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Vertrauen in einer Zeit der Unsicherheit

Von Dr. Oliver Everling | 29.August 2020

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht zu Ende. Dies gilt insbesondere dann, wenn man diese nicht rein medizinisch betrachtet, sondern auch von den gesellschaftlichen und ökonomischen Konsequenzen her. Das Virus spaltet die Meinungen der Experten: Auf der einen Seite diejenigen, die vor der Gefährlichkeit des Virus warnen und besorgt sind, das nicht genug im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus getan würde, Auf der anderen Seite jene, die vor übertriebenen Maßnahmen warnen und die vielen Implikationen sehen, die nicht medizinischer, sondern gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Art sind.

Die meisten Menschen können sich in keiner der angesprochenen Fragen als Experten bezeichnen. Die Mehrheit ist nicht Mediziner, Soziologe, Ökonom oder welche Expertise noch benötigt wird, um die vielfältigen Konsequenzen sowohl des Virus, als auch der getroffenen Maßnahmen zu beurteilen. Wer nicht selbst urteilen kann, muss sich auf das Urteil anderer verlassen. Das setzt Vertrauen voraus. Es geht insbesondere um Vertrauen in die Entscheidungen anderer – Politiker, Ärzte, Unternehmer und vieler anderer, die Verantwortung für ihre Mitmenschen tragen.

Die Betreiber sozialer Medien sind sich zunehmend ihrer Verantwortung bewusst. So stellt LinkedIn ein Papier mit dem Titel „Vertrauen in einer Zeit der Unsicherheit“ vor. Es thematisiert die Partnerschaft von Unternehmen mit ihren Kunden und Geschäftspartnern. „Vertrauen ist in unsicheren Zeiten von größter Bedeutung“, argumentieren die Social-Media-Experten von LinkedIn.

Das Edelman Trust Barometer 2020 zeigt, dass trotz einer starken Weltwirtschaft und auch zu Zeiten der Vollbeschäftigung keiner der vier von der Studie ergriffenen gesellschaftlichen Institutionen – Regierung, Unternehmen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Medien – mehr vertraut wird. Die Ursache für dieses Paradoxon liege in den Ängsten der Menschen vor der Zukunft und ihrer Rolle darin. Dies sei ein Weckruf für diese Institutionen, neue Wege zu finden, um effektiv Vertrauen aufzubauen: Kompetenz mit ethischem Verhalten in Einklang zu bringen. Sozialkreditratings könnten hier eine Rolle spielen. Edelman stützt ich auf 34.000 Befragungen in 28 Märkten weltweit.

Vertrauen wurde in den meisten Staaten durch das Wirtschaftswachstum beflügelt. Dies setzt sich in Asien und im Nahen Osten fort, jedoch nicht in entwickelten Märkten, in denen die Einkommensungleichheit heute der wichtigere Faktor ist, der das Vertrauensniveau beeinflusst. Die Mehrheit der Befragten glaubt hier nicht, dass es ihnen in fünf Jahren besser gehen wird, und mehr als die Hälfte der Befragten weltweit glaubt, dass der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form der Welt mehr Schaden als Nutzen zufügt.

Ungleichheit wird nicht mehr als erfreuliches Ergebnis von Freiheit gesehen, sondern als Fehlfunktion des Kapitalismus. So werden nicht mehr staatliche Eingriffe und Privilegierungen, sondern der Kapitalismus verantwortlich gemacht. Die Ungerechtigkeit staatlicher Eingriffe wird weder erkannt noch verstanden. Die Privilegien, die auf staatlichem Zwang gründen, zwingen Wettbewerber aus dem Markt, die nicht den Zugang zu denjenigen haben, die durch Regulierung bestimmte Organisationen und Unternehmen zu privilegieren und Wettbewerbsvorteile verschaffen wissen. Auf Verfahren der Gesetzgebung aktiv einzuwirken, können sich praktisch nur große oder hoch profitable Firmen leisten.

Kapitalismus gedeiht eigentlich nur auf der Grundlage freier Entscheidungen möglichst vieler Menschen. Die Freiheit, über die eigene Arbeitsergebnisse zu entscheiden und zwischen Konsum und Investition abzuwägen, führt im Kapitalismus zur optimalen Allokation von Ressourcen. Edelman zeigt, wie weit in entwickelten Staaten die Bevölkerung inzwischen vom elementaren Verständnis über den Zusammenhang zwischen Freiheit und Kapitalismus entfernt ist.

Das Ergebnis ist nach Feststellung von Edelman eine Welt zweier unterschiedlicher Vertrauensrealitäten. Die informierte Öffentlichkeit – wohlhabendere, gebildete und häufige Konsumenten von Nachrichten – vertraut jeder Institution weitaus mehr als die Massenbevölkerung. In den meisten Märkten vertraut weniger als die Hälfte der Massenbevölkerung darauf, dass ihre Institutionen das Richtige tun.

Im 2020 Edelman Trust Barometer ist der Trust Index ein Durchschnitt aus dem Prozent Vertrauen in NGOs, Unternehmen, Regierung und Medien. Das weltweit größte Vertrauen genießen NGOs, Unternehmen, Regierung und Medien in der Bevölkerung der Volksrepublik China. In der Gesamtbevölkung Chinas konnte das Vertrauen 2020 gegenüber dem Vorjahr noch gesteigert werden (von 79 % auf 82 %). Umgekehrt verhält es sich in den Ländern wie den USA (von 49 % auf 47 %) oder dem Vereinigten Königreich (von 43 % auf 42 %).

Diese Ergebnisse dürften nicht mehr allein mit Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit in der Volksrepublik China erklärt werden können. Schon aufgrund der großen Bevölkerungszahl haben viele chinesische Familien ein weit verzweigtes Netz aus Kontakten weltweit. Chinesen gehören zu den reisefreudigsten Völkern. Der ökonomische Aufstieg erlaubt es Millionen von Chinesen, in alle Länder der Welt zu reisen. Auch in Deutschland wurden die Reisemöglichkeiten für Chinesen nicht durch die chinesische Regierung, sondern durch eine restriktive deutsche Visumspolitik eingeschränkt. Für Chinesen war es zudem schon vor Corona schwierig, ein Reisevisum nach Deutschland zu beantragen, da für die meisten Chinesen allein schon die Pflicht zum persönlichen Vorsprechen in den wenigen deutschen Konsulaten oder der deutschen Botschaft in Peking mit einer oft tausende Kilometer weiten Reise verbunden ist. Dennoch ist der Kenntnisstand gebildeter Chinesen über die Verhältnisse in Deutschland wesentlich besser als umgekehrt von Deutschen in China. Die Spitzenposition Chinas hinsichtlich des Vertrauens der Bevölkerung in Regierung, Unternehmen und Organisationen bedarf daher weiterer Erforschung.

Vertrauen ist eine Dimension der Reputation von Unternehmen. Diese Reputation wird in China seit 2014 in vielen Pilotprojekten systematisch gemessen und in Ratings zusammengeführt. Die Corona-Krise brachte die chinesische Führung nach anfänglichen Fehlern u.a. deshalb schneller unter Kontrolle, da sie auf Hilfe durch solche Unternehmen und Organisationen setzte, die über gute Ratings verfügen. In der Krise geht es nicht nur um finanzielle Stabilität, sondern auch um Vertrauenswürdigkeit gesellschaftlich verantwortungsvollen Handelns. Daher wurden Social Credit Ratings herangezogen, um gut reputierte Unternehmen auszuwählen. Mehr dazu und zu vielen weiteren Aspekten des Social Credit Ratings im Buch des Springer-Verlags.

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