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Vom Zuschauen zum Mitgestalten: Virtuelle Realität als Sinnbild des Wandels von der Attention zur Action Economy

Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025

Kaum ein technologisches Feld verkörpert den gegenwärtigen ökonomischen und kulturellen Paradigmenwechsel so eindrucksvoll wie die virtuelle Realität. Während die Attention Economy durch passive Rezeption geprägt war – durch das Schauen, Liken und Konsumieren von Inhalten –, steht die virtuelle Realität für eine neue Form der Beteiligung: den Übergang vom Zuschauer zum Akteur. In immersiven Welten ist der Mensch nicht länger bloßer Empfänger von Eindrücken, sondern Mitschöpfer seiner eigenen Erfahrung.

Diese Verschiebung markiert den Kern dessen, was Aoshi Chen als Beginn der Action Economy bezeichnet. In seinem Denken wird Technologie nicht mehr als Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung verstanden, sondern als Werkzeug der Handlungsbefähigung. Virtuelle Realität (VR) und erweiterte Realität (AR) schaffen Umgebungen, in denen Erfahrung, Erkenntnis und Aktion verschmelzen. Sie bieten nicht nur Unterhaltung, sondern ermöglichen Lernen, Gestalten, Experimentieren – kurz: eine neue Qualität des Wirkens.

Während in der Attention Economy die Blickrichtung des Menschen kontrolliert und gelenkt wurde, erweitert die Action Economy das Handlungsspektrum. In der virtuellen Realität ist Aufmerksamkeit kein Ziel, sondern Ausgangspunkt: Sie wird zur Ressource, die durch Interaktion aktiviert wird. Das Individuum ist nicht länger ein Punkt im Datenstrom, sondern ein aktiver Teil eines Erlebnissystems. Jede Bewegung, jede Entscheidung und jede kreative Geste verändert die Welt, in der man sich befindet – und damit auch das eigene Verhältnis zur Realität.

In dieser aktiven Form der Teilhabe liegt der symbolische Kern des Paradigmenwechsels von Quantität zu Qualität. Es geht nicht mehr darum, wie viele Menschen zuschauen, sondern wie tief sie sich einlassen; nicht darum, wie groß die Reichweite ist, sondern wie intensiv die Erfahrung wirkt. Virtuelle Realität wird damit zum Spiegel einer neuen Ökonomie, die auf Engagement, Wirkung und Sinn ausgerichtet ist.

Gerade im Kontext von Bildung, Kultur und Wirtschaft wird VR zu einem Experimentierfeld für die Prinzipien der Action Economy. Unternehmen entwickeln immersive Trainingsumgebungen, in denen Mitarbeiter nicht konsumieren, sondern handeln und reflektieren. Künstler schaffen partizipative Räume, in denen das Publikum Teil des kreativen Prozesses wird. Selbst Markenkommunikation wandelt sich – weg von der Botschaft, hin zur gemeinsamen Erfahrung.

Diese Entwicklung hat auch strukturelle Folgen für die Art, wie Wert gemessen wird. In der Logik der Attention Economy war Wert gleichbedeutend mit Reichweite; in der Action Economy entsteht er durch Beteiligung und Wirkung. Virtuelle Welten zeigen exemplarisch, wie Wertschöpfung durch Interaktion entsteht: durch das Tun, nicht durch das Zuschauen.

Virtuelle Realität ist somit nicht nur eine technologische Innovation, sondern ein kulturelles Symbol. Sie steht für eine Wirtschaft, in der der Mensch wieder in den Mittelpunkt rückt – nicht als Konsument, sondern als Mitgestalter. In ihr verdichtet sich die Vision einer neuen, qualitativen Ökonomie, in der Erleben, Handeln und Sinn eine Einheit bilden. Wo die Attention Economy die Welt zur Bühne machte, verwandelt die Action Economy sie in einen Werkraum – einen Raum, in dem Zukunft nicht beobachtet, sondern gestaltet wird.

Themen: Nachhaltigkeitsrating, Technologierating, Unternehmensrating | Kommentare deaktiviert für Vom Zuschauen zum Mitgestalten: Virtuelle Realität als Sinnbild des Wandels von der Attention zur Action Economy

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