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Schwunghafter Handel mit Berechtigungsscheinen

Von Dr. Oliver Everling | 2.Februar 2021

Berechtigungsscheine sind eine neue Vermögensklasse in Deutschland. Praktisch ohne Ankündigung verteilt die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland seit Januar 2021 Berechtigungsscheine, die zum Bezug von Waren bestimmt sind. Innerhalb von Tagen sind bereits Märkte entstanden, an denen nun die Berechtigungsscheine gehandelt werden. Begünstigt wurden zunächst zum Beispiel alte Menschen oder Schwangere. Berechtigungsscheine sind aufgrund ihrer Fungibilität handelbar, so dass sie für den jeweils angegeben Zeitraum auch als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel dienen.

Fungibilität (lateinisch fungibilis, „vertretbar“; auch: Vertretbarkeit) ist allgemein die Eigenschaft von Gütern, nach Maßeinheit, Zahl oder Gewicht bestimmbar und deshalb innerhalb derselben Gattung durch andere Stücke gleicher Art, Menge und Güte austauschbar zu sein. Diese Eigenschaft ist auch bei den von der Bundesregierung ausgestellten Berechtigungsscheinen gegeben.

Der in Deutschland schon eingeführte Wohnberechtigungsschein, abgekürzt WBS, ist dagegen nicht fungibel. Ein Antragsteller muss bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllen, damit er einen Wohnberechtigungsschein erhält. Umgangssprachlich wird der Wohnberechtigungsschein auch §-8-Schein genannt. Das ist eine amtliche Bescheinigung in Deutschland, mit deren Hilfe ein Mieter nachweisen kann, dass er berechtigt ist, eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnung (Sozialwohnung) zu beziehen. Neu ist daher bei dem nun von der Bundesregierung begonnenen System die Eigenschaft der Fungibilität des Berechtigungsscheins, wie es auch zur Zeit der Kriegswirtschaft der Fall war.

Berechtigungsscheine sind in ihrer Funktion Lebensmittelmarken ähnlich. Eine Lebensmittelmarke ist ein von öffentlichen Behörden ausgegebenes Dokument zur Bescheinigung, dass der Besitzer ein bestimmtes Lebensmittel in einer bestimmten Menge kaufen darf. In Notzeiten, vor allem im Krieg, werden solche Marken an die Bevölkerung ausgegeben, um vorgeblich den allgemeinen Mangel an Konsumgütern besser verwalten zu können.

Verschiedene Marken können in Lebensmittelkarten zusammengefasst sein, denn außer Lebensmitteln werden häufig auch andere Konsumgüter, z. B. Heizmaterial (Kohlen), Kleidung, Genussmittel wie Zigaretten und Alkohol sowie Benzin rationiert. Die Erlaubnisscheine heißen dann gewöhnlich Bezugsscheine. Für die Erteilung eines Bezugsscheins musste ein besonderer Anlass – wie zum Beispiel die Geburt eines Kindes – vorliegen oder ein Antrag gestellt werden.

Der von der Bundesregierung nun verwendete Begriff des Berechtigungsscheins ist aus der Deutschen Demokratischen Republik bekannt. Der Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums der DDR war die Voraussetzung für „Besuche und Reisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) zur Einreise in die Hauptstadt der DDR“ (Ost-Berlin) bzw. die DDR selbst. Außerdem gab es in der DDR zum Beispiel Berechtigungsscheine für Trinkbranntwein. Der Trinkbranntwein für Bergarbeiter war ein Branntwein, der als Deputatlohn an Bergleute in der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR ausgegeben wurde.

Anfang der 1960er Jahre führte eine verknappende Versorgungslage auch dazu, dass in der DDR bestimmte Lebensmittel wie Butter und Fleisch zeitweise rationiert wurden. Man bekam diese Lebensmittel dann nur an seinem Wohnort gegen Vorzeigen eines geschäftsgebundenen Kundenausweises. Bei Urlaub oder auswärtigen Aufenthalten war eine Ummeldebescheinigung des heimischen Händlers vorzulegen.

Der Wert von Berechtigungsscheinen ergibt sich einerseits aus der Rationierung, andererseits aus der Differenz zwischen dem vom Bezugsscheininhaber gegebenenfalls zu leistenden Eigenbeitrag und dem (Schwarz-) Marktpreis der Ware. Das von der Bundesregierung eingeführte System sieht eine sogenannte „Eigenbeteiligung“ vor.

Die Rationierung ist aus vielen sozialistischen oder kommunistischen Ländern bekannt. In Kuba beispielsweise wird die Verteilung von Lebensmitteln rationiert. Die Rationierung in Kuba ist unter der Bezeichnung Libreta de Abastecimiento („Bezugsbüchlein“) oder auch kurz Libreta bekannt. Dieses System bestimmt die Bezugsmengen für jede Person sowie die Häufigkeit der Zuteilung.

Um die Versorgung der Bevölkerung zu organisieren, setzte auch die Volksrepublik China noch mindestens bis zum Ende der Mao-Zeit Berechtigungsscheine ein, mit denen knappe Güter unter der notleidenden Bevölkerung aufgeteilt wurden.

Das nun von der Bundesrepublik Deutschland eingeführte System aus Berechtigungsscheinen begünstigt zunächst nur einzelne Bevölkerungsgruppen wie bestimmte über 60jährige oder Schwangere. Auf den (Schwarz-) Märkten bilden sich derzeit Preise, die sich an dem Wert der zu beziehenden Waren orientieren. So finden sich beispielsweise auf Ebay schon zahlreiche Angebote von Berechtigungsscheinen.

Berechtigungsscheine für zwölf FFP2-Masken werden derzeit beispielsweise für 24 Euro auf Ebay angeboten, aber auch für 16,50 Euro oder 37 Euro. Für den Käufer kommen 2 Euro Zuzahlung je 6 Masken hinzu. Ob die auf den Online-Portalen angebotenen Berechtigungsscheine tatsächlich alle aus der Bundesdruckerei kommen, kann nicht mit Sicherheit angegeben werden. Ebenso ist laut Prüfdiensten in Deutschland nicht sichergestellt, dass die zu beziehenden FFP2-Masken einer Prüfung durch den TÜV standhalten würden.

Ob sich Berechtigungsscheine als neue Vermögensklasse etablieren können, hängt von der Dauer der Ausgabe von Berechtigungsscheinen, der Gültigkeitsdauer der Berechtigungsscheine und – neben weiteren Faktoren – davon ab, ob künftig aufgrund der Mangelbewirtschaftung weitere Waren und Dienstleistungen nur gegen Vorlage von Berechtigungsscheinen erhältlich sind.

Themen: Berechtigungsscheinrating | Kein Kommentar »

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