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Stillstand im Markt der Ratingagenturen: Abnehmende Dynamik und fehlende Neuzugänge
Von Dr. Oliver Everling | 10.September 2025
Wer auf die Entwicklung des europäischen Marktes für Ratingagenturen blickt, kann sich der Diagnose einer abnehmenden Dynamik kaum entziehen. Ein Blick in die „List of de-registered or de-certified CRAs“ zeigt ein deutliches Bild: Über die vergangenen Jahre hinweg ist eine beachtliche Zahl von Agenturen vom Markt verschwunden – neue Wettbewerber sind dagegen nicht hinzugekommen.
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) führt diese Liste, die zuletzt am 10. Juli 2024 aktualisiert wurde. Sie liest sich wie ein Register der Rückzüge und Abgänge. So sind unter anderem Feri EuroRating Services AG in Deutschland bereits im März 2017 und Beyond Ratings SAS in Frankreich im Juli 2019 aus dem Kreis der zugelassenen Agenturen ausgeschieden. 2020 folgte die Aberkennung der Zulassung für die US-amerikanische Kroll Bond Rating Agency. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union kam es Anfang 2021 zudem zu einer ganzen Welle an Abmeldungen namhafter Häuser wie Fitch Ratings, Moody’s oder DBRS in ihren britischen Niederlassungen. Auch kleinere Agenturen wie Rating-Agentur Expert RA GmbH in Deutschland (2022) oder Qivalio SAS in Frankreich (2023) gaben auf. Jüngst, im Juni 2024, kam EuroRating Sp. z o.o. in Polen hinzu.
Bemerkenswert ist nicht nur die Länge der Liste, sondern vor allem das Gegenstück: Seit Jahren gibt es keine Einträge auf der Seite der Neuzulassungen. Damit deutet sich ein strukturelles Problem an. Der Markteintritt für neue Ratingagenturen scheint durch regulatorische Anforderungen, hohe Kosten und die starke Stellung der etablierten, global tätigen Anbieter nahezu blockiert.
Was als Ziel der Regulierung nach der Finanzkrise 2008 gedacht war – nämlich die Stärkung von Transparenz, Qualität und Stabilität im Ratingwesen – hat zugleich den Wettbewerb gebremst. Während sich große Agenturen auf ihre internationale Präsenz stützen können, fehlen kleinen oder spezialisierten Anbietern die wirtschaftlichen Spielräume. Der Markt verengt sich damit faktisch, auch wenn die Regulierung einen offenen Wettbewerb vorsieht.
Die abnehmende Dynamik hat Folgen. Weniger Vielfalt an Ratinganbietern bedeutet zugleich eine stärkere Abhängigkeit von den bekannten Platzhirschen. Für Investoren, Emittenten und letztlich auch für die Stabilität der Finanzmärkte stellt dies eine Entwicklung dar, die den ursprünglichen Intentionen der Marktöffnung und Regulierung widerspricht.
Die „List of de-registered or de-certified CRAs“ ist daher mehr als nur ein Verwaltungsdokument. Sie ist ein Spiegel des schleichenden Rückzugs von Wettbewerb in einem Markt, der wie kaum ein anderer vom Vertrauen in Unabhängigkeit und Vielfalt lebt.
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