und entwickelt gleichzeitig Abnahmevereinbarungen für Produkte mit unseren nachgelagerten Partnern.“

Neben Iondrive gehören dem Konsortium mehrere führende Industrie- und Forschungspartner an, darunter Accurec Recycling GmbH, NEUMAN & ESSER Process Technology GmbH, Constantia Patz GmbH sowie das PEM der RWTH Aachen. Accurec bringt dabei seine Erfahrung in der mechanischen Aufbereitung und Herstellung von Schwarzmasse ein, die an Iondrive geliefert wird. NEUMAN & ESSER steuert verfahrenstechnisches Know-how bei, während Constantia Patz Expertise im Materialdesign und in der Integration recycelter Materialien in nachhaltige Produktionsprozesse beisteuert. Die RWTH Aachen übernimmt die Weiterverarbeitung des von Iondrive gelieferten Materials in ihrer bestehenden Pilotanlage.

Das Konsortium will die gesamte Wertschöpfungskette des Batterierecyclings abbilden – von der Demontage alter Batterien über die Rückgewinnung und Verarbeitung wertvoller Metalle bis zur Herstellung neuer Zellen. Dadurch soll nachgewiesen werden, dass Batteriezellen, die zu 80 Prozent aus recycelten Materialien bestehen, dieselbe Leistungsfähigkeit wie solche aus Primärmetallen erreichen können. Die Beteiligung europäischer Automobilhersteller als assoziierte Partner ist nach dem Erreichen der ersten technischen Meilensteine vorgesehen, um die Ergebnisse direkt zu validieren und potenzielle Abnahmeverträge zu ermöglichen.

Für Iondrive bedeutet die Teilnahme nicht nur eine Stärkung der Position auf dem europäischen Markt, sondern auch erhebliche finanzielle Unterstützung. 60 Prozent der Betriebskosten der europäischen Pilotanlage werden durch die Fördermittel gedeckt, bis zu einem Maximalbetrag von 398.000 Euro. Diese Mittel stehen für einen Zeitraum von drei Jahren ab Oktober 2025 zur Verfügung. Parallel errichtet Iondrive an der University of Adelaide eine Pilotverarbeitungsanlage, deren Inbetriebnahme für Anfang 2026 geplant ist. Sie soll später nach Europa transportiert und dort in den industriellen Betrieb integriert werden.

Das Konsortium gilt als bedeutender Schritt für den Aufbau einer nachhaltigen Batteriewirtschaft in Europa. Mit seiner Kombination aus Forschung, Technologieentwicklung und industrieller Umsetzung will es dazu beitragen, die Abhängigkeit von Primärrohstoffen zu verringern und den europäischen Markt für recycelte Batteriematerialien langfristig zu stärken.

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Stabiler Ausblick dank Reformkurs und Haushaltsdisziplin in Moldau

Von Dr. Oliver Everling | 23.Oktober 2025

Am 10. Oktober 2025 hat die Ratingagentur S&P Global Ratings der Republik Moldau erstmals ein langfristiges und kurzfristiges Souverän-Rating von BB-/B mit stabilem Ausblick verliehen. Laut S&P spiegelt die Bewertung Moldaus „das Engagement für Reformen, fiskalische Umsicht und eine allmähliche wirtschaftliche Erholung“ wider.

Die Bewertung wurde durch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Invest Moldova Agency, dem Finanzministerium und dem Ministerium für Wirtschaftsentwicklung und Digitalisierung ermöglicht. Gemeinsam stellten sie die makroökonomischen Daten und Reformfortschritte bereit, die für die Analyse von S&P erforderlich waren.

Mit dem Rating positioniert sich Moldau unter europäischen Volkswirtschaften wie Armenien, Albanien und Nordmazedonien, die sich – ähnlich wie Moldau – „auf strukturelle Reformen und eine engere Integration in die Europäische Union konzentrieren“ und dabei „moderate Schuldenniveaus und stabile Wachstumsperspektiven“ aufweisen.

Obwohl das Rating noch unterhalb des Investmentgrades liegt, deutet es laut S&P auf „ein beachtliches, aber beherrschbares Kreditrisiko“ hin. Moldaus wirtschaftliche und fiskalische Kennzahlen verbessern sich stetig: Nach einer Phase der Stagnation wird ein Wachstum von 1,2 % im Jahr 2025 und 2,2 % im Jahr 2026 erwartet – getragen von einer stärkeren Landwirtschaft, neuen Investitionen und Reformen im Rahmen des EU-Wachstumsplans in Höhe von 1,9 Milliarden Euro.

Die öffentliche Verschuldung soll laut Prognose bis Ende 2025 bei rund 35 % des BIP liegen – überwiegend bestehend aus langfristigen, zinsgünstigen Krediten offizieller Geldgeber. Diese Struktur helfe, „den Finanzierungsbedarf auf einem tragbaren Niveau zu halten“, so S&P.

Der stabile Ausblick unterstreicht nach Angaben der Agentur das Vertrauen in die „fortgesetzten Reformfortschritte und das Bekenntnis zu fiskalischer Disziplin“. Durch die fortlaufende Annäherung an EU-Standards, die umsichtige Umsetzung des Wachstumsplans sowie die aktive Zusammenarbeit mit IWF und Weltbank soll Moldau seine wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit weiter stärken.

S&P sieht das Land auf einem positiven Entwicklungspfad: „Mit zunehmender Reformtiefe und verbessertem Geschäftsklima ist Moldau immer besser positioniert, Investitionen mit höherem Mehrwert anzuziehen, seine Exportbasis zu erweitern und sich den europäischen Volkswirtschaften anzunähern.“

Als eine der drei führenden globalen Ratingagenturen – neben Fitch Ratings und Moody’s Ratings – spielt S&P eine zentrale Rolle bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Stabilität und Kreditwürdigkeit von Staaten weltweit. Ihre Bewertungen beeinflussen maßgeblich die Wahrnehmung internationaler Investoren, die Zugangskosten zu Kapitalmärkten und letztlich die Zinskosten für Regierungen.

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Rendite mit Ratingqualität

Von Dr. Oliver Everling | 22.Oktober 2025

Die Wiederaufnahme des Lockerungszyklus der US-Notenbank hat die Aufmerksamkeit vieler Anleger wieder auf den Anleihemarkt gelenkt – und damit auch auf jene Faktoren, die für das Credit Rating von Emittenten und Fondsstrategien von zentraler Bedeutung sind. Während das Zinsniveau in den USA und Europa nach den Höchstständen von 2023 und 2024 wieder gesunken ist, bleibt das Umfeld für Anleiheinvestoren günstig. Philippe Gräub, Head of Global & Absolute Return Fixed Income bei der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP), schreibt: „Die Kerninflation in den USA und in Europa sind weitgehend unter Kontrolle, und die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantiks bewegen sich bereits seit einigen Monaten in einer engen Bandbreite.“

Aus Rating-Perspektive ist entscheidend, wie Fondsmanager in einem solchen Umfeld Kreditrisiken steuern. Der UBP-Experte betont, dass sich attraktive risikogewichtete Erträge im gesamten Spektrum des globalen Anleihemarktes, insbesondere im Kreditbereich, finden lassen. Neben hochverzinslichen Segmenten wie BB-Anleihen, Emerging Markets oder AT1-Anleihen komme es auf die aktive Durationssteuerung und die Diversifikation an. Diese Elemente sind auch aus Sicht von Ratingagenturen zentrale Faktoren für die Beurteilung der Stabilität von Fondsrenditen und ihrer Ausfallwahrscheinlichkeit.

Mit dem Fonds UBAM – Strategic Income demonstriert Gräub, wie eine Strategie, die „in europäische, US-amerikanische sowie Emerging-Markets-Anleihen investiert und gezielt auf Marktbereiche mit überdurchschnittlichem Einkommen setzt“, dennoch ein solides Bonitätsprofil wahren kann. Er unterstreicht: „Wir können auch in AT1- bzw. CoCos sowie in verbriefte Schuldtitel (Collateralised Loan Obligations, CLOs) und bis zu 50% in Hochzinsanleihen investieren, solange das durchschnittliche Rating des Fonds bei mindestens BBB, also Investment Grade, liegt.“ Dieses Ziel eines Investment-Grade-Durchschnittsrating ist für institutionelle Investoren und Ratinganalysten gleichermaßen relevant, da es ein Mindestniveau an Kreditqualität und Stabilität sichert.

Interessant ist dabei, dass der Fonds seit seiner Auflegung eine Performance erzielt, die typisch für den High-Yield-Bereich ist, ohne dessen Bonitätsrisiken vollständig zu übernehmen. Gräub erläutert: „Letztlich ermöglicht die aktive Steuerung des Portfolios über alle Segmente die Erzielung einer Rendite aus dem Hochzinsbereich mit einem deutlich besseren Bonitäts- und Risikoprofil.“ In der Sprache der Ratinganalysten bedeutet das: eine optimierte Spread-Kompensation pro Risikoeinheit.

Das gegenwärtige makroökonomische Umfeld – mit positivem nominalem BIP-Wachstum, kontrollierter Inflation und unterstützenden Zentralbanken – begünstigt laut Gräub Investitionen in einkommensstarke Kreditsegmente. Besonders attraktiv erscheine derzeit der Markt für BB-Anleihen, „weil der Unterschied in der Verschuldung zwischen US-Unternehmen mit BB- und BBB-Rating so gering ist wie selten zuvor“. Diese Beobachtung ist auch für Credit-Rating-Modelle relevant, da sie auf eine Annäherung der fundamentalen Kreditqualität zwischen den oberen High-Yield- und unteren Investment-Grade-Segmenten hinweist.

Der Fonds, der am 2. Dezember 2025 sein dreijähriges Jubiläum feiert, blickt auf eine überdurchschnittliche Entwicklung zurück: Eine Gesamtrendite von 26,6 % seit Auflegung im Vergleich zu 13,4 % des Bloomberg Global Aggregate Index zeigt, dass sich aktives Kreditmanagement und Diversifikation nicht nur auf die Performance, sondern auch auf die Stabilität des Ratings positiv auswirken können. Mit einem Gesamtvermögen von 809 Millionen USD ist der UBAM – Strategic Income Fonds ein Beispiel dafür, wie ein durchdachtes Bonitätsmanagement in einem Umfeld sinkender Zinsen nachhaltige Erträge ermöglichen kann – und zugleich Ratingqualität als integralen Bestandteil des Investmentansatzes versteht.

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Kunstmarkt am Wendepunkt: Wie Art Rating den neuen Aufschwung messbar macht

Von Dr. Oliver Everling | 21.Oktober 2025

Der Kunstmarkt scheint nach einer langen Durststrecke langsam wieder Tritt zu fassen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 war die Branche in einen anhaltenden Abwärtstrend geraten, der sich bis 2024 fortgesetzt hatte. Erst in diesem Frühjahr sprach WFA-Vorstand Rüdiger K. Weng von einem „sich abzeichnenden Bottoming-out“, also einem Auslaufen der Talfahrt. Nun deuten zahlreiche Frühindikatoren darauf hin, dass sich die Stimmung spürbar aufhellt.

„Seit dem Ende der Sommerpause zeigen verschiedene Frühindikatoren im europäischen Kunstmarkt erstmals seit 2022 wieder nach oben“, so Weng. Auktionen wie jene des Hauses Kornfeld in Bern erzielten Ergebnisse über den Prognosen, während auch Messen wie die „Frieze“ in London ein deutlich gestiegenes Interesse verzeichneten. Selbst kleinere Auktionshäuser meldeten im Herbst überraschend starke Resultate. All dies sind Signale, die auch für das Art Rating von besonderem Interesse sind, denn es bewertet nicht nur einzelne Werke, sondern vor allem die Marktstabilität und das Vertrauen in Kunst als Anlageklasse.

Weng beschreibt den Aufwärtstrend detailliert: „Bei unserem Tochterunternehmen in der Schweiz hat sich die Anzahl der Anfragen zum Kauf von Kunstwerken gegenüber dem Vorjahr merklich vergrößert, wie auch der Traffic auf der Webseite sich seit der Sommerpause gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um mehr als 30 % erhöht hat. Das zieht erfahrungsgemäß sukzessive auch höhere Umsätze nach sich.“ Ein solches Marktverhalten ist für Art-Rating-Systeme ein klarer Hinweis auf ein sich verbesserndes Investitionsklima – denn Ratingmodelle erfassen genau solche Frühindikatoren, um die Attraktivität von Kunst als Vermögenswert zu bewerten.

Auch makroökonomische Faktoren spielen eine Rolle. Der Luxusgüterkonzern LVMH überraschte im Oktober mit einem kräftigen Wachstumsschub, was laut Weng eine Signalwirkung für den Kunstmarkt entfaltet: „Der Kunstmarkt gilt als Teil des Luxusgütermarktes, verhält sich in seinen Trends aber volatiler als dieser.“ Hier zeigt sich die Relevanz von Art Ratings, die helfen, diese Volatilität einzuordnen und die relative Stabilität einzelner Marktsegmente oder Künstlerpositionen messbar zu machen.

Weng bleibt trotz der positiven Entwicklung vorsichtig optimistisch: „Momentan zeigen fast alle Frühindikatoren, die ich beobachte, nach oben. (…) Ich glaube allerdings nicht an eine so dynamische Erholung wie wir sie im Jahr 2009 nach dem Ende der Finanzkrise gesehen haben.“ Gerade diese Einschätzung verdeutlicht den Nutzen von Kunstratings, die auf objektive Daten und historische Vergleichswerte zurückgreifen, um überzogene Erwartungen zu dämpfen und realistische Perspektiven aufzuzeigen.

Mit der geplanten Verstärkung der WFA und neuen Investitionen in Unternehmensbeteiligungen bereitet sich das Unternehmen auf ein neues Marktumfeld vor. Sollte sich die Nachfrage weiter beleben, würde die WFA „mit ihrem umfangreichen Lagerbestand von einer anziehenden Nachfrage besonders stark profitieren“, so Weng. Für Art Rating bedeutet das: ein wachsender Markt mit höherem Handelsvolumen liefert auch mehr Bewertungsdaten und Vergleichswerte, wodurch Ratings an Aussagekraft gewinnen.

Die Rückkäufe eigener Aktien und die geplante Dividendenerhöhung sind ebenfalls Ausdruck eines neu erwachten Vertrauens. Art Rating kann solche Signale aufgreifen und in die Bewertung des Marktvertrauens einfließen lassen – ein Faktor, der über den reinen Kunstwert hinausgeht. Der Kunstmarkt steht damit an einem möglichen Wendepunkt, an dem die Verbindung von Daten, Marktstimmung und künstlerischem Wert – wie sie das Art Rating ermöglicht – zu einem entscheidenden Instrument für Sammler, Investoren und Institutionen werden könnte.

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Schumpeter und die Theorie des Ratings – warum Wandel das bessere Fundament für Stabilität ist

Von Dr. Oliver Everling | 20.Oktober 2025

Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis ist auch ein Anlass, über die theoretischen Grundlagen von Credit Ratings nachzudenken. So wie Philippe Aghion, Peter Howitt und Joel Mokyr Schumpeters Idee der schöpferischen Zerstörung in die Gegenwart übertragen, basieren auch Ratings und die Arbeit von Ratingagenturen auf theoretischen Modellen, die wirtschaftliche Dynamik erfassen und bewerten sollen. Ein Credit Rating ist nie bloß eine Zahl, sondern Ausdruck einer Theorie über Risiko, Marktprozesse und Anpassungsfähigkeit. In stabilen Zeiten können Modelle, die von Gleichgewicht, Prognostizierbarkeit und Kontinuität ausgehen, nützlich sein. Doch Schumpeter hätte wohl davor gewarnt, Stabilität mit Sicherheit zu verwechseln. Denn Märkte sind nicht im Gleichgewicht, sondern im Wandel – und Kreditrisiken entstehen nicht im Stillstand, sondern in der Bewegung.

Gerade die Schumpeter-Schule betont, dass Fortschritt aus Innovation, Wettbewerb und der Bereitschaft zur Erneuerung entsteht. Für Ratingagenturen bedeutet das, ihre Modelle kontinuierlich zu hinterfragen. Ein statisches Ratingmodell, das vergangenheitsbezogene Kennzahlen überbewertet und strukturellen Wandel unterschätzt, wird der Realität einer dynamischen Wirtschaft nicht gerecht. Theorien über Innovation und strukturellen Wandel zeigen, dass sich Risiko dort neu formiert, wo Neues entsteht – und dass überkommene Strukturen nicht per se sicherer sind. Ein Unternehmen in einer alternden Branche mit stabilen Cashflows mag kurzfristig verlässlich wirken, doch langfristig kann es ökonomisch gefährdeter sein als ein junges, wachstumsstarkes Unternehmen, das sich an neue Marktbedingungen anpasst.

Die Arbeiten der Nobelpreisträger erinnern auch Ratingagenturen daran, dass sie nicht nur Beobachter, sondern Teilnehmer eines sich wandelnden Systems sind. Ihre Urteile beeinflussen Kapitalflüsse und damit auch, wo Innovation stattfindet. Indem sie Risiken bewerten, setzen sie zugleich Anreize für oder gegen Erneuerung. Wenn sie den Status quo systematisch bevorzugen, können sie ungewollt zum Hemmschuh der schöpferischen Zerstörung werden. Doch wer Schumpeter ernst nimmt, erkennt: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität entsteht nicht durch die Vermeidung von Wandel, sondern durch die Fähigkeit, ihn zu verstehen und zu gestalten.

Theorien sind für Ratings daher keine abstrakten Konstrukte, sondern die Grundlage jedes Urteils. Sie müssen den Geist des Fortschritts in sich tragen – so wie Schumpeters Kapitalismus, der Wohlstand aus Bewegung schöpft. Der Nobelpreis mahnt damit auch die Ratingwelt, Modelle und Methoden immer wieder zu erneuern, um das dynamische Wesen von Risiko und Wachstum zu erfassen. Denn wer den Wandel bewertet, darf nicht im Stillstand verharren.

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Vom Zuschauen zum Mitgestalten: Virtuelle Realität als Sinnbild des Wandels von der Attention zur Action Economy

Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025

Kaum ein technologisches Feld verkörpert den gegenwärtigen ökonomischen und kulturellen Paradigmenwechsel so eindrucksvoll wie die virtuelle Realität. Während die Attention Economy durch passive Rezeption geprägt war – durch das Schauen, Liken und Konsumieren von Inhalten –, steht die virtuelle Realität für eine neue Form der Beteiligung: den Übergang vom Zuschauer zum Akteur. In immersiven Welten ist der Mensch nicht länger bloßer Empfänger von Eindrücken, sondern Mitschöpfer seiner eigenen Erfahrung.

Diese Verschiebung markiert den Kern dessen, was Aoshi Chen als Beginn der Action Economy bezeichnet. In seinem Denken wird Technologie nicht mehr als Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung verstanden, sondern als Werkzeug der Handlungsbefähigung. Virtuelle Realität (VR) und erweiterte Realität (AR) schaffen Umgebungen, in denen Erfahrung, Erkenntnis und Aktion verschmelzen. Sie bieten nicht nur Unterhaltung, sondern ermöglichen Lernen, Gestalten, Experimentieren – kurz: eine neue Qualität des Wirkens.

Während in der Attention Economy die Blickrichtung des Menschen kontrolliert und gelenkt wurde, erweitert die Action Economy das Handlungsspektrum. In der virtuellen Realität ist Aufmerksamkeit kein Ziel, sondern Ausgangspunkt: Sie wird zur Ressource, die durch Interaktion aktiviert wird. Das Individuum ist nicht länger ein Punkt im Datenstrom, sondern ein aktiver Teil eines Erlebnissystems. Jede Bewegung, jede Entscheidung und jede kreative Geste verändert die Welt, in der man sich befindet – und damit auch das eigene Verhältnis zur Realität.

In dieser aktiven Form der Teilhabe liegt der symbolische Kern des Paradigmenwechsels von Quantität zu Qualität. Es geht nicht mehr darum, wie viele Menschen zuschauen, sondern wie tief sie sich einlassen; nicht darum, wie groß die Reichweite ist, sondern wie intensiv die Erfahrung wirkt. Virtuelle Realität wird damit zum Spiegel einer neuen Ökonomie, die auf Engagement, Wirkung und Sinn ausgerichtet ist.

Gerade im Kontext von Bildung, Kultur und Wirtschaft wird VR zu einem Experimentierfeld für die Prinzipien der Action Economy. Unternehmen entwickeln immersive Trainingsumgebungen, in denen Mitarbeiter nicht konsumieren, sondern handeln und reflektieren. Künstler schaffen partizipative Räume, in denen das Publikum Teil des kreativen Prozesses wird. Selbst Markenkommunikation wandelt sich – weg von der Botschaft, hin zur gemeinsamen Erfahrung.

Diese Entwicklung hat auch strukturelle Folgen für die Art, wie Wert gemessen wird. In der Logik der Attention Economy war Wert gleichbedeutend mit Reichweite; in der Action Economy entsteht er durch Beteiligung und Wirkung. Virtuelle Welten zeigen exemplarisch, wie Wertschöpfung durch Interaktion entsteht: durch das Tun, nicht durch das Zuschauen.

Virtuelle Realität ist somit nicht nur eine technologische Innovation, sondern ein kulturelles Symbol. Sie steht für eine Wirtschaft, in der der Mensch wieder in den Mittelpunkt rückt – nicht als Konsument, sondern als Mitgestalter. In ihr verdichtet sich die Vision einer neuen, qualitativen Ökonomie, in der Erleben, Handeln und Sinn eine Einheit bilden. Wo die Attention Economy die Welt zur Bühne machte, verwandelt die Action Economy sie in einen Werkraum – einen Raum, in dem Zukunft nicht beobachtet, sondern gestaltet wird.

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Von der Attention Economy zur Action Economy: Wie ein neues Wirtschaftsverständnis ESG und Nachhaltigkeitsratings transformiert

Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025

Der Begriff Attention Economy entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Einsicht, dass in einer Welt des Informationsüberflusses menschliche Aufmerksamkeit zur knappsten und damit wertvollsten Ressource geworden ist. Bereits der Ökonom und Psychologe Herbert A. Simon erkannte in den 1970er-Jahren, dass „eine Fülle an Information zu einem Mangel an Aufmerksamkeit führt“. Mit dem Aufstieg digitaler Medien, sozialer Netzwerke und algorithmischer Plattformen wurde diese Beobachtung zu einem zentralen Prinzip der modernen Wirtschaft. Unternehmen konkurrierten nicht mehr nur um Marktanteile, sondern um Zeit, Klicks und Sichtbarkeit.

In den 2000er- und 2010er-Jahren erreichte die Attention Economy ihren Höhepunkt. Erfolg wurde an Reichweite, Interaktionsraten und viraler Präsenz gemessen – Indikatoren, die zwar kurzfristige Aufmerksamkeit generierten, aber wenig über langfristigen Wert, Wirkung oder Verantwortung aussagten. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit förderte Oberflächlichkeit: Quantität dominierte über Qualität, Geschwindigkeit über Substanz, Wirkung über Nachhaltigkeit.

Diese Entwicklung führte in den letzten Jahren zunehmend zu einem Vertrauensverlust. Konsumenten, Investoren und Regierungen begannen zu erkennen, dass Aufmerksamkeit allein kein Indikator für echten gesellschaftlichen oder ökologischen Fortschritt ist. In dieser Phase des Umdenkens setzt Aoshi Chen mit seinem Konzept der Action Economy an. Gemeinsam mit Dr. Everling formulierte er 2025 das Action Economy Manifest, in dem es heißt: „Die Attention Economy fragte: Wer schaut zu? Die Action Economy fragt: Wer macht mit?“ Wert entsteht nicht mehr aus Sichtbarkeit, sondern aus Handeln, Beteiligung und Wirkung.

Dieses neue Paradigma hat weitreichende Folgen für die Beurteilung von Unternehmen, insbesondere im Bereich von ESG- und Nachhaltigkeitsratings. Während klassische Ratings auf quantitativen Finanzkennzahlen beruhen, und ESG-Systeme häufig auf Offenlegung und Berichterstattung fokussieren, fordert die Action Economy ein Umdenken hin zu aktiver Wirkungsmessung. Es genügt nicht länger, Strategien oder Versprechen zu kommunizieren – entscheidend ist, was tatsächlich umgesetzt wird, wie messbar Veränderungen herbeigeführt werden und welche Resonanz entsteht.

In diesem Sinne steht die Action Economy für eine qualitative Vertiefung der ESG-Logik. Sie verbindet ökologische Verantwortung, soziale Teilhabe und ethische Governance mit der Fähigkeit zur konkreten Umsetzung. Unternehmen werden nicht mehr nur danach bewertet, was sie sagen oder wohin sie investieren, sondern wie sie handeln – ob sie Mitarbeiter, Kunden und Partner aktiv in Transformationsprozesse einbinden und ob ihre Initiativen reale, überprüfbare Wirkung entfalten.

Die zukünftige Entwicklung von ESG- und Nachhaltigkeitsratings wird daher von einem rein berichtsbasierten Ansatz zu einem aktionsbasierten Bewertungsmodell übergehen. Neue Kennzahlen könnten die Beteiligung an Kooperationsprojekten, die Skalierung sozialer Innovationen oder die nachweisbare Reduktion von Emissionen und Ressourcenverbrauch abbilden. In der Logik der Action Economy wird Glaubwürdigkeit zur Funktion von Handlungskompetenz: Wer nachhaltig handelt, verdient Vertrauen – und damit Kreditwürdigkeit im umfassenden Sinne.

So markiert der Übergang von der Attention Economy zur Action Economy nicht nur einen kulturellen und technologischen Wandel, sondern auch eine Neuausrichtung ökonomischer Bewertungssysteme. Wo früher Aufmerksamkeit als Währung galt, wird künftig Wirkung zum Maßstab. Die Unternehmen, die in dieser neuen Epoche bestehen, werden jene sein, die nicht bloß gesehen, sondern wirksam werden – durch Taten, die sowohl wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwert schaffen.

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Von Quantity zu Quality, von Attention zu Action

Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025

Die Transformation von der Quantity Economy zur Quality Economy ist eng mit dem Wandel von der Attention Economy zur Action Economy verbunden. Beide Bewegungen markieren einen Paradigmenwechsel – weg von der bloßen Anhäufung von Gütern oder Klicks hin zu einer Ökonomie der Wirkung, der Beteiligung und des Sinns. In der Quantity Economy zählte, wie viel produziert, konsumiert und gemessen werden konnte; Effizienz und Skalierung waren die Triebkräfte. Die Quality Economy dagegen richtet sich auf Tiefe, Nachhaltigkeit und Resonanz. Qualität wird nicht mehr allein durch äußere Kennzahlen bestimmt, sondern durch den erlebten Wert und die Wirkung im Kontext von Gemeinschaft, Umwelt und Kultur.

Aoshi Chen beschreibt diesen Übergang als eine Bewegung, die über das bloße Konsumieren hinausführt. In seiner Arbeit Blickfang (2025) erkennt er in der Gestaltungskraft der Natur ein Vorbild für menschliche Kreativität und Organisation. Er sieht in natürlichen Prozessen wie der Bildung von Kristallen oder den Prinzipien von Yin und Yang ein Modell für ausgewogene Dynamik – ein Gleichgewicht aus Wandel und Struktur, aus Entfaltung und Begrenzung. Diese Denkweise überträgt er auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme: Wachstum soll nicht mehr durch Quantität entstehen, sondern durch lebendige, qualitative Entwicklung.

In diesem Zusammenhang steht Chens Begriff der Action Economy. Gemeinsam mit Dr. Everling formuliert er, dass die Zeit der reinen Aufmerksamkeit vorüber ist. „Die Attention Economy fragte: Wer schaut zu? Die Action Economy fragt: Wer macht mit?“ (Chen & Everling, 2025). Hier entsteht Wert nicht aus Sichtbarkeit, sondern aus Handlung, Beteiligung und Wirkung. Während die Attention Economy darauf beruhte, menschliche Aufmerksamkeit als knappes Gut zu monetarisieren, verlagert die Action Economy den Fokus auf die Energie, die entsteht, wenn Menschen gemeinsam etwas tun, gestalten und umsetzen.

Damit ist die Action Economy das operative Pendant zur Quality Economy. Beide fordern eine Neuausrichtung der Wertschöpfung: Qualität entsteht nicht passiv durch Konsum, sondern aktiv durch Mitgestaltung. Chens „Action Economy Manifest“ bringt dies auf den Punkt: „Nicht die Aufmerksamkeit zählt, sondern die Wirkung. Nicht das Zuschauen, sondern das Mitwirken.“ Diese Haltung transformiert ökonomische Beziehungen in ko-kreative Prozesse, in denen Technologie, Kultur und Natur in Resonanz treten.

So wie die Quality Economy das Streben nach Sinn über das Streben nach Menge stellt, ersetzt die Action Economy das Spektakel der Sichtbarkeit durch das Erleben der Wirksamkeit. In beiden Fällen geht es um eine Rückbindung an natürliche Prinzipien des Wachstums: Inspiration führt zu Initiative, Initiative zu Handlung, Handlung zu Austausch – und daraus entsteht nachhaltiger Wert. Chens Werk zeigt, dass diese neue Epoche nicht durch Beschleunigung, sondern durch Bewusstheit geprägt sein wird – durch eine Ökonomie, die nicht nur zählt, was messbar ist, sondern wertschätzt, was wirkt.

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Der schöne Schein der Ordnung – warum die ESG-Rating-Regulierung auf wackeligen Beinen steht

Von Dr. Oliver Everling | 16.Oktober 2025

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat einen Zeitplan zur Einführung und Umsetzung der neuen Verordnung für ESG-Ratinganbieter veröffentlicht, der die wichtigsten Schritte von 2024 bis 2028 beschreibt. Am 27. November 2024 erfolgt zunächst die Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union. Kurz darauf, am 17. Dezember 2024, tritt die Verordnung offiziell in Kraft. Damit beginnt die Übergangsphase, in der die ESMA die notwendigen technischen Standards und Ausführungsbestimmungen vorbereitet. Bis zum 2. Oktober 2025 muss die ESMA die Entwürfe für diese technischen Regulierungsstandards (RTS) vorlegen, um die praktische Umsetzung der Verordnung vorzubereiten.

Am 2. Juli 2026 wird die Verordnung dann anwendbar, das heißt, die ESG-Ratinganbieter müssen ab diesem Zeitpunkt die neuen Regeln einhalten. Innerhalb eines Monats, bis zum 2. August 2026, müssen die Anbieter die ESMA darüber informieren, ob sie beabsichtigen, weiterhin im europäischen Markt tätig zu sein. Für größere Anbieter endet am 2. November 2026 die Frist zur Einreichung ihres Zulassungsantrags bei der ESMA. Am selben Tag gilt für kleinere Anbieter die Frist, ihre Absicht zur weiteren Tätigkeit in der EU mitzuteilen. Damit markiert das Jahr 2026 den zentralen Abschnitt, in dem die Registrierung und Genehmigung der ESG-Ratinganbieter umgesetzt wird.

Nach der vollständigen Anwendungsphase beginnt die Überwachung und Auswertung des Marktes. Am 1. Dezember 2027 veröffentlicht die ESMA ihren ersten jährlichen Bericht über die Marktanteile der ESG-Ratinganbieter in der Europäischen Union. Ab dem 1. Januar 2028 müssen zudem Informationen über das European Single Access Point (ESAP) regelmäßig an die ESMA gemeldet werden. Schließlich wird am 1. Dezember 2028 die Europäische Kommission einen Bericht vorlegen, in dem die Wirksamkeit und Umsetzung der ESG-Verordnung bewertet wird.

Der Zeitplan verdeutlicht, dass die Einführung der ESG-Regulierung schrittweise erfolgt: von der rechtlichen Verankerung über die technische Ausgestaltung bis hin zur operativen Umsetzung und anschließenden Evaluierung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ESG-Ratinganbieter in der EU einheitlichen, transparenten und überprüfbaren Regeln unterliegen, die sowohl den Anlegerschutz als auch die Qualität und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsratings stärken.

Was auf den ersten Blick nach einem klaren und sorgfältig geplanten Fahrplan aussieht, steht in Wirklichkeit auf einem unsicheren Fundament. Die Abfolge von Fristen und Berichtspflichten vermittelt zwar den Eindruck von Ordnung und Zielstrebigkeit, doch dahinter steht die grundsätzliche Frage, ob eine solche Regulierung tatsächlich die gewünschten Wirkungen entfalten kann. Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit der ESG-Rating-Verordnung das Ziel, Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit bei Nachhaltigkeitsbewertungen zu erhöhen. Dennoch bleibt fraglich, ob dieser regulatorische Ansatz in der Praxis mehr als eine bürokratische Struktur schaffen wird, die vor allem kleinere Anbieter belastet, ohne die tatsächlichen Marktverhältnisse grundlegend zu verändern.

Ein Blick auf die Regulierung der klassischen Credit Rating Agencies zeigt, dass frühere Reformen ähnliche Ambitionen verfolgten – mit ernüchternden Ergebnissen. Trotz umfangreicher Aufsicht und detaillierter Vorgaben ist es nicht gelungen, die Marktdominanz der großen, vor allem US-amerikanischen Agenturen zu brechen. Diese Akteure behalten bis heute eine zentrale Rolle in der Bewertung von Anleihen und Unternehmen und prägen damit weiterhin maßgeblich die Wahrnehmung von Kreditrisiken auf den globalen Finanzmärkten. Europäische oder kleinere Wettbewerber konnten ihre Position kaum stärken, obwohl die Regulierung eigentlich mehr Vielfalt und Unabhängigkeit fördern sollte.

Es besteht daher die reale Gefahr, dass sich die Geschichte im ESG-Bereich wiederholt. Die formalen Anforderungen könnten dazu führen, dass sich vor allem große, kapitalstarke Anbieter durchsetzen, die die regulatorischen Hürden leichter überwinden. Kleinere, innovative Anbieter, die alternative Bewertungsansätze entwickeln, könnten dagegen verdrängt werden. Anstatt also den europäischen Markt für ESG-Ratings zu diversifizieren und unabhängiger zu machen, könnte die neue Verordnung unbeabsichtigt genau das Gegenteil bewirken – sie könnte bestehende Machtstrukturen zementieren und den Einfluss internationaler Großakteure in einem Bereich stärken, der eigentlich mehr Wettbewerb, Transparenz und Vielfalt versprechen sollte.

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Martini.ai sieht bei Stellantis einen „Credit-Stresstest“ für den US-Markt

Von Dr. Oliver Everling | 16.Oktober 2025

Der Datenanbieter Martini.ai bewertet den jüngsten Schritt von Stellantis, 13 Milliarden US-Dollar in die Ausweitung seiner US-Produktion zu investieren, als Balanceakt zwischen industrieller Stärke und finanzieller Belastung. „Das Vorhaben ist das größte Einzelinvestment in der Unternehmensgeschichte und soll die heimische Produktion um 50 % steigern“, heißt es in der Analyse. Gleichzeitig warnt Martini.ai, dass die Kapitalstruktur zunehmend unter Druck gerät.

Nach Angaben der Plattform liegt das Kreditrating von Stellantis aktuell bei B1, mit einer einjährigen Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,08 %. Damit bewege sich der Konzern „auf einem Niveau mit höher eingestuften, aber risikoreicheren Investment-Grade-Peers wie Ford“. Der 5-Jahres-Z-Spread notiere bei rund 160 Basispunkten – mehr als doppelt so hoch wie bei General Motors, das bei etwa 70 Basispunkten gehandelt werde.

„Das Problem liegt in der Kapitalstruktur“, schreibt Martini.ai. Das Unternehmen weise eine Netto-Cash-Position von rund –11,6 Milliarden US-Dollar sowie ein negatives Free-Cash-Flow-Ergebnis von etwa –14 Milliarden US-Dollar zur Jahresmitte 2025 aus. S&P Global und Fitch hätten Stellantis bereits Anfang des Jahres von BBB+ auf BBB herabgestuft – ein Schritt, den Fitch mit „anhaltendem Margendruck und erhöhter Verschuldung“ begründet habe. Um ein Investment-Grade-Profil zu halten, seien laut Fitch „EBIT-Margen über 6 % und nachhaltige Free-Cash-Flow-Margen über 2 % erforderlich“.

Der auf Martini.ai basierende „Assistant’s Take“ vergleicht Stellantis zudem mit den Konkurrenten Ford und GM. Kurzfristig werde die Investition „neue Schulden erfordern, sofern sie nicht durch höhere Profitabilität oder Vermögensverkäufe ausgeglichen wird“. Das erhöhe das Verschuldungsrisiko in einer Phase „anhaltender Cashflow-Volatilität“. Während GM „die stabilste Finanzlage mit besseren Margen“ habe, bewege sich Ford auf ähnlichem Druckniveau wie Stellantis. Letzterer „hinke bei Liquidität und Nettoverschuldung hinterher“ und nähere sich bei weiter steigender Verschuldung „den Schwellenwerten des spekulativen Bereichs“.

Langfristig sieht Martini.ai jedoch Potenzial: Die Expansion solle „die Wettbewerbsfähigkeit in den USA stärken, mit fünf neuen Elektrofahrzeugmodellen und 19 Produktauffrischungen bis 2029“. Wenn der Plan aufgehe, könne „die Profitabilität zurückkehren und die kurzfristigen Kreditbelastungen durch Skaleneffekte und optimierte Lieferketten kompensiert werden“.

Das Fazit fällt abgewogen aus: „Die Expansion ist zugleich ein Meilenstein der industriellen Erneuerung und ein Kredit-Stresstest“, resümiert Martini.ai. Der Konzern beweise langfristigen Optimismus, doch bleibe „eine wachsame Beobachtung der Kreditkennzahlen unabdingbar“. Sollte sich die Cash-Generierung nicht deutlich verbessern, könne der „Kredittrend von Stellantis bis 2026 in Richtung spekulativer Einstufung driften“.

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