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Risiko geldpolitischer Fehlentscheidungen steigt

Von Dr. Oliver Everling | 20.Juli 2023

In China ist das Wirtschaftswachstum mit etwa 5 % relativ niedrig, in den USA liegt es unter 2 %, und in Europa beginnt sich eine Kontraktion abzuzeichnen. Einen Rückgang des globalen Konjunkturwachstums unter die Schwelle von 2 % – also ein klassisches Rezessionsszenario – hält der Chefanlagestratege von ODDO BHF Asset Management für möglich. „So weit ist es noch nicht, aber die Fortschreibung der aktuellen Entwicklung verheißt mit einem Wachstum von unter 3 % im dritten Quartal nichts Gutes“, schreibt Laurent Denize, Co-CIO von ODDO BHF, in seinem jüngsten monatlichen Marktkommentar. In der Vergangenheit lösten vor allem steigende Arbeitslosenzahlen eine Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit aus. Auch wenn in Deutschland parallel zur Kontraktion der Wirtschaft auch die Arbeitslosenquote um 0,7 % gestiegen sei, zeige sich diese Entwicklung in den Industrieländern noch nicht. Aber in China dürfte der Eintritt von Millionen junger Menschen des Abschlussjahrgangs 2023 in den Arbeitsmarkt die mit 20,4 % bereits hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Arbeitnehmern noch verschärfen und könnte den von der Regierung gepriesenen „Sozialpakt“ gefährden, so Denize.

Sollte sich die Weltwirtschaft am Beginn einer klassischen Rezession befinden, wären aus Sicht von Laurent Denize die folgenden Entwicklungen zu erwarten: Preisrückgang bei Erdöl und Metallen, trendlose Phase bei Hochzinsanleihen, Underperformance der zyklischen Sektoren und ein globaler Abwärtstrend der Aktienindizes. Abgesehen von der Entwicklung der Aktienindizes deuteten die anderen bereits auf eine Rezession. Eine Erklärung für den globalen Anstieg der Aktienindizes sieht er in der spektakulären Performance der „Glorreichen 7“: Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta und Tesla. „Die Outperformance der sieben Tech-Riesen könnte zwar noch eine Weile anhalten, aber selbst der Technologiesektor ist nicht immun gegen eine Rezession und erst recht nicht gegen steigende Zinsen“, so Denize. Darüber hinaus habe die Nasdaq eine Neugewichtung angekündigt, um die Konzentration der MegaCaps im Nasdaq100 zu verringern. „Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich die Kurse dieser Aktien bis zur Neugewichtung am 24. Juli entwickeln und ob andere Indexanbieter diesem Beispiel folgen werden“, so der Chefanlagestratege.

Angesichts der restriktiveren Kreditbedingungen und ihren negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in den Industrieländern (Europa und USA) empfiehlt ODDO BHF AM eine leichte Untergewichtung von Aktien. Ein Konjunkturabschwung werde wahrscheinlicher, daher biete sich eine Umschichtung aus überbewerteten Aktien in Value-Titel, die relativ solide Fundamentaldaten und Wachstumsaussichten aufweisen, an. Auf Sektorebene dürfte der Luxussektor seine „privilegierte Position“ behalten und weitgehend vor Margendruck gefeit sein. Angesichts der attraktiven Bewertungen und in Erwartung eines beschleunigten Wachstums gewichtet ODDO BHF Schwellenländer und insbesondere China höher. „Bisher kommen die Signale für eine Verlangsamung der globalen Konjunktur hauptsächlich aus China und zeigen sich an überdurchschnittlichen Preisrückgängen bei Metallen und Industrierohstoffen. In den kommenden Monaten wird die Schwächung jedoch nicht mehr von China ausgehen, sondern von den Industrieländern“, so Denize. Er rechnet damit, dass die chinesische Regierung mit starken Unterstützungsmaßnahmen eingreift, um die von ihr ausgegebene Wachstumsuntergrenze von 5 % zu erreichen.

Das Kreditrisiko gebe weiterhin Anlass zur Vorsicht, insbesondere bei stark verschuldeten Unternehmen, denn ein Risiko in Bezug auf finanzielle Stabilität führt zu restriktiveren Kreditkonditionen. „Den überschuldeten Immobiliensektor sehen wir weiterhin mit großem Vorbehalt. Nur Anleihen mit kurzer Duration bieten ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis mit angemessenem Carry.“ Denize zufolge sollte ein möglicher Rückgang der Liquidität am Markt genau im Blick behalten werden, da die Notenbanken ihre Bilanzen verkürzen und die für die kommenden Monate erwarteten Emissionen des US-Schatzamtes absorbiert werden müssen. ODDO BHF präferiert deutsche und US-Anleihen mit Laufzeiten von 5–7 Jahren und erhöht nach Gewinnmitnahmen die Untergewichtung bei Anleihen aus Peripherieländern. „Das Risiko geldpolitischer Fehlentscheidungen ist gestiegen. Finanzsystem und Wirtschaft sind fragil“, so Denize. Darüber hinaus werde es für die Notenbanken vor dem Hintergrund einer beschleunigten Transmission der Geldpolitik zunehmend schwerer, Preis- und Finanzmarktstabilität auszutarieren.

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