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Digni-Geld

Von Dr. Oliver Everling | 1.März 2018

Prof. Dr. Christian Rieck greift mit dem Buch „Digni-Geld – Einkommen in den Zeiten der Roboter“ geschickt ein Thema auf, das zu den wichtigsten Sorgen insbesondere auch der Deutschen gehört. Während gemäß Umfragen zum Beispiel Chinesen sich von den neuen Technologien trotz Überwachungsstaat mehr Chancen als Risiken ausrechnen, ist es bei den Deutschen umgekehrt.

„Aber wieso haben wir dann so viel Angst davor?“ Das fragt Rieck mit Blick auf die Technologien von robotorisierenden Unternehmen wie Google, Amazon, Apple usw. und antwortet: „Weil die rosigen Zeiten nur dann kommen, wenn wir die Zutaten richtig kombinieren. Kombinieren wir sie falsch, dann bleibt es bei Bomben, die wir mitten in unserem Wohnzimmer lagern.“

Christian Rieck gliedert sein Buch in drei Teile: Geld verdienen; Geld konstruieren; Geld arbeiten lassen. Im ersten Teil geht es um die Frage, wozu es überhaupt Eigentum gibt, wie man gegen einen Roboter kämpft und ob es wirklich so kommen wird. Der zweite Teil gibt einen Überblick über gesicherte Erkenntnisse über Geld (Geldbasis, Vollgeld, Fiatgeld, Kreditgeld, Geldmengenmultiplikator), die Wirkung der Geldmenge (Helikoptergeld, Zinsen, Inflation, Preise, Geldillusion), Deflation, Gold, Boden und Bitcoin. Wer sich damit bereits auskennt, zum Beispiel weil selber Bankkaufmann oder mit finanzwirtschaftlichem Studium ausgebildet, kann direkt zum dritten Teil übergehen, wo Christian Rieck seine Qualitäten als Vordenker unter Beweis stellt. Im dritten Teil kommt er auf die Idee des „Digni-Geldes“ zu sprechen. Hier diskutiert er die Technologie, die Logik des Vorschlags sowie die Frage, wie der „Digni-Geld-Kapitalstock“ gefüllt werden kann.

„Die neuen technischen Möglichkeiten führen dazu,“ so Rieck, „dass wir eine andere Form von Geld konstruieren können als wir es bisher kannten. Das ist der Schlüssel dafür, das Wirtschaftssystem für den digitalen Wandel umzugestalten. So umzugestalten, dass die Menschen von dem Wandel profitieren und nicht unter ihm leiden.“

Wer sich durch die ersten beiden Teile des Buches arbeitet, wird von Rieck reich belohnt. Er schenkt hier dem Leser am Rande seines Kernthemas, dem Digi-Geld, eine Fülle von Erkenntnissen, die vom Leser quasi „nebenbei“ geerntet werden können, so zum Beispiel Irrlehren des Karl Marx, der noch heute Ideen von Linken und Träumern beflügeln. Kurz und bündig stellt dazu Rieck klar, wie das Verhältnis von Arbeit und Kapital von Marx missverstanden wurde und es deshalb zu seinen falschen Prognosen kam.

Rieck nimmt die Sorgen der Menschen ernst, die sich von neuen Technologien verdrängt fühlen und ihre Arbeit entwertet sehen. Den Maschinenstürmern gibt er aber keine Chance: „Ein Frontalangriff auf Maschinen ist nicht zu gewinnen; denn selbst wenn man gewinnt, ist der Sieg teurer als die Niederlage.“ Wer an Riecks Urteil Zweifel hegt, wird durch sein neues Buch eines Besseren belehrt.

Die Produktivitätssteigerung von Maschinen ist kaum zu bremsen. „Was entsteht ist eine Zweiteilung der Gesellschaft: Die einen liegen über der erforderlichen Mindestproduktivität und arbeiten immer härter; die anderen liegen darunter und arbeiten gar nicht mehr. Dummerweise verschiebt sich diese Grenze immer weiter nach oben.“

Hollywood-Filme über den Kampf menschartiger Roboter gegen die Menschheit mögen zwar Kassenschlager sein, gehen aber an der Realität vorbei: „Was wir verdrängen ist die Tatsache,“ so Rieck, „dass im Arbeitsleben zwar meist eine speziell ausgeprägte Intelligenz und spezialisiertes Wissen nötig ist, jedoch kein Bewusstsein.“

Rieck fügt hinzu: „Ich bestreite nicht, dass es Firmengründer, Gestalter, Visionäre, Kreative und andere Personen gibt, die auch in den kommenden 100 Jahren vor künstlicher Intelligenz sicher sein dürften. Aber das sind Ausnahmepersönlichkeiten. Für den großen Rest gilt: Die überwiegende Zahl der Tätigkeiten ist gar nicht so großartig, dass man dafür ein Genie sein muss.“ In der Monopolisierung künstlicher Intelligenzen sieht Rieck die eigentliche Gefahr. „Das Problem ist nicht, dass die Menschen in der Produktion nicht mehr gebraucht werden; das Problem ist, dass unsere Art, Einkommen zu verteilen, davon ausgeht, dass man Menschen in der Produktion braucht.“

Rieck schlägt im dritten Teil seines Buches „eine Neukonstruktion des Geldes vor, die das Problem lösen kann, dass Menschen keinen Platz mehr in der Erwerbsarbeit haben werden.“ Deshalb gehe es in dem zweiten Teil darum, „wie Geld funktioniert und wie man es konstruiert.“

Der Leser braucht nicht zu befürchten, dass Rieck in diesem Kapitel trocken in die Geldtheorie einführt. Die Essenz der Ideen, die sonst ganze Bücher füllen, vermittelt Rieck einfach in wenigen Absätzen. Zum Beispiel Mindestreservebanking (nachdem er bereits „Vollgeld“ erklärt hat): „Die Fluggesellschaft hat Ihnen zwar ein Ticket ausgestellt, auf dem steht, dass Sie Eigentümer eines Platzes sind, aber sie hat das heimlich mit mehr Fluggästen gemacht als sie Plätze hat. Sie tut das, weil sie ziemlich sicher ist, dass einige Passagiere nicht kommen werden. Im Geldwesen gibt es diese Vorgehensweisen auch und heißt dort Mindestreservebanking. Dort kann es durchaus sein, dass Sie jemandem Ihr Geld zur Aufbewahrung anvertrauen, er aber nichts Besseres zu tun hat, als dieses Geld ohne Ihr Wissen an jemand anders zu verleihen, wenn es sein muss, auch gleich mehrfach. Das geht, wenn Geldeinlagen nicht als Sondervermögen geführt werden.“

Mit Humor und vielen Beispielen setzt sich Rieck mit den Phänomenen der Inflation und Deflation auseinander und erklärt, warum Deflation das „Schreckgespenst“ der herrschenden Theoretiker ist. Rieck kommt aber zu einer differenzierteren Schlussfolgerung: „Es macht einen ganz erheblichen Unterschied, ob die Deflation Folge einer Geldmengenverknappung ist oder Folge von Produktivitätszuwächsen. Die Abwärtsspirale, die zur Implosion des Geldsystems führt, liegt nicht an der Deflation selbst, sondern an der Besonderheit der Geldschöpfung in dem Mindestreservesystem. Bei Vollgeld wäre Deflation kein Problem.“

„Es darf keinen positiven Nominalzins geben. Andernfalls tritt das Problem der Schuldknechtschaft auf, weil Kreditzinsen mit Basisgeld zurückgezahlt werden müsste, was es nicht gibt“, glaubt der auch als Spieltheoretiker bekannte Rieck. Die Realität kennt weder feste Spielregeln noch unveränderliche oder unsterbliche Spieler. Die Angst vor der „Schuldknechtschaft“ kann man ihm daher nehmen: Kapitalgeber sind nicht nur Gläubiger, sondern selbst auch Konsumenten. Wer gut investiert, holt sich das Geld direkt oder indirekt von den Gläubigern wieder oder lässt Konkurrenten untergehen – so wie Amazon in Deutschland die noch vor zwei Jahrzehnten größten Versandhäuser Europas wie Quelle und Neckermann ausradierte

Es gibt keine festen „Mitgliedschaften“ mehr im Club der Reichen – schon immer gab es hier ein Kommen und Gehen, heute aber mehr noch als je zuvor. In immer schnellerer Folge lösen sich die Millionäre ab. Spektakuläre Selbstmorde nach Insolvenzen sind nur die Spitze des Eisberges: Nicht nur unerfahrene Lottomillionäre, sondern auch Erben versenken oft ihr Vermögen.

Während sich Rieck in den ersten beiden Kapiteln noch auf Literatur stützten kann, beweist er seine Kreativität und seinen Mut im dritten Kapitel. Hier geht es um die „Grundidee des Digni-Geldes: Digni-Geld ist ein leicht handelbares Eigentumsrecht am Kapitalstock einer Volkswirtschaft, das zum gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht wurde.“

Rieck sieht Gefahren durch ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, wie es von Linken und einigen Superreichen gefordert wird: „Denn Geld zu geben heißt immer, nur Almosen zu geben. Die Verfügungsgewalt und die zukünftigen Wertsteigerungen des Kapitals verbleiben bei dem, der es als erster hat. Wir müssen aber sehen, dass es oft zu einem großen Teil Zufall ist, wer das Rennen macht und in den Genuss des großen Kapitals kommt.“

Durch Digni-Geld würde ein neuer Eigentumstitel an Unternehmen geschaffen. Statt Steuern zu zahlen, übertragen Unternehmen diese Eigentumstitel. Geld wäre immer durch den Wert gedeckt, den das im Unternehmen investierte Kapital reflektiert.

Das Buch von Rieck liefert auf unterhaltsame Art – ohne je unsachlich zu werden – eine Fülle von Denkanstößen, zentrale Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Rieck öffnet dem Leser die Augen dafür, die Chancen eines neuen Geldsystems zu erkennen. Rieck gibt nicht vor, bereits ein perfektes Konzept vorzulegen. So müsste beispielsweise bedacht werden, dass ein durch Produktivkapital gedecktes Geldsystem auch die Frage nach Stimmrechten in Gesellschafter- und Hauptversammlungen zu regeln hätte. Und was ist von der Kapitaldeckung zu halten, wenn zwischenzeitlich das Unternehmen gegenstandslos wird?

Bescheiden spricht Rieck von der „0. Auflage“ seines Buches, das – obwohl nun schon erhältlich – noch auf die erste Auflage warte. Rieck darf schon bei seiner nullten Auflage mit einer breiten Leserschaft rechnen – schließlich sind heute Kryptowährungen wie Bitcoin in aller Munde und haben sehr viele Menschen dazu angeregt, grundsätzlich darüber nachzudenken, was Geld eigentlich ist, nach dem sie täglich streben.

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