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Verluste der Niederländischen Zentralbank zu Lasten der Steuerzahler

Von Dr. Oliver Everling | 7.Oktober 2022

Dieser Artikel ist ein übersetzter Auszug des Niederländischen Journalistenkollektivs „Follow the Money“. Die Journalisten Thomas Bollen und Martijn Jeroen van der Linden sind die Autoren. Die Übersetzung lieferte Fritz Witt – Sales Associate der Creditreform Rating AG in den Niederlanden.

Schon in 2017 schrieb Dr. Markus Krall einen denkwürdigen Beststeller: „Der Dragi Crash“ mit dem Untertitel „Warum uns die entfesselte Geldpolitik in die finanzielle Katastrophe führt“. Seitdem gab es viele Kritiker, die der Meinung waren, dass der Erfolgsautor zur Übertreibung neigt. Jetzt zeichnet sich aber eine Entwicklung ab, die ihm vielleicht recht geben. Was ist geschehen?

Klaas Knot schrieb am 20. September 2022 vielleicht den denkwürdigsten Brief seiner Laufbahn als Präsident der Niederländischen Zentralbank. Zum ersten Mal seit 1932 wird sein Institut Verluste verzeichnen. Der Kapitalbuffer der Niederländischen Zentralbank ist gemäß seiner Erwartung nicht hoch genug, um den Verlust aufzufangen. Sein Brief verursachte sofort, dass der Börsenkurs der Belgischen Zentralbank abstürzte.

In den Niederlanden wird der Steuerzahler womöglich beispringen müssen. Hinzukommt das die EZB und alle übrigen Zentralbanken aller Europäischen Länder, die den Griff auf ihr bedeutendstes Instrument verloren haben, um die Inflation zu beschränken, den Zinshebel. Man erwartet, dass alle Zentralbanken in der Eurozone zwischen 2023 und 2026 einen gemeinschaftlichen Verlust in höhe von € 155 Milliarden erleiden werden.

Was ist jetzt genau geschehen? Und wie geht es weiter?

Erst schien es, als ob die Belgische Zentralbank die Unruhe verursachte. Die Belgische Zentralbank ist zu 50% im Eigentum des Belgischen Staates, die andere Hälfte ist in privaten Händen. Anders als in den übrigen Euroländern sind die Aktien der NBB (Nationale Bank van België) an der Euronext Börse in Brüssel handelbar. Die NBB hat darum einen Börsenkurs, der innerhalb einiger Tage nach der Veröffentlichung des Briefes von Klaas Knot von 1600 nach 860 einbrach. Die NBB stellte hieraufhin den Handel an der Euronext Börse ein. Erst hiernach wurde deutlich, dass nicht die Belgische, sondern die Niederländische Zentralbank die Panik verursachte. Der Brief der Niederländischen Zentralbank enthielt derartig explosive Neuigkeiten über die monetäre Situation in der Eurozone, dass die privaten Aktionäre sich erschrocken haben und dass sie etwas taten, was kein Eigentümer einer anderen Europäischen Zentralbank tun kann, nämlich ihre Aktien in Massen zu verkaufen.

Was ist der Hintergrund der Probleme? Wodurch läuft die Situation jetzt aus dem Ruder? Warum scheint es so zu sein, dass die Verluste der Zentralbanken als ein Blitz aus heitern Himmel kommt? Und warum haben die Banken keinen größeren Kapitalbuffer aufgebaut?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zurück in den Oktober 2014. Seinerzeit fing die EZB an – und mit ihr alle nationalen Zentralbanken in der Eurozone – eine unkonventionelle Politik zu führen. Alle Konventionen, die Banker und Ökonomen bisher als heilig bezeichneten, gingen über Bord.

Zentralebanken beschäftigen sich seither nicht länger allein mit der Zinspolitik, sondern fingen an, in großem Umfang Staats- und Unternehmenanleihen zu kaufen, das sogenannte QE (Quantitative Easing). Diese Maßnahme hat die Europäische Zentralbanken drastisch verändert. Sie sind nicht nur Zentralbanken, sondern auch noch Anleger geworden.

Vor 2015 waren Zentralbanken die Bank aller Banken. Seitdem erfüllen sie dieselbe Funktion wie alle übrigen Handelsbanken, sie vergeben Kredite in der Form von Guthaben an Banken die unter ihrer Aufsicht fallen und sorgen für den Zahlungsverkehr.

Zentralbanken vergeben Kredite an kommerzielle Banken die unter ihre Aufsicht fallen. Genauso wie Bürger ihr Haus als Sicherheit nutzen, um eine Hypothek von einer Bank zu bekommen, geben Banken im Gegenzug für Kredite Anleihen als Sicherheit aus ihrem Besitz (in der Form von Staatsanleihen oder Unternehmensanleihen) an die Zentralbank. Die Ansprüche, die Banken bei der Zentralbank haben, heißen Zentralebankreserven.

Banken nutzen ihre Zentralbankreserven auch, um einander zu bezahlen. Wenn zum Beispiel die niederländische ING eine Schuld an die Deutschen Bank hat, werden einfach Bankreserven  bei der Zentralbank umgebucht. Bankreserven haben hier also die gleiche Funktion wie Bankguthaben von normalen Bürgern oder Unternehmen bei einer Bank.

Zentralebankreserven spielten eine bedeutende Rolle bei der monetären Politik. Banken wurden verpflichtet, eine bestimmte Bankreserve zu haben, den sogenannten Liquiditätsbuffer. Der stand im Verhältnis zur Größe einer Bank. Wenn eine Bank mehr Geld verlieh, musste sie mehr Reserven haben. Auf diese Art und Weise beeinflussten Zentralbanken die Geldmenge, die in der Wirtschaft zirkuliert, kontrollierten die Preisstabilität. Jedenfalls versuchte man das.

Vor der Finanzkrise von 2008 nutzten die Zentralbanken ihren Leitzins, wenn sie das Geldmengenwachstum abbremsen wollten. Eine Erhöhung der Leitzinsen machte Geld für privaten Banken teurer. Sie mussten mehr Zinsen bezahlen für ihre Mittelbeschaffung. Hohe Zinsen entmutigen die Geldschaffung der Banken, und man drückte hiermit die Inflation.

Jedoch fand die EZB in dem Fall, dass sie Banken zu mehr Kreditvergabe stimulieren wollte, dieser Prozess mit Niedrigzins entgegengesetzt nicht gut funktionierte. Das Ziel war, die Inflation in der Eurozone zu stimulieren und in Richtung der 2% zu bewegen, was man als ein wünschenswertes Niveau fand. Der Zins ging jedoch unter die 0% Marke ohne wesentliche Resultate. Darum versuchte die EZB etwas anderes. Im Oktober 2014 ging das sogenannte QE Programm an den Start. Die EZB entschloss sich, monatlich zwischen € 20 bis € 80 Milliarden an Staatsanleihen und Unternehmensanleihen zu kaufen. Im Gegenzug für die Übernahme der Wertpapiere bekamen die Banken mehr Bankreserven gutgeschrieben bei der Zentralbank. Dies war das APP (Asset Purchase Programmes).

Die EZB wurde der größte Anleger in Europa. Die Effektivität des QE wurde durch zahlreiche Wissenschaftler (darunter auch Dr. Markus Krall) ernsthaft in Zweifel gezogen. Inzwischen gab es immer mehr Beweise, dass das QE die Unterschiede zwischen reich und arm immer mehr vergrößerte. Und dass die wünschenswerte Kreditvergabe an Mittelständische Unternehmen unzureichend blieb.

Aber QE hatte auch noch andere Effekte. Seit 2014 ist die EZB nicht nur Zentralbank, sondern auch Anleger. Ob am wollte oder nicht, jede Zentralbank in allen Euroländern musste die Politik der EZB ausführen. Zwischen Oktober 2014 und 2108 kauften sie ungefähr für € 2.600 Milliarden Anleihen. In 2019 wurde das Programm mit dem PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) erweitert. Insgesamt haben die Europäischen Zentralbanken mit der APP von der EZB € 3.400 Milliarden gekauft und nochmals € 1.714 Milliarden mit dem PEPP. Es stehen jetzt zirka € 5 Billionen aus. Die EZB ist somit der größte Anleger in Europa geworden.

Größeres Risikos, aber keine größeren Kapitalbuffer: Jeder Anleger weiß, dass seine Anlagen auch Risiken beinhalten. Wertpapiere können immerhin in Wert abnehmen. Aber Zentralbanken sind nicht genügend auf ein wendiges Risikomanagement eingerichtet. Das wurde deutlich, als die Anleihen des Südafrikanischen Giganten Steinhoff einbrachen, die von der EZB in 2016 übernommen wurden. Auch wurde deutlich, dass man sich nicht immer auf die ausgezeichneten Ratings der großen Ratingagenturen verlassen konnte. Die Risiken waren bedeutend höher und die Rückstellungen für zu erwartende Verluste standen in keinem Verhältnis zu den wirklichen Risiken.

Bei der niederländischen Zentralbank wuchs die Bilanz zwischen 2015 und 2021 mit 460%, wobei de Kapitalbuffer nur mit 35% zunahm. Obwohl der Umfang der Bilanz exorbitant anwuchs ist die Rückstellung für eventuelle Verluste nur geringfügig zugenommen. Hierdurch ist der Buffer jetzt nur noch 2,2% der Bilanzsumme. Bedenke hierbei das die Zentralbanken von den kommerziellen Banken erwarten das sie minimal 3% Kapitalbuffer ausweisen müssen. Die Situation in den Niederlanden ist repräsentativ für andere Zentralbanken in der Eurozone.
Warum gibt es zu geringe Rückstellungen? Die Zentralbanken Argumentieren das ihre Anlagen weniger risikovoll sind weil man im Gegensatz zu privaten Banken nicht verpflichtet werden kann um Anlagen zu verkaufen. Selbst wenn man € 5 Billionen Anleihen besitzt und die Anleihen möglicherweise einen niedrigeren Marktwerk haben. Zentralbanken können das Ende der Laufzeit ihrer Anlagen abwarten. Das der Marktwert einfällt ist darum für Zentralbanken weniger risikovoll als für Privatbanken.

Das Geschäftsmodell der Zentralbanken wurde korrumpiert. Das Risiko, wovon der Präsident der Niederländischen Zentralbank warnte, ist jedoch ein anderes Risiko, als die Unzulänglichkeit der Rückstellungen und die Größe des Kapitalbuffers. Klaas Knot sieht den Leitzins unerwartet schnell ansteigen, wodurch die Zinslasten der Zentralbank zunehmen, aber gleichzeitig die Einkünfte der gekauften Anleihen zurückbleiben. Was Klaas Knot mitteilt, trifft das die Zentralbanken ins Herz. Weil die Zentralbanken als Anleger auftreten, ist ihre Zinspolitik nicht mehr nützlich, um ihre Kernkompetenz – die Sorge für die Preisstabilität – auszuüben. Mit andere Worten: die Zentralbanken verlieren ihr weitreichenstes Instrument, um die Inflation zu zügeln.

Das Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, weil der Wert und das Einkommen der Bankanleihen geringer ist als die Kosten für die Bankreserven. Mit anderen Worten: wenn der Einlagenzins noch „0“ war, schien es kein Problem zu sein, wenn die Aktiva der Zentralbanken keine oder kaum rentierende Anleihen auswiesen.

Der Marktwert der aufgekauften Anleihen ist inzwischen unter den Anschaffungswert gesunken. Das bedeutet, dass die Zentralbanken keine Trumpfkarte mehr in der Hand haben, um Bankreserven im System zu suchen. Das würde nur funktionieren, wenn die Anleihen an die Banken zurückverkauft würden. Wenn die Zentralbanken das tun, müsste man direkt ein Milliardenverlust realisieren – schätzungsweisen zirka € 11,5 Milliarden. Darüber hinaus würde noch ein Problem entstehen. Der gesamte Markt der Staatsanleihen würden einbrechen, wodurch sich die Länder nicht mehr finanzieren könnten. Selbst Banken und Pensionfonds würden möglicherweise in Konkurs gehen.

Fazit: Klaas Knot bestempelt die heutige Situation als etwas, das Ende letzten Jahres (2021) als extremes Zinsscenario galt. Aber viele Experten hatten schon in den letzten Jahren beschrieben, dass dieses Scenario keinesfalls extrem ist. Es wurde eigentlich bereits seit 2015 erwartet. Man beschrieb schon früher, dass Zentralbanken bei steigender Inflation Verluste verzeichnen würden, weil ihre Zinslasten nicht mehr durch Zinseinkünfte aus der Kreditvergabe gedeckt werden. Vorerst erwarten wir, dass das Negativvermögen der Niederländischen Zentralbank wohl nicht sofort ausgeglichen wird. Man wird sich wohl auf Lösungen anderer Art beraten.

Themen: Bankenrating | Kein Kommentar »

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