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Konfrontative Entkopplung überschattet die Weltwirtschaft

Von Dr. Oliver Everling | 2.November 2021

Die Belastungen durch die Corona-Pandemie werden im Jahr 2022 nachlassen. Damit verbessern sich die Aussichten auf ein solides Wachstum der Weltwirtschaft. Das Inflationsproblem, die Geldpolitik der großen Notenbanken und Chinas veränderte Wirtschaftspolitik werden die Entwicklung in den kommenden Jahren maßgeblich bestimmen. „Das Zusammenspiel der drei Faktoren China, Zinswende und Inflation erhöht vorerst die Komplexität an den Kapitalmärkten und erfordert 2022 mehr Aufmerksamkeit und Selektivität“, betont Dr. Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chief Investment Officer von FERI. Welche Konsequenzen dieses Szenario für professionelle Investoren hat, wurde auf der 34. FERI Herbsttagung, die auch in diesem Jahr wieder als Online-Veranstaltung stattfand, intensiv diskutiert.

Prof. Dr. Sebastian Heilmann, anerkannter China-Experte und Inhaber des Lehrstuhls für Regierungslehre, Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier, beleuchtete in einem abschließenden Vortrag Chinas neue Wirtschaftspolitik und warnte: „Die tektonischen Verschiebungen in Chinas Wirtschaft und Politik werden von den meisten Investoren noch unterschätzt. Die zuletzt drastischen Markteingriffe sind kein vorübergehendes Gewitter. Es geht vielmehr um den planvollen Übergang in eine Wirtschaftsordnung, in der Immobilien- und Kapitalmärkte einer strikten politischen Steuerung unterworfen sein werden.“

„Wer kann die Vorteile der Hegemonialmacht genießen?“ Diese Frage stehe im Mittelpunkt der Konfrontation der USA mit China, sagt Sebastian Heilmann. Es gehe um die Frage der Überlegenheit. Das neue Leitbild sei eine möglichst autarke „Festung China“. Die Reduzierung von externen Abhängigkeiten sei das Ziel. Der strukturelle Konflikt sei in diesem Jahrzehnt nicht vermeidbar und müsse daher in der Kapitalanlage „ganz fest auf dem Schirm sein“.

Die Verfallserscheinungen der westlichen Demokratien zwinge China dazu, ein anderes Ordnungsmodell zu wählen, um als Kontrast zum westlichen Verfall zu erscheinen. Die ideologischen Motivationen von Xi Jingping würden in den westlichen Medien ignoriert, warnt Sebastian Heilmann. Die ursprüngliche Mission des Kommunismus sei es gewesen, die Defizite des Kapitalismus zu überwinden. Dieser Gedanke würde konstant in den Reden des chinesischen Präsidenten auftauchen, berichtet Sebastian Heilmann und hört zunehmend antikapitalistische Töne aus der Volksrepublik China.

Die Kommunistische Partei solle wieder „alle Lebensbereiche“ beherrschen. Es gehe um eine „nationale Wiedergeburt“ und „Made in China 2025″. Die chinesische Ordnungspolitik laufe quasi in einem anderen Koordinatensystem als im Westen, skizziert Sebastian Heilmann die Situation.

Der Wachstumseinbruch in China könne aber auch Lockerungen in China bewirken und damit eine zeitweilige geopolitische Entspannung. Die konfrontative Entkopplung und der Dauerkonflikt mit hybrider Unterminierung Taiwans oder Entkopplung von Lieferketten und separaten Technosphären seien ernstzunehmdne Risiken. Der konfrontativen Entkopplung misst Sebastian Heilmann hohe Wahrscheinlichkeit bei. „Wir sind eindeutig bereits mittendrin“, warnt der Experte.

Unter dem Eindruck der pandemiebedingten Angebotsverknappung sowie steigender Rohstoffpreise äußerten sich Ökonomen zuletzt besorgt über die Gefahr einer wirtschaftlichen Stagnation bei gleichzeitig steigender Inflation. Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI-Gruppe, stellte dazu in seinem Vortrag fest: „Aufgrund der überdurchschnittlichen Wachstumsdynamik sind Ängste vor einer Stagflation derzeit nicht angebracht“. Kritisch bleibe aber dennoch die Inflationsentwicklung: Zwar würden die Inflationsraten im ersten Halbjahr 2022 aufgrund wegfallender Basiseffekte tatsächlich etwas zurückgehen. Anhaltende Engpässe auf der Angebotsseite und wahrscheinlich auch steigende Löhne sorgten aber dafür, dass die Preissteigerung oberhalb des Inflationsziels der Notenbanken bleibe. „Mittel- bis langfristig erwarten wir eine systemisch bedingt höhere Inflation, zu der neben den Knappheiten am Arbeitsmarkt und den Kosten des Klimaschutzes vor allem auch das zuletzt enorme Geldschöpfungsvolumen der großen Notenbanken beiträgt“, führte Angermann aus. Mit Blick auf die weltweite Konjunktur spiele die aktuelle Entwicklung in China eine wichtige Rolle. „Die chinesische Führung dürfte nach dem sehr schwachen Wachstum im dritten Quartal die geldpolitischen Zügel demnächst wieder etwas lockern und damit zwar keine großen Impulse setzen, aber die wirtschaftliche Lage 2022 zumindest stabilisieren“, so Axel D. Angermann.

Auch an den Aktienmärkten steht die Sorge vor steigenden Inflationsraten im Mittelpunkt. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie schnell und wie stark die Notenbanken die Zinsen erhöhen werden. Allein die Diskussion darüber führt zu erheblichen Unsicherheiten, die die Märkte belasten könnten. Hohe Inflationsraten hätten auch negative Effekte auf die Gewinndynamik, da es für viele Unternehmen schwieriger wird, die steigenden Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. „Bei steigender Inflation zählen Unternehmen, die aufgrund ihrer Marktmacht höhere Preise verlangen können, zu den Gewinnern“, sagte Marcus Zasada, Team-Head Portfolio Management bei FERI Trust. In einem inflationären Umfeld würden sich deshalb qualitative Marktführer mit „Pricing Power“, aber auch rohstoffbasierte Investments, Finanzwerte als „Zinshedge“ sowie Gold zur Stabilisierung des Portfolios anbieten, Rentenpapiere dagegen weiter an Attraktivität verlieren.

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