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Der – angebliche – Selbstmord Europas

Von Dr. Oliver Everling | 15.März 2018

„Es ist wahr, dass wir viel Zeit damit verbringen, über die Einwanderung zu reden. Doch was nicht stattfindet, ist die Diskussion, die sich die Menschen wünschen“, glaubt Douglas Murray zu wissen, Autor des Buches „Der Selbstmord Europas – Immigration, Identität, Islam“, das in der „Edition Tichys“ im FBV FinanzBuch Verlag erschien. Bei dem Buch handelt es sich um eine Übersetzung des britischen Bestsellers, übersetzt von Krisztina Koenen.

Der FinanzBuch Verlag hat allen Grund, diesen Titel auch einem deutschen Leserpublikum zugänglicher zu machen, da sich Murray vielfach speziell auch mit der Situation in Deutschland und insbesondere mit dem Vorgehen der deutschen Bundeskanzlerin befasst.

Der Inhalt des Buches reflektiert eine Rat- und Orientierungslosigkeit seines Autors. Einerseits hat es den Anstrich eines epochalen Werkes von grundlegender Bedeutung für Europa in kultureller, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Andererseits unterzieht sich der Autor der Mühe, akribisch eine große Zahl von Einzelfällen zu dokumentieren: Murray fragt nach den Hintergründen von Terrroranschlägen, Vergewaltigungen und sonstigen Straftaten, die mit Migration und Religion in Zusammenhang stehen. „Deutschland scheint mir das Land zu sein, in dem diese Fragen am wenigsten diskutiert werden und in dem die Debatte am stärksten eingeschränkt und politisiert ist. Zum Teil ist das eine Spiegelung der Medien, die immer noch glauben, ihre Aufgabe sei es, zwischen der Öffentlichkeit und den Tatsachen zu vermitteln, statt die Tatsachen offenzulegen.“

Das Netzdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken), das unlängst in Kraft getreten ist, sei nur ein weiteres Instrument, die deutschen Bürger daran zu hindern zu sagen, was sie mit ihren eigenen Augen sehen. „Aufwiegelung war bis dahin schon eine Straftat und wurde verfolgt,“ sorgt sich Murray, „nun ist ‚Hassrede‘ zur Hauptlosung in einem Kampf geworden, der in Wahrheit um das Recht auf Redefreiheit geführt wird.“ Es sei „eine der finstersten Entwicklungen der letzten Jahre“, dass ein Zusammenschluss von Regierungsbehörden und privaten Firmen darüber entscheidet, was „Hassrede“ sei. Dem Leser wird hier wie auch an anderen Stellen des Buches suggeriert, eine Art „Enthüllungsbuch“ über die wahre Geschichte zu lesen.

„Es ist einfach,“ schreibt Murray, „über die guten Seiten der Einwanderung zu sprechen: Indem man sie bejaht, ist man für Offenheit, Toleranz und Aufgeschlossenheit. Aber die negativen Seiten zu sehen, sie gar zu erwähnen, ruft Anschuldigungen hervor wie Engstirnigkeit, Intoleranz, Xenophobie und kaum verborgener Rassismus.“ Als die Fälle von bandenmäßiger Vergewaltigung vor Gericht kamen, berichteten die Medien voller Beschönigungen, meint Murray, „vermutlich um die Öffentlichkeit daran zu hindern, entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. So wurden zum Beispiel die Gangs wie im Fall von Oxfordshire als ‚asiatisch‘ beschrieben, auch wenn sie ausschließlich aus muslimischen Männern pakistanischer Herkunft bestanden. Nur selten wurde vor den Gerichten oder in den Medien erwähnt, dass die Opfer deshalb ausgewählt wurden, weil sie keine Moslems waren.“

Murray geht es immer wieder um den mangelnden Schutz der Grenzen Europas. „In sehr seltenen Fällen wurde mal ein Migrant, der Verbrechen begangen hat, in sein Heimatland zurückgeschickt. Aber selbst in einem solchen Fall sind die Hürden sehr hoch. Es ist einfacher zu erlauben, dass sich die Menschen in Italien zerstreuen, als sich an geltendes Recht zu halten. Die Wahrheit ist: Wer die Überfahrt nach Lampedusa überlebt hat, kann für immer in Europa bleiben.“

Bei manchen Darstellungen von Murray fühlt sich der Leser an Thilo Sarrazin erinnert, den Murray auch nennt: „Obwohl es offenkundig war, dass sich die Migranten in Deutschland – genau wie Sarrazin behauptete – nicht integrierten, fiel die politische und mediale Elite über Sarrazin wegen seiner ketzerischen Behauptungen her. Infolgedessen wurde Sarrazin gezwungen, von seinem Posten bei der Bundesbank zurückzutreten. Und obwohl er selbst zu den politisch Linken in Deutschland gehörte, distanzierte sich seine Partei, die SPD, von ihm ebenso wie die CDU Angela Merkels.“

Die Europäer sieht er als Masochisten, die fortwährend Schuld bei sich selber suchen würden: „Während die europäischen Länder den Tod eines Dreijährigen als ihre eigene Schuld ansahen, sah sich die arabische Welt und im weiteren Sinne die muslimische Umma, aus der der Junge kam, zu keinerlei Aktionen veranlasst. Zum Beispiel haben die sechs Golfstaaten – Kuwait, Bahrain, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und Oman – bis 2016 keinem einzigen syrischen Flüchtling Asyl gewährt. Flüchtlingen aus Eritrea, Nigeria, Bangladesch oder Pakistan gegenüber waren sie ebenso wenig großzügig.“

Der Wunsch, sich sündig zu fühlen, habe die europäischen liberalen Gesellschaften fest im Griff: Sie seien die Ersten in der Geschichte, die, wenn sie einen Schlag abbekommen, erst einmal fragen, womit sie das verdient hätten. „Die nicht zu lindernde historische Schuld setzt sich bis in die Gegenwart fort. Deshalb sind die Europäer“, glaubt Murray, „auch dann die Schuldigen, wenn sie diejenigen sind, die misshandelt oder von noch Schlimmerem getroffen werden.“

Murray weiß den Wald vor Bäumen nicht zu sehen, so dass er an eine Welt in Chaos glaubt. Indem er sich in Details der von ihm aufgegriffenen Geschichten verliert, fehlt ihm der Blick für Antworten auf die Fragen, die ihn umtreiben. Er bekennt: „Doch die meisten Menschen suchen in ihrem Leben nach irgendeiner Form von Gewissheit. Religion, Politik und persönliche Beziehungen gehören zu den wenigen Bereichen, in denen solche Gewissheiten geschaffen werden können im Chaos, das wir überall um uns herum sehen.“ Es geht ihm um ein Problem, „das man einfacher fühlen als nachweisen kann, aber es geht ungefähr so: Das Leben in liberalen Demokratien ist bis zu einem gewissen Grade dünn und flach, und insbesondere im modernen Westeuropa hat es seinen Sinn und sein Ziel verloren.“

Murray fühlt sich offenbar einer von ihm nicht näher konkretisierten Religiösität verpflichtet: „Solange die Nicht-Religiösen nicht bereit sind, für statt gegen die Quellen zu arbeiten, denen ihre Kultur entsprungen ist, ist kein Ausweg in Sicht. Denn es ist nicht erkennbar – egal, wie sehr man es auch versuchen mag –, dass es gelingen könnte, ein vollkommen neues Glaubenssystem zu erfinden. Da bisher jedoch niemand dieses völlig neue Glaubenssystem erfunden hat, verlieren wir unsere Fähigkeit, über Wahrheiten und Sinn zu sprechen.“ Seine Suche nach einem Glaubenssystem bleibt erfolglos, eine Welt ohne Krieg der Glaubenssysteme kann er sich nicht vorstellen.

„Und noch während der Lebenszeit der meisten unter uns werden sich dieses Land“, schreibt Douglas Murray mit Datum vom 26. Januar 2018, „und die meisten anderen Länder Westeuropas bis zur Unkenntlichkeit verändert haben – auch für jene, die erst seit Kurzem zu seinen Einwohnern zählen. Vielleicht geht alles gut. Vielleicht sterben die Leute aus, die sich noch erinnern, wie Schweden, Deutschland oder Großbritannien einst waren. Vielleicht. Vielleicht entsteht aber auch eine neue Welt voller neuer Probleme.“

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