« | Home

Wie sich der Westen mit seinem Konfrontationskurs gegen China doppelt schwächen könnte

Von Dr. Oliver Everling | 9.Dezember 2025

Die politischen und wirtschaftlichen Strategien des Westens gegenüber China folgen zunehmend einem konfrontativen Kurs: Handelshemmnisse, Exportkontrollen, Anreize zur heimischen Produktion, „De-Risking“ und die Suche nach neuen Absatzmärkten in Schwellenländern sollen die Abhängigkeit vom Reich der Mitte reduzieren. Doch dieser Ansatz birgt eine paradoxe Gefahr: Indem China auf die westliche Abschottung mit einer aggressiven Verlagerung seiner Export- und Produktionskapazitäten in Entwicklungs- und Schwellenländer reagiert, könnte der Westen am Ende nicht nur China weniger schwächen als gehofft, sondern unerwartet auch sich selbst.

Der Blick auf das, was Alexandra Stevenson den „zweiten China-Schock“ nennt, zeigt, warum.

Vor rund zwanzig Jahren lud der Westen den ersten China-Schock quasi selbst ein. Unternehmen aus Europa und den USA verlagerten ihre Produktion nach China, wo billige Arbeitskräfte und gigantische industrielle Kapazitäten die Kosten radikal senkten. China wurde zur verlängerten Werkbank des globalen Nordens. Ganze Industrien brachen in den USA und Europa ein, Millionen Arbeitsplätze verschwanden, und politische Spannungen wirken bis heute nach.

Der zweite China-Schock sieht anders aus und folgt einer neuen Logik. Da chinesische Produkte aufgrund von Zöllen und geopolitischen Spannungen in den USA schlechtere Absatzchancen haben und der heimische Konsum in China nicht stark genug wächst, richtet Peking seine Überkapazitäten zunehmend auf die Entwicklungsländer aus. Gleichzeitig baut China Fabriken direkt in diesen Ländern auf, nicht selten um US-Zölle zu umgehen.

Für viele dieser Staaten ist die Abhängigkeit von einer funktionierenden lokalen Industrie groß. Und genau diese Industrie trifft der neue China-Schock mit voller Wucht. In Indonesien gingen in den letzten zwei Jahren nach Schätzungen mehr als 300.000 Arbeitsplätze in Textil- und Bekleidungsfabriken verloren, da billigere chinesische Importe den Markt überfluteten. In Thailand warnte die Zentralbank jüngst vor der zunehmenden „Überflutung“ südostasiatischer Märkte durch chinesische Exporte. Afrikanische Staaten wiederum verzeichnen rasant steigende Importmengen aus China – allein im September erreichten sie 60 Milliarden Dollar und übertrafen damit bereits das gesamte Vorjahresniveau.

Dabei geht es nicht mehr nur um billige Konsumgüter. China exportiert zunehmend auch seine Fabriken – und trifft damit lokale Industrien mit doppelter Wucht. Vietnam profitiert davon bisher, da arbeitsintensive Branchen wie Möbel oder Schuhe tatsächlich Arbeitsplätze schaffen. Malaysia hingegen zeigt die Risiken: Chinesische Solargiganten bauten immense Produktionsstätten auf, verdrängten die lokale Industrie – bis US-Zölle den Exportstrom stoppten. Die chinesischen Fabriken wurden stillgelegt, und Malaysias eigener Solarsektor liegt heute weitgehend am Boden.

Diese Art von strukturellem Schaden trifft Länder mit jungen Bevölkerungen und ohnehin fragilen industriellen Ökosystemen besonders hart. Damit entsteht ein geopolitisches Paradox: Der Westen sucht in den Schwellenländern neue Produktionsstandorte und wachsende Absatzmärkte, um sich von China zu lösen. Doch genau diese Länder geraten durch die chinesische Exportoffensive wirtschaftlich unter Druck – ihre Industrien schrumpfen, ihre Beschäftigung erodiert, und ihre politische Stabilität wird fragiler. Staaten, die der Westen als künftige Partner sieht, könnten dadurch strukturell geschwächt werden. Zugleich könnten ihnen die Mittel fehlen, um zu den erhofften Wachstumsmärkten aufzusteigen, die Europas und Amerikas Unternehmen dringend brauchen, wenn Absatzmärkte in China wegbrechen.

Das Ergebnis wäre eine doppelte Schwächung: China kompensiert die Verluste im Westen durch Gewinne im globalen Süden, während der Westen nicht nur von China entkoppelt, sondern auch von denjenigen Märkten enttäuscht wird, die seine Abhängigkeit verringern sollten.

Der erste China-Schock hatte tiefgreifende soziale und politische Folgen im Westen. Der zweite könnte dieselbe Wirkung in Schwellenländern entfalten – mit Rückkopplungseffekten, die auch den Westen treffen. Denn eine Welt, in der lokale Industrien in Afrika und Asien kollabieren, in der soziale Spannungen zunehmen und politische Instabilität wächst, ist nicht nur ein geopolitisches Problem. Sie ist auch eine Welt, in der der Westen weniger Absatzmärkte, weniger Partner und weniger wirtschaftliche Dynamik findet.

China selbst hat aus dem ersten Schock gelernt und nutzt diese Erfahrung nun, um global seinen Einfluss auszubauen. Der Westen hingegen riskiert durch seinen Konfrontationskurs, dass der Versuch, China einzudämmen, am Ende seine eigenen strategischen Ziele untergräbt.

Themen: Länderrating | Kommentare deaktiviert für Wie sich der Westen mit seinem Konfrontationskurs gegen China doppelt schwächen könnte

Kommentare geschlossen.