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Der schöne Schein der Ordnung – warum die ESG-Rating-Regulierung auf wackeligen Beinen steht
Von Dr. Oliver Everling | 16.Oktober 2025
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat einen Zeitplan zur Einführung und Umsetzung der neuen Verordnung für ESG-Ratinganbieter veröffentlicht, der die wichtigsten Schritte von 2024 bis 2028 beschreibt. Am 27. November 2024 erfolgt zunächst die Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union. Kurz darauf, am 17. Dezember 2024, tritt die Verordnung offiziell in Kraft. Damit beginnt die Übergangsphase, in der die ESMA die notwendigen technischen Standards und Ausführungsbestimmungen vorbereitet. Bis zum 2. Oktober 2025 muss die ESMA die Entwürfe für diese technischen Regulierungsstandards (RTS) vorlegen, um die praktische Umsetzung der Verordnung vorzubereiten.
Am 2. Juli 2026 wird die Verordnung dann anwendbar, das heißt, die ESG-Ratinganbieter müssen ab diesem Zeitpunkt die neuen Regeln einhalten. Innerhalb eines Monats, bis zum 2. August 2026, müssen die Anbieter die ESMA darüber informieren, ob sie beabsichtigen, weiterhin im europäischen Markt tätig zu sein. Für größere Anbieter endet am 2. November 2026 die Frist zur Einreichung ihres Zulassungsantrags bei der ESMA. Am selben Tag gilt für kleinere Anbieter die Frist, ihre Absicht zur weiteren Tätigkeit in der EU mitzuteilen. Damit markiert das Jahr 2026 den zentralen Abschnitt, in dem die Registrierung und Genehmigung der ESG-Ratinganbieter umgesetzt wird.
Nach der vollständigen Anwendungsphase beginnt die Überwachung und Auswertung des Marktes. Am 1. Dezember 2027 veröffentlicht die ESMA ihren ersten jährlichen Bericht über die Marktanteile der ESG-Ratinganbieter in der Europäischen Union. Ab dem 1. Januar 2028 müssen zudem Informationen über das European Single Access Point (ESAP) regelmäßig an die ESMA gemeldet werden. Schließlich wird am 1. Dezember 2028 die Europäische Kommission einen Bericht vorlegen, in dem die Wirksamkeit und Umsetzung der ESG-Verordnung bewertet wird.
Der Zeitplan verdeutlicht, dass die Einführung der ESG-Regulierung schrittweise erfolgt: von der rechtlichen Verankerung über die technische Ausgestaltung bis hin zur operativen Umsetzung und anschließenden Evaluierung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ESG-Ratinganbieter in der EU einheitlichen, transparenten und überprüfbaren Regeln unterliegen, die sowohl den Anlegerschutz als auch die Qualität und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsratings stärken.
Was auf den ersten Blick nach einem klaren und sorgfältig geplanten Fahrplan aussieht, steht in Wirklichkeit auf einem unsicheren Fundament. Die Abfolge von Fristen und Berichtspflichten vermittelt zwar den Eindruck von Ordnung und Zielstrebigkeit, doch dahinter steht die grundsätzliche Frage, ob eine solche Regulierung tatsächlich die gewünschten Wirkungen entfalten kann. Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit der ESG-Rating-Verordnung das Ziel, Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit bei Nachhaltigkeitsbewertungen zu erhöhen. Dennoch bleibt fraglich, ob dieser regulatorische Ansatz in der Praxis mehr als eine bürokratische Struktur schaffen wird, die vor allem kleinere Anbieter belastet, ohne die tatsächlichen Marktverhältnisse grundlegend zu verändern.
Ein Blick auf die Regulierung der klassischen Credit Rating Agencies zeigt, dass frühere Reformen ähnliche Ambitionen verfolgten – mit ernüchternden Ergebnissen. Trotz umfangreicher Aufsicht und detaillierter Vorgaben ist es nicht gelungen, die Marktdominanz der großen, vor allem US-amerikanischen Agenturen zu brechen. Diese Akteure behalten bis heute eine zentrale Rolle in der Bewertung von Anleihen und Unternehmen und prägen damit weiterhin maßgeblich die Wahrnehmung von Kreditrisiken auf den globalen Finanzmärkten. Europäische oder kleinere Wettbewerber konnten ihre Position kaum stärken, obwohl die Regulierung eigentlich mehr Vielfalt und Unabhängigkeit fördern sollte.
Es besteht daher die reale Gefahr, dass sich die Geschichte im ESG-Bereich wiederholt. Die formalen Anforderungen könnten dazu führen, dass sich vor allem große, kapitalstarke Anbieter durchsetzen, die die regulatorischen Hürden leichter überwinden. Kleinere, innovative Anbieter, die alternative Bewertungsansätze entwickeln, könnten dagegen verdrängt werden. Anstatt also den europäischen Markt für ESG-Ratings zu diversifizieren und unabhängiger zu machen, könnte die neue Verordnung unbeabsichtigt genau das Gegenteil bewirken – sie könnte bestehende Machtstrukturen zementieren und den Einfluss internationaler Großakteure in einem Bereich stärken, der eigentlich mehr Wettbewerb, Transparenz und Vielfalt versprechen sollte.
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