« | Home | »

Spekulation um das EZB-Zinshoch: Steigende Rezessionsgefahr im Euroraum

Von Dr. Oliver Everling | 27.Juli 2023

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat kürzlich den Euro-Leitzins um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent angehoben, während der Spitzenrefinanzierungszins nun bei 4,50 Prozent und der Einlagenzins bei 3,75 Prozent liegen. Diese Zinserhöhung geht einher mit dem schrittweisen Abbau der Wertpapierbestände, die im Rahmen des „APP“-Aufkaufprogramms von der EZB angehäuft wurden. Gleichzeitig werden die Tilgungszahlungen aus dem „PEPP“-Aufkaufprogramm bis Ende 2024 weiter reinvestiert, wodurch die EZB eine bedeutende Rolle im Euro-Kapitalmarkt mit erheblicher Manipulationskraft für die Euro-Zinsen beibehält.

Eine wichtige Maßnahme, die von der EZB ergriffen wurde, besteht darin, die Verzinsung der Mindestreserven, die die Euro-Banken bei der Zentralbank halten, auf null Prozent zu senken. Dadurch sollen die Banken angeregt werden, ihre Reserven für Kreditvergaben und/oder Wertpapierkäufe einzusetzen, was wiederum die Euro-Geldmenge ausweiten könnte und zur Verringerung der Verluste in der EZB-Bilanz beiträgt.

Trotz der jüngsten Zinserhöhung versucht die EZB, die Möglichkeit weiterer Anhebungen in den Märkten aufrechtzuerhalten. Allerdings hegen Experten wie Prof. Dr. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH, Zweifel an dieser Aussicht. Die EZB selbst stellt keine weitere Zinserhöhung auf dem nächsten Ratstreffen in Aussicht. Es könnte sogar sein, dass das Zinshoch im aktuellen Euro-Zinszyklus bereits erreicht ist, auch wenn die offizielle Jahressteigerung der Konsumgüterpreise im Juni ’23 immer noch bei 5,5 Prozent lag.

Die Sorge vor weiteren Zinserhöhungen liegt darin begründet, dass diese die Euro-Volkswirtschaften erheblich belasten und die bereits im Gange befindliche Verschlechterung der Euro-Konjunkturdaten verstärken könnten. Die volle Wirkung der bisherigen Zinserhöhungen ist noch nicht ersichtlich, da geldpolitische Maßnahmen üblicherweise eine gewisse Zeitverzögerung aufweisen.

Eine entscheidende Rolle bei der Einschätzung der künftigen Inflation spielt das Wachstum der Geldmenge (M3). In diesem Zusammenhang ist zu beobachten, dass das Geldmengenwachstum bereits deutlich abgenommen hat. Im Juni ’23 betrug das Jahreswachstum der Geldmenge M3 nur noch 0,6 Prozent, und seit September ’22 ist die Geldmenge sogar geschrumpft. Dies deutet auf einen starken Abwärtsdruck auf die künftige Inflation hin, der sogar vorübergehend zu einer Preisdeflation führen könnte.

Die Veränderung der Geldmenge M3 ist nicht allein auf zinsbedingte Umschichtungen zurückzuführen, sondern zeigt sich auch in der markanten Abschwächung der Euro-Bankkreditvergabe. Zudem ist die reale Euro-Geldmenge M1 seit geraumer Zeit rückläufig, was auf einen erheblichen Abwärtsdruck auf die Euro-Konjunktur hinweist und die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Euroraum weiter erhöht.

Angesichts dieser Entwicklungen drängt sich die Einschätzung auf, dass die EZB möglicherweise die Zinsschraube bereits überdreht hat und eine übermäßige monetäre Kontraktion verursacht. Dies könnte zu einer starken Inflation und vor allem zu einer erheblichen Konjunkturabschwächung führen, es sei denn, die EZB ändert ihren Kurs bald.

Für Anleger sollten die zunehmenden monetären und realwirtschaftlichen Instabilitäten im Euroraum nicht unbeachtet bleiben, und es könnte ratsam sein, vorausschauend zu handeln. Eine Möglichkeit, auf diese Entwicklungen zu reagieren, besteht im Halten von physischem Gold und Silber. Auch eine verstärkte Diversifizierung des Anlagekapitals und eine Verringerung des Anteils des Vermögens, das in Euro oder im Euroraum gehalten wird, könnten sich als sinnvolle Optionen erweisen.

Vor allem vor dem Hintergrund, dass die EZB voraussichtlich bald wieder die Zinsen senken und zu einem inflationären Politikkurs zurückkehren wird, könnten Investitionen in internationale Unternehmensaktien ebenfalls als attraktiv erscheinen. Es bleibt abzuwarten, wie die Situation im Euroraum weiterhin verlaufen wird, aber eine vorausschauende und ausgewogene Anlagestrategie erscheint in diesen unsicheren Zeiten als vernünftiger Ansatz.

Themen: Ratings | Kein Kommentar »

Kommentare

Sie müssen eingelogged sein um einen Kommentar zu posten.