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Der Weg zur Wahrheit – oder die Wahrheit muss weg

Von Dr. Oliver Everling | 21.Juni 2022

Der Mensch handelt, tut immer irgendwas. Das ist doch logisch und daher allgemeiner Konsens – oder nicht?

Wer behauptet, der Mensch handelt nicht, verstrickt sich in einen sogenannten performativen Widerspruch. Schon die Ablehnung des Satzes „Der Mensch handelt“ setzt nämlich eine Aktion voraus, mindestens des Gehirns, der Gedanken. Um den (in sich widersprüchlichen) Gedanken, der Mensch handele nicht, mit anderen zu teilen, muss man mindestens sprechen, schreiben oder sonst wie kommunizieren. Also tut man doch etwas, handelt, beziehungsweise führt eine Aktion aus! Schon das Denken ist eine Aktion (wenn auch manchmal eine schwierige).

Die Erkenntnis, dass der Mensch handelt, ist folgenschwer, und zwar nicht nur für Philosophen, sondern auch für Ökonomen, Politiker – tatsächlich für jedermann sind die daraus folgenden logischen Ableitungen wichtig. Denn aus dieser Erkenntnis leitet sich zwingend eine Vielzahl weiterer Sätze ab, die nicht anders gedacht werden können.

Wer handelt, muss nämlich immer auch einen Impuls oder ein Motiv gehabt haben, um zu handeln, und sei es auch nur ein Juckreiz. Irgendwie handelt jeder Mensch zielgerichtet, beschafft sich Luft, Getränke, Nahrung oder bewegt sich zum Stuhlgang.

Jede Handlung setzt das Wählen zwischen Alternativen voraus, selbst wenn die Wahl instinktiv oder nur unbewusst abläuft – lieber Luft holen oder lieber ausatmen? Lieber ein Schluck Wasser trinken oder in einen Cookie beißen? Lieber einen Veggie-Burger oder doch eher eine vegane Suppe essen? Mit dem 9-Euro-Ticket zur Oma oder lieber mit dem lautstarken Motorad losbrausen, das mit seinem Lärm gleich auch bei den Nachbarn auffällt?

Auch „Nichtstun“ ist eine Aktivität, die beim Menschen nur mit dem Tod zum Erliegen kommt, wenn er nicht weiter atmet. Das Leben des Menschen ist also von steten Wahlhandlungen gekennzeichnet, zwischen Gehen und Stehen, Liegen und Sitzen, Fahren und Laufen usw. zu wählen. In jedem Online-Shop und an jedem Einkaufsregal wird das Entscheiden des Menschen zum Verhalten von Konsumenten, die dieses oder jenes Produkt vorziehen oder ablehnen.

Aus allen diesen Aktivitäten des Menschen folgt zwingend, dass es eine Rangordnung von Alternativen gibt, die mehr oder weniger nützlich sind: Erst sicherstellen, dass ich genug Luft habe. Dann den Durst stillen, dann den Hunger. Dann für Bewegung und Schlaf sorgen usw.

Die Rangordnung der möglichen Handlungen, die sich ständig ändert aufgrund der Befriedigung oder Erreichung von vielen kleinen Zielen, impliziert das von Volkswirten formulierte Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag: Sobald ein Bedürfnis befriedigt ist, wendet man sich einem anderen Bedürfnis zu und kehrt gegebenenfalls zum ersten Bedürfnis erst zurück, nachdem andere Bedürfnisse befriedigt wurden.

Die Erkenntnis, dass jeder Mensch wie beschrieben handelt, hat äußerst weitreichende Konsequenzen für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, und zwar auch solche, über die es keineswegs einen allgemeinen Konsens gibt. Darin liegt eine Menge politischer Sprengstoff. Jeder Leser, der zu folgendem neuen Buch greift, wird überrascht sein: “Der Weg zur Wahrheit – Eine Kritik der ökonomischen Vernunft” von Thorsten Polleit im FinanzBuch Verlag, einem Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH.

Thorsten Polleit verblüfft mit seinem Buch jeden, der ihn „nur“ als Chefvolkswirten der Degussa Goldhandel oder aus einer seiner weiteren Aktivitäten kennt. Mit dem neuen Buch stellt Thorsten Polleit unter Beweis, wie tief sein theoretisches Fundament ist, auf dem er seine Aussagen als Chefvolkswirt entwickelt.

Chefvolkswirte bei anderen deutschen Instituten für Wirtschaftsforschung brauchen keine Zeit darauf zu verschwenden, ihre – in Wirklichkeit fragwürdigen – philosophischen Grundlagen, sofern überhaupt vorhanden, ihrer theoretischen Modelle zu begründen, da sie sich im sicheren „Mainstream“ bewegen, sie also ihre Theorien im durch Mehrheit geschützten Hauptstrom der Masse der Ökonomen wissen. Wenn Folgerungen aus ihren Modellen politisch „passen“, wird nicht lange nach Widersprüchen im Fundament gesucht.

Thorsten Polleit hebt sich nun mit seinem neuen Buch deutlich aus dem Kreis seiner fachlichen Kollegen hervor, indem er seine profunde Kenntnis der Philosophen von der Antike bis heute unter Beweis stellt. Der Leser braucht hier kein Wortgeklingel zu befürchten, sondern darf sich darauf verlassen, mit dem Buch von Thorsten Polleit einen leichteren Zugang zu den Gedankengebäuden selbst solcher Philosophen zu erlangen, deren Weisheiten den meisten Lesern trotz Schule und Studium verborgen geblieben sind.

Einzigartig ist dieses Buch aber dadurch, dass es ausgehend u.a. von „Glauben und Erkennen“ nach Thomas von Aquin, der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, der historischen Schulen in ihren Varianten, dem Methodenstreit, über Positivismus und Empirismus sowie Poppers Falisikationismus bis zur Logik des menschlichen Handelns reicht, weiterführende Einsichten liefert und schließlich handlungslogische Anwendungsfälle aufzeigt.

 

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