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Marktanteile der US-Agenturen bleiben ein europäisches Debakel

Von Dr. Oliver Everling | 22.Dezember 2021

Es bleibt dabei: Die überbordende Regulierung von Ratingagenturen hat in der Europäischen Union (EU) ihr Ziel verfehlt. Es bleibt bei der Dominanz US-amerikanischer Ratingagenturen, die für die Allokation der volkswirtschaftlichen Ressource „Kapital“ auch in Europa praktisch allein maßgebend bleiben. Die drei führenden US-Agenturen S&P Global Ratings Europe, Moody’s Investors Service und Fitch Ratings vereinen inzwischen 92,19 % der Umsätze auf sich – und das auch noch nach „Brexit“, obwohl die US-Agenturen im angelsächsischem Raum natürliche Vorteile haben und diese Umsatzanteile in neue Berechnungen nicht mehr eingehen.

Der Marktanteil dieser drei Agenturen, S&P Global Ratings EuropeMoody’s Investors Service und Fitch Ratings, ist nach dem  Jahr 2012 zum Beispiel mit 87,02 % und mit 91,07 % im letzten Jahr 2019 nun 2020 mit 92,19 % noch höher als damals, als die Politik in Europa meinte, die Chance der Finanzkrise nutzen zu können, die US-Agenturen in Schranken zu verweisen.

Zu berücksichtigen ist bei diesen Zahlen außerdem, dass eine Reihe von Ratingagenturen Maßnahmen ergriffen hat, um die Kontinuität ihrer Ratingtätigkeiten sicherzustellen, bevor der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU am 31. Dezember 2020 abgeschlossen wurde. Ratingagenturen, die – wie die US-amerikanischen Marktführer – eine bedeutende Präsenz im Vereinigten Königreich haben, verfolgten unterschiedliche Ansätze zur Umstrukturierung ihrer Geschäfte. Diese Änderungen wirkten sich im Jahr 2020 auf die anwendbaren Einnahmen der Ratingagenturen aus EU-Kreditratingaktivitäten aus und spiegeln sich in den Veränderungen der Marktanteile der Ratingagenturen im diesjährigen Marktanteilsbericht wider.

Vor diesem Hintergrund sind insbesondere die Marktanteilsveränderungen bei S&P Global Ratings Europe und Moody’s Investors Service, aber auch bei DBRS Ratings zu sehen. S&P Global Ratings Europe steigert durch die neue Zuordnung den Marktanteil 2020 auf 51.77% (von 40.40% in 2019), während Moody’s Investor Service mehr Umsatz in Vereinigten Königreich behält (Marktanteil in der EU 2020 nur 30.12% nach 33.12% in 2019). Auch die kanadische DBRS Ratings gibt ab (1.11% 2020 nach 2.99% 2019), ebenso die auf Versicherungen spezialisierte Agentur AM Best Europe-Rating Services (Marktanteil 2020 nur noch 0.41% nach 0.95% in 2019). Allen Agenturen, die Marktanteile abgegeben haben, ist gemeinsam, dass sie ihre Muttergesellschaften auf dem amerikanischen Kontinent und einen Tätigkeitsschwerpunkt im wichtigsten europäischen Finanzzentrum haben, dem vom Brexit betroffenen London.

Der Anstieg der Marktanteile der in der EU verbliebenen Ratingagenturen bewegt sich vor dem Hintergrund der genannten Effekte im kosmetischen Bereich. CERVED Rating Agency (Anstieg auf 1.18% 2020 nach 0.84% 2019), Scope Ratings (Anstieg auf 1.00% 2020 nach 0.62% 2019) und CreditReform Rating (Anstieg auf 0.84% nach 0.53%). Aus der Rechenmechanik der Marktanteilsberechnung folgt, dass auch die anderen Agenturen Marktanteilsgewinne aufweisen können, obwohl die Dominanz der US-Agenturen nicht gebrochen wurde.

Eines der Ziele der EU-Verordnung über Ratingagenturen (Credit Rating Agencies bzw. CRA-Verordnung) besteht darin, den Wettbewerb auf den Märkten für Ratings zu stärken, indem Emittenten oder verbundene Dritte ermutigt werden, kleinere Ratingagenturen zu beauftragen. In dieser Hinsicht verlangt Artikel 8d der CRA-Verordnung, dass Emittenten oder verbundene Dritte, die beabsichtigen, zwei oder mehr CRAs zum Rating einer Emission oder eines Unternehmen zu beauftragen, die Bestellung von mindestens einer CRA mit nicht mehr als 10 % des Gesamtmarktanteils in Erwägung ziehen.

Für den Fall, dass der Emittent oder ein verbundener Dritter keine Ratingagentur mit einem Gesamtmarktanteil von nicht mehr als 10 % ernennt, verlangt die Verordnung (Artikel 8d), dass diese Entscheidung dokumentiert wird. Die Verpflichtungen aus Artikel 8d werden auf nationaler Ebene von den zuständigen sektoralen Behörden überwacht und durchgesetzt. Um Emittenten oder verbundene Dritte bei dieser Bewertung zu unterstützen, verlangt Artikel 8d der CRA-Verordnung, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) eine Liste der registrierten Ratingagenturen und der von ihnen abgegebenen Ratingarten zusammen mit einer Berechnung von Einnahmen der Ratingagenturen aus Ratingtätigkeiten und Nebendienstleistungen auf Gruppenebene veröffentlicht.

Ratingtätigkeiten beziehen sich auf die Definition von Ratings gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der CRA-Verordnung. Diese Aktivitäten beinhalten die Abgabe von Gutachten über die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens, einer Schuld oder einer finanziellen Verpflichtung, einer Schuldverschreibung, einer Vorzugsaktie oder eines anderen Finanzinstruments oder eines Emittenten einer solchen Schuld oder einer solchen finanziellen Verpflichtung, einer Schuldverschreibung, einer Vorzugsaktie oder eines anderen Finanzinstruments.

Gemäß Artikel 8d Absatz 3 der CRA-Verordnung wird der Gesamtmarktanteil jeder registrierten Ratingagentur anhand des Jahresumsatzes berechnet, der aus Ratingtätigkeiten und Nebendienstleistungen auf Gruppenebene in der EU für diese Ratingagentur oder Gruppe von Ratingagenturen erzielt wird. Für die Zwecke dieser Untersuchung wurde von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) der Gesamtmarktanteil auf der Grundlage der geprüften Jahresabschlüsse der Ratingagenturen in Bezug auf den Jahresumsatz aus den Ratingtätigkeiten und Nebendienstleistungen für das Kalenderjahr 2020 berechnet.

Die heute von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) veröffentlichte Tabelle enthält eine Liste aller CRAs, die gemäß der CRA-Verordnung in der EU registriert sind. Für jede Ratingagentur stellt die ESMA den anwendbaren Gesamtmarktanteil bereit. Schließlich liefert die ESMA einen Indikator dafür, ob eine Ratingagentur einen Gesamtmarktanteil von weniger als 10 % hat.

Auf den Jahr für Jahr peinlicher werdenden Bericht der ESMA über das Scheitern der EU-Regulierung über Ratingagenturen lässt die ESMA Jahr für Jahr länger warten. Nun wurde es schon der 22. Dezember 2021, also kurz vor den Feiertagen, bis der Bericht über 2020 fertig wurde.

Der Bericht der ESMA enthüllt außerdem, wie man sich von den zahlreichen Ratingveröffentlichungen kleinerer Agenturen blenden lassen kann: So könnten die vielen Meldungen mancher Agenturen über die von ihnen erteilten Ratings Glauben machen, sie würden in ähnlichem Umfang von Anlegern und Emittenten nachgefragt wie die führenden US-Agenturen. Das ernüchternde Bild der ESMA: Während die Ratings von S&P Global Ratings Europe oder Moody’s Investors Service fast immer nur nach Auftrag erfolgen, erteilen manche kleinere Agenturen überwiegend oder sogar ganz ungefragt ihre Ratings (siehe Kapitel 8 „Market Share of EU Registered CRAs by Rating Category“ des „Report on CRA Market Share Calculation“ der European Securities and Markets Authority).

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