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Mit Ratingagenturen das Sommerloch stopfen

Von Dr. Oliver Everling | 31.Juli 2012

„Ratingagenturen als Auslöser der Schuldenkrise“, „Professoren weisen Ratingagenturen Willkür nach“ – mit diesen und ähnlichen Überschriften wird im Sommerloch der Nachrichten, in dem die Presse nach Themen sucht, in manchen Zeitungen über eine neue Studie von einer Universität in der Schweiz berichtet. Die Überbringer der schlechten Nachrichten von den sich verschlechternden Staatsfinanzen werden in dieser kritisch beäugt.

Leser aus der Wissenschaft mögen sich an der theoretischen Modellierung erfreuen, für Praktiker gibt es dagegen handwerkliche Fehler zu sehen (es gibt zum Beispiel kein Rating „AAA-„, wie in dem Artikel zu lesen ist). Die Wissenschaftler arbeiten u.a. mit einer Ratingkonversion, die aufgrund der Ordinalität von Ratings unzulässig ist (ordinale Merkmale können nicht in kardinale transformiert werden).

Im Kern machen die Autoren durch ihre Annahmen bzw. Prämissen (= insoweit Ausklammerung der Realität) einen Doppelfehler: Erstens wird die Preisbildung an den Märkten simplifiziert, als ob nur wenige Faktoren die Marktrenditen von Staatsanleihen beeinflussen würden. Die Vielzahl der Anlagerestriktionen, von Land zu Land unterschiedlichen Investmentrichtlinien usw. sind nicht annährend reflektiert. Zweitens wird der Ratingprozess der Ratingagenturen simplifiziert, indem nur wenige Kennzahlen als alles erklärend herangezogen werden, ganz abgesehen davon, dass nur Fitch Ratings berücksichtigt wurde.

Die Autoren der Studie sprechen von „Ratingagenturen“, konzentrieren sich aber auf Fitch Ratings. Warum nicht auch EU-anerkannte Ratingagenturen wie die Feri EuroRating Services in Betracht gezogen wurden, ist nicht erkennbar. Nachfragen in Bad Homburg lässt die Studie nicht in besserem Licht erscheinen – so kommentiert Axel Angermann, bei der Feri EuroRating Services zuständig für Länderratings: „Mir scheinen wesentliche Aussagen in der Studie völlig an der Realität, wie wir sie jedenfalls bei Feri vorfinden, vorbeizugehen. Beispielsweise hat bei uns die Anwendung einer unveränderten Systematik sogar zu noch deutlicheren (und vor allem schnelleren) Herabstufungen geführt, als dies bei den großen Agenturen der Fall war, und zwar vor allem wegen der verschlechterten Lage der Staatsfinanzen und der deutlich schlechteren wirtschaftlichen Aussichten für die betroffenen Länder.“

Letzteres bedeute ja, dass es für die Länder nach 2008 wesentlich schwieriger geworden ist, die Defizite wieder einzudämmen und die Schuldenquote zurückzuführen. Dies führe naturgemäß zu einer verschlechterten Bonitätseinschätzung, die auch gerechtfertigt sei, macht Angermann klar.

Auch bei Fitch Ratings geht die Kritik der Schweizer Wissenschaftler ins Leere, denn es wurde in der Studie ein wichtiges Grundelement jedes komiteebasierten Ratingansatzes übersehen, Ratings nicht bloß anhand einer kleinen Anzahl von Kennzahlen zu „errechnen“, sondern im analytischen Disput aus einer Gesamtschau aller relevanten Faktoren herzuleiten.

Wenn sich Ratings nicht aus wenigen öffentlich verfügbaren Kennzahlen nachrechnen lassen, liegt darin noch kein Beweis für ein willkürliches Ratingsystem. In manchen Artikeln liest sich das aber anders: „Sie rechneten nach – und konnten Moody’s, Fitch & Co. Willkür nachweisen.“

Angermann von der Feri EuroRating Services nimmt die Diskussion mit Gelassenheit zur Kenntnis: „Empirisch lässt sich inzwischen nachweisen, dass die Marktentwicklung (also die steigenden Renditen für Staatsanleihen) zeitlich den Ratingänderungen vorauslaufen, letztere also keineswegs als Ursache der Euroschuldenkrise angesehen werden können. Unberührt davon bleibt die Frage,“ fügt Angermann hinzu, „was die Ursache für die Verschlechterung der Staatsfinanzen war. Sowohl in Irland als auch in Spanien liegen die Ursachen wesentlich auch im Finanzsektor begründet – dies ändert aber nichts an der Lage der Staatshaushalte und den davon ausgehenden Risiken für Investoren in Staatsanleihen.“

Der Artikel aus der Schweiz hat einen akademischen Wert, indem er andere Wissenschaftler hoffentlich zu weiteren Studien provoziert. Dabei sollte aber in Erinnerung bleiben, dass es „Rocket Scientists“ waren, die durch ihren Glauben an alles erklärende Theorien der Wall Street die Finanzkrise einbrockten, nämlich der Glaube an anspruchsvoll erscheinende mathematisch-statistische Modelle, die doch nur die – im wahrsten Sinne des Wortes – halbe Wahrheit erfassen.

Themen: Länderrating | Kein Kommentar »

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