Von der Attention Economy zur Action Economy: Wie ein neues Wirtschaftsverständnis ESG und Nachhaltigkeitsratings transformiert
Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025
Der Begriff Attention Economy entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Einsicht, dass in einer Welt des Informationsüberflusses menschliche Aufmerksamkeit zur knappsten und damit wertvollsten Ressource geworden ist. Bereits der Ökonom und Psychologe Herbert A. Simon erkannte in den 1970er-Jahren, dass „eine Fülle an Information zu einem Mangel an Aufmerksamkeit führt“. Mit dem Aufstieg digitaler Medien, sozialer Netzwerke und algorithmischer Plattformen wurde diese Beobachtung zu einem zentralen Prinzip der modernen Wirtschaft. Unternehmen konkurrierten nicht mehr nur um Marktanteile, sondern um Zeit, Klicks und Sichtbarkeit.
In den 2000er- und 2010er-Jahren erreichte die Attention Economy ihren Höhepunkt. Erfolg wurde an Reichweite, Interaktionsraten und viraler Präsenz gemessen – Indikatoren, die zwar kurzfristige Aufmerksamkeit generierten, aber wenig über langfristigen Wert, Wirkung oder Verantwortung aussagten. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit förderte Oberflächlichkeit: Quantität dominierte über Qualität, Geschwindigkeit über Substanz, Wirkung über Nachhaltigkeit.
Diese Entwicklung führte in den letzten Jahren zunehmend zu einem Vertrauensverlust. Konsumenten, Investoren und Regierungen begannen zu erkennen, dass Aufmerksamkeit allein kein Indikator für echten gesellschaftlichen oder ökologischen Fortschritt ist. In dieser Phase des Umdenkens setzt Aoshi Chen mit seinem Konzept der Action Economy an. Gemeinsam mit Dr. Everling formulierte er 2025 das Action Economy Manifest, in dem es heißt: „Die Attention Economy fragte: Wer schaut zu? Die Action Economy fragt: Wer macht mit?“ Wert entsteht nicht mehr aus Sichtbarkeit, sondern aus Handeln, Beteiligung und Wirkung.
Dieses neue Paradigma hat weitreichende Folgen für die Beurteilung von Unternehmen, insbesondere im Bereich von ESG- und Nachhaltigkeitsratings. Während klassische Ratings auf quantitativen Finanzkennzahlen beruhen, und ESG-Systeme häufig auf Offenlegung und Berichterstattung fokussieren, fordert die Action Economy ein Umdenken hin zu aktiver Wirkungsmessung. Es genügt nicht länger, Strategien oder Versprechen zu kommunizieren – entscheidend ist, was tatsächlich umgesetzt wird, wie messbar Veränderungen herbeigeführt werden und welche Resonanz entsteht.
In diesem Sinne steht die Action Economy für eine qualitative Vertiefung der ESG-Logik. Sie verbindet ökologische Verantwortung, soziale Teilhabe und ethische Governance mit der Fähigkeit zur konkreten Umsetzung. Unternehmen werden nicht mehr nur danach bewertet, was sie sagen oder wohin sie investieren, sondern wie sie handeln – ob sie Mitarbeiter, Kunden und Partner aktiv in Transformationsprozesse einbinden und ob ihre Initiativen reale, überprüfbare Wirkung entfalten.
Die zukünftige Entwicklung von ESG- und Nachhaltigkeitsratings wird daher von einem rein berichtsbasierten Ansatz zu einem aktionsbasierten Bewertungsmodell übergehen. Neue Kennzahlen könnten die Beteiligung an Kooperationsprojekten, die Skalierung sozialer Innovationen oder die nachweisbare Reduktion von Emissionen und Ressourcenverbrauch abbilden. In der Logik der Action Economy wird Glaubwürdigkeit zur Funktion von Handlungskompetenz: Wer nachhaltig handelt, verdient Vertrauen – und damit Kreditwürdigkeit im umfassenden Sinne.
So markiert der Übergang von der Attention Economy zur Action Economy nicht nur einen kulturellen und technologischen Wandel, sondern auch eine Neuausrichtung ökonomischer Bewertungssysteme. Wo früher Aufmerksamkeit als Währung galt, wird künftig Wirkung zum Maßstab. Die Unternehmen, die in dieser neuen Epoche bestehen, werden jene sein, die nicht bloß gesehen, sondern wirksam werden – durch Taten, die sowohl wirtschaftlichen als auch gesellschaftlichen und ökologischen Mehrwert schaffen.
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Von Quantity zu Quality, von Attention zu Action
Von Dr. Oliver Everling | 19.Oktober 2025
Die Transformation von der Quantity Economy zur Quality Economy ist eng mit dem Wandel von der Attention Economy zur Action Economy verbunden. Beide Bewegungen markieren einen Paradigmenwechsel – weg von der bloßen Anhäufung von Gütern oder Klicks hin zu einer Ökonomie der Wirkung, der Beteiligung und des Sinns. In der Quantity Economy zählte, wie viel produziert, konsumiert und gemessen werden konnte; Effizienz und Skalierung waren die Triebkräfte. Die Quality Economy dagegen richtet sich auf Tiefe, Nachhaltigkeit und Resonanz. Qualität wird nicht mehr allein durch äußere Kennzahlen bestimmt, sondern durch den erlebten Wert und die Wirkung im Kontext von Gemeinschaft, Umwelt und Kultur.
Aoshi Chen beschreibt diesen Übergang als eine Bewegung, die über das bloße Konsumieren hinausführt. In seiner Arbeit Blickfang (2025) erkennt er in der Gestaltungskraft der Natur ein Vorbild für menschliche Kreativität und Organisation. Er sieht in natürlichen Prozessen wie der Bildung von Kristallen oder den Prinzipien von Yin und Yang ein Modell für ausgewogene Dynamik – ein Gleichgewicht aus Wandel und Struktur, aus Entfaltung und Begrenzung. Diese Denkweise überträgt er auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme: Wachstum soll nicht mehr durch Quantität entstehen, sondern durch lebendige, qualitative Entwicklung.
In diesem Zusammenhang steht Chens Begriff der Action Economy. Gemeinsam mit Dr. Everling formuliert er, dass die Zeit der reinen Aufmerksamkeit vorüber ist. „Die Attention Economy fragte: Wer schaut zu? Die Action Economy fragt: Wer macht mit?“ (Chen & Everling, 2025). Hier entsteht Wert nicht aus Sichtbarkeit, sondern aus Handlung, Beteiligung und Wirkung. Während die Attention Economy darauf beruhte, menschliche Aufmerksamkeit als knappes Gut zu monetarisieren, verlagert die Action Economy den Fokus auf die Energie, die entsteht, wenn Menschen gemeinsam etwas tun, gestalten und umsetzen.
Damit ist die Action Economy das operative Pendant zur Quality Economy. Beide fordern eine Neuausrichtung der Wertschöpfung: Qualität entsteht nicht passiv durch Konsum, sondern aktiv durch Mitgestaltung. Chens „Action Economy Manifest“ bringt dies auf den Punkt: „Nicht die Aufmerksamkeit zählt, sondern die Wirkung. Nicht das Zuschauen, sondern das Mitwirken.“ Diese Haltung transformiert ökonomische Beziehungen in ko-kreative Prozesse, in denen Technologie, Kultur und Natur in Resonanz treten.
So wie die Quality Economy das Streben nach Sinn über das Streben nach Menge stellt, ersetzt die Action Economy das Spektakel der Sichtbarkeit durch das Erleben der Wirksamkeit. In beiden Fällen geht es um eine Rückbindung an natürliche Prinzipien des Wachstums: Inspiration führt zu Initiative, Initiative zu Handlung, Handlung zu Austausch – und daraus entsteht nachhaltiger Wert. Chens Werk zeigt, dass diese neue Epoche nicht durch Beschleunigung, sondern durch Bewusstheit geprägt sein wird – durch eine Ökonomie, die nicht nur zählt, was messbar ist, sondern wertschätzt, was wirkt.
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Der schöne Schein der Ordnung – warum die ESG-Rating-Regulierung auf wackeligen Beinen steht
Von Dr. Oliver Everling | 16.Oktober 2025
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) hat einen Zeitplan zur Einführung und Umsetzung der neuen Verordnung für ESG-Ratinganbieter veröffentlicht, der die wichtigsten Schritte von 2024 bis 2028 beschreibt. Am 27. November 2024 erfolgt zunächst die Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union. Kurz darauf, am 17. Dezember 2024, tritt die Verordnung offiziell in Kraft. Damit beginnt die Übergangsphase, in der die ESMA die notwendigen technischen Standards und Ausführungsbestimmungen vorbereitet. Bis zum 2. Oktober 2025 muss die ESMA die Entwürfe für diese technischen Regulierungsstandards (RTS) vorlegen, um die praktische Umsetzung der Verordnung vorzubereiten.
Am 2. Juli 2026 wird die Verordnung dann anwendbar, das heißt, die ESG-Ratinganbieter müssen ab diesem Zeitpunkt die neuen Regeln einhalten. Innerhalb eines Monats, bis zum 2. August 2026, müssen die Anbieter die ESMA darüber informieren, ob sie beabsichtigen, weiterhin im europäischen Markt tätig zu sein. Für größere Anbieter endet am 2. November 2026 die Frist zur Einreichung ihres Zulassungsantrags bei der ESMA. Am selben Tag gilt für kleinere Anbieter die Frist, ihre Absicht zur weiteren Tätigkeit in der EU mitzuteilen. Damit markiert das Jahr 2026 den zentralen Abschnitt, in dem die Registrierung und Genehmigung der ESG-Ratinganbieter umgesetzt wird.
Nach der vollständigen Anwendungsphase beginnt die Überwachung und Auswertung des Marktes. Am 1. Dezember 2027 veröffentlicht die ESMA ihren ersten jährlichen Bericht über die Marktanteile der ESG-Ratinganbieter in der Europäischen Union. Ab dem 1. Januar 2028 müssen zudem Informationen über das European Single Access Point (ESAP) regelmäßig an die ESMA gemeldet werden. Schließlich wird am 1. Dezember 2028 die Europäische Kommission einen Bericht vorlegen, in dem die Wirksamkeit und Umsetzung der ESG-Verordnung bewertet wird.
Der Zeitplan verdeutlicht, dass die Einführung der ESG-Regulierung schrittweise erfolgt: von der rechtlichen Verankerung über die technische Ausgestaltung bis hin zur operativen Umsetzung und anschließenden Evaluierung. Dadurch soll sichergestellt werden, dass ESG-Ratinganbieter in der EU einheitlichen, transparenten und überprüfbaren Regeln unterliegen, die sowohl den Anlegerschutz als auch die Qualität und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsratings stärken.
Was auf den ersten Blick nach einem klaren und sorgfältig geplanten Fahrplan aussieht, steht in Wirklichkeit auf einem unsicheren Fundament. Die Abfolge von Fristen und Berichtspflichten vermittelt zwar den Eindruck von Ordnung und Zielstrebigkeit, doch dahinter steht die grundsätzliche Frage, ob eine solche Regulierung tatsächlich die gewünschten Wirkungen entfalten kann. Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit der ESG-Rating-Verordnung das Ziel, Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit bei Nachhaltigkeitsbewertungen zu erhöhen. Dennoch bleibt fraglich, ob dieser regulatorische Ansatz in der Praxis mehr als eine bürokratische Struktur schaffen wird, die vor allem kleinere Anbieter belastet, ohne die tatsächlichen Marktverhältnisse grundlegend zu verändern.
Ein Blick auf die Regulierung der klassischen Credit Rating Agencies zeigt, dass frühere Reformen ähnliche Ambitionen verfolgten – mit ernüchternden Ergebnissen. Trotz umfangreicher Aufsicht und detaillierter Vorgaben ist es nicht gelungen, die Marktdominanz der großen, vor allem US-amerikanischen Agenturen zu brechen. Diese Akteure behalten bis heute eine zentrale Rolle in der Bewertung von Anleihen und Unternehmen und prägen damit weiterhin maßgeblich die Wahrnehmung von Kreditrisiken auf den globalen Finanzmärkten. Europäische oder kleinere Wettbewerber konnten ihre Position kaum stärken, obwohl die Regulierung eigentlich mehr Vielfalt und Unabhängigkeit fördern sollte.
Es besteht daher die reale Gefahr, dass sich die Geschichte im ESG-Bereich wiederholt. Die formalen Anforderungen könnten dazu führen, dass sich vor allem große, kapitalstarke Anbieter durchsetzen, die die regulatorischen Hürden leichter überwinden. Kleinere, innovative Anbieter, die alternative Bewertungsansätze entwickeln, könnten dagegen verdrängt werden. Anstatt also den europäischen Markt für ESG-Ratings zu diversifizieren und unabhängiger zu machen, könnte die neue Verordnung unbeabsichtigt genau das Gegenteil bewirken – sie könnte bestehende Machtstrukturen zementieren und den Einfluss internationaler Großakteure in einem Bereich stärken, der eigentlich mehr Wettbewerb, Transparenz und Vielfalt versprechen sollte.
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Martini.ai sieht bei Stellantis einen „Credit-Stresstest“ für den US-Markt
Von Dr. Oliver Everling | 16.Oktober 2025
Der Datenanbieter Martini.ai bewertet den jüngsten Schritt von Stellantis, 13 Milliarden US-Dollar in die Ausweitung seiner US-Produktion zu investieren, als Balanceakt zwischen industrieller Stärke und finanzieller Belastung. „Das Vorhaben ist das größte Einzelinvestment in der Unternehmensgeschichte und soll die heimische Produktion um 50 % steigern“, heißt es in der Analyse. Gleichzeitig warnt Martini.ai, dass die Kapitalstruktur zunehmend unter Druck gerät.
Nach Angaben der Plattform liegt das Kreditrating von Stellantis aktuell bei B1, mit einer einjährigen Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,08 %. Damit bewege sich der Konzern „auf einem Niveau mit höher eingestuften, aber risikoreicheren Investment-Grade-Peers wie Ford“. Der 5-Jahres-Z-Spread notiere bei rund 160 Basispunkten – mehr als doppelt so hoch wie bei General Motors, das bei etwa 70 Basispunkten gehandelt werde.
„Das Problem liegt in der Kapitalstruktur“, schreibt Martini.ai. Das Unternehmen weise eine Netto-Cash-Position von rund –11,6 Milliarden US-Dollar sowie ein negatives Free-Cash-Flow-Ergebnis von etwa –14 Milliarden US-Dollar zur Jahresmitte 2025 aus. S&P Global und Fitch hätten Stellantis bereits Anfang des Jahres von BBB+ auf BBB herabgestuft – ein Schritt, den Fitch mit „anhaltendem Margendruck und erhöhter Verschuldung“ begründet habe. Um ein Investment-Grade-Profil zu halten, seien laut Fitch „EBIT-Margen über 6 % und nachhaltige Free-Cash-Flow-Margen über 2 % erforderlich“.
Der auf Martini.ai basierende „Assistant’s Take“ vergleicht Stellantis zudem mit den Konkurrenten Ford und GM. Kurzfristig werde die Investition „neue Schulden erfordern, sofern sie nicht durch höhere Profitabilität oder Vermögensverkäufe ausgeglichen wird“. Das erhöhe das Verschuldungsrisiko in einer Phase „anhaltender Cashflow-Volatilität“. Während GM „die stabilste Finanzlage mit besseren Margen“ habe, bewege sich Ford auf ähnlichem Druckniveau wie Stellantis. Letzterer „hinke bei Liquidität und Nettoverschuldung hinterher“ und nähere sich bei weiter steigender Verschuldung „den Schwellenwerten des spekulativen Bereichs“.
Langfristig sieht Martini.ai jedoch Potenzial: Die Expansion solle „die Wettbewerbsfähigkeit in den USA stärken, mit fünf neuen Elektrofahrzeugmodellen und 19 Produktauffrischungen bis 2029“. Wenn der Plan aufgehe, könne „die Profitabilität zurückkehren und die kurzfristigen Kreditbelastungen durch Skaleneffekte und optimierte Lieferketten kompensiert werden“.
Das Fazit fällt abgewogen aus: „Die Expansion ist zugleich ein Meilenstein der industriellen Erneuerung und ein Kredit-Stresstest“, resümiert Martini.ai. Der Konzern beweise langfristigen Optimismus, doch bleibe „eine wachsame Beobachtung der Kreditkennzahlen unabdingbar“. Sollte sich die Cash-Generierung nicht deutlich verbessern, könne der „Kredittrend von Stellantis bis 2026 in Richtung spekulativer Einstufung driften“.
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China zwischen strukturellem Aufbruch und konjunktureller Herausforderung
Von Dr. Oliver Everling | 14.Oktober 2025
Der jüngste Zollstreit zwischen den USA und China mag kurzfristig die Schlagzeilen dominieren, doch im Hintergrund vollzieht sich ein tiefergreifender Wandel, der auch für Ratingagenturen von hoher Relevanz ist. Während Analysten der großen Agenturen – von Fitch bis Moody’s – die konjunkturelle Abkühlung und geopolitische Risiken im Blick behalten, sehen Fondsmanager wie Martin Lau, Managing Partner bei FSSA Investment Managers, in China vor allem strukturelle Chancen. „Wir sind überzeugt, dass Chinas Aufwärtstrend im Bereich Innovation strukturell bedingt ist“, schreibt Lau in einem aktuellen Marktkommentar.
Für Ratingagenturen ergibt sich daraus die Aufgabe, konjunkturelle Risiken und langfristige Strukturveränderungen klar zu trennen. Seit dem politischen Kurswechsel im Herbst 2024 hat Peking, wie Lau beschreibt, „eine Reihe gezielter Maßnahmen ergriffen: Neben einer expansiveren Geldpolitik wurden ‚Trade-In‘-Programme zur Konsumförderung aufgelegt, der Abbau von Überkapazitäten adressiert und fiskalische Impulse gesetzt.“ Solche Reformschritte wirken stabilisierend, können aber – aus Sicht der Bonitätsbewertung – nur dann zu einer Verbesserung des Kreditprofils führen, wenn sie dauerhaft Wachstum und Finanzstabilität sichern.
Lau betont die Attraktivität chinesischer Bewertungen: „Derzeit gibt es wohl keinen anderen asiatischen Markt, der in Bezug auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder die Dividendenrendite attraktiver ist als China.“ Für Ratingagenturen ist dies ein Signal, dass Marktpreise bereits viel Pessimismus eingepreist haben – Bonitätsurteile jedoch stets auf Fundamentaldaten und Schuldentragfähigkeit beruhen müssen, nicht auf temporären Bewertungsniveaus.
Trotz der positiven Entwicklungen bleiben laut Lau Risiken bestehen. „Die Wirtschaftstätigkeit hat sich in diesem Jahr zwar stabilisiert, bleibt aber absolut gesehen nach wie vor schwach“, warnt er. Der angeschlagene Immobiliensektor, aggressive Preiskämpfe im E-Commerce und in der Elektromobilität sowie regulatorische Eingriffe der Regierung prägen ein komplexes Umfeld. Ratinganalysten werden daher prüfen, ob staatliche Steuerung langfristig die Wettbewerbsfähigkeit stärkt – oder neue Abhängigkeiten schafft.
Während Fondsmanager wie FSSA gezielt auf innovationsstarke Unternehmen setzen – „Tencent, Netease und Cloud Music gehören zu unseren Favoriten“, so Lau –, müssen Ratingagenturen die Tragfähigkeit dieser Geschäftsmodelle unter verschiedenen Marktszenarien bewerten. Kapitaldisziplin und solide Bilanzen gelten dabei als entscheidende Indikatoren für Stabilität. Lau verweist auf einen positiven Trend: „Sowohl staatliche als auch private Unternehmen erhöhen Dividenden und Aktienrückkäufe – ein Effekt der ‚Value-Up‘-Initiativen.“ Diese Entwicklung signalisiert Reife und könnte mittel- bis langfristig auch auf eine Verbesserung der Unternehmensratings hindeuten, sofern sie mit nachhaltigen Cashflows unterlegt ist.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen aus Ratingperspektive die Innovationsbranchen. „Wir sind der Meinung, dass chinesische Technologie nicht mehr als minderwertig gegenüber westlicher Technologie angesehen werden kann“, betont Lau. Unternehmen wie BYD, CATL, Midea Group oder Shenzhen Mindray zeigen, dass China zunehmend eigenständig agiert und seine globale Wettbewerbsposition ausbaut. Für Ratingagenturen stellt dies einen strukturellen Stabilisierungsfaktor dar, der sich in Zukunft stärker in Kreditbewertungen widerspiegeln könnte.
FSSA und Ratingagenturen verfolgen damit unterschiedliche, aber komplementäre Perspektiven: Während FSSA gezielt Chancen sucht und auf langfristiges Gewinnwachstum setzt, liegt der Fokus der Ratingagenturen auf der nachhaltigen Kreditqualität und der Fähigkeit, wirtschaftliche Schocks zu überstehen.
Lau fasst die Lage treffend zusammen: „Wer auf Fundamentaldaten und nachhaltige Geschäftsmodelle setzt, dürfte auch künftig von Chinas Wachstumspotenzial profitieren – sollte jedoch die bestehenden Risiken nicht aus dem Blick verlieren.“ Für Ratingagenturen bedeutet dies, diese Balance objektiv zu messen – zwischen strukturellem Aufbruch und konjunktureller Unsicherheit.
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Geopolitische Spannungen rücken in den Fokus der Ratingagenturen
Von Dr. Oliver Everling | 14.Oktober 2025
Die jüngste Eskalation zwischen China und den USA hat nicht nur die Märkte in Asien erschüttert, sondern auch die Aufmerksamkeit der Analysten internationaler Ratingagenturen auf sich gezogen. Die Experten sind gefordert, die Entwicklungen mit besonderer Sorgfalt zu beobachten und mögliche Konsequenzen für Länderratings, Unternehmensanleihen und Handelsfinanzierungen einzuschätzen.
„In der vergangenen Woche sind die Spannungen zwischen China und den USA erneut eskaliert“, erklärt Elizabeth Kwik, Investment Director of Asian Equities bei Aberdeen Investments. „Das chinesische Handelsministerium kündigte erweiterte Exportbeschränkungen für seltene Erden an, die nun auch ausländische Exporteure und Technologien betreffen, die mit seltenen Erden in Verbindung stehen.“ Die Reaktion aus Washington ließ nicht lange auf sich warten: „Die US-Regierung unter Donald Trump reagierte bereits am nächsten Tag mit der Einführung eines 100-prozentigen Strafzolls auf sämtliche chinesische Waren – zusätzlich zu den bereits bestehenden Zöllen.“
Für Ratingagenturen stellen solche politischen und handelspolitischen Maßnahmen ein zentrales Risiko dar, da sie sowohl auf makroökonomische Kennzahlen als auch auf die Kreditwürdigkeit ganzer Sektoren wirken können. In Zeiten geopolitischer Unsicherheit müssen Analysten nicht nur Kursreaktionen und Marktvolatilität beobachten, sondern auch die Tragfähigkeit von Staatsfinanzen und Unternehmensbilanzen unter Stressbedingungen neu bewerten.
Kwik verweist darauf, dass „die gegenseitigen Maßnahmen vor allem als strategisches Taktieren im Vorfeld des Gipfels zu verstehen sind“. Dennoch bleiben die Unsicherheiten hoch. Die Ratinganalysten sind daher angehalten, diese Entwicklungen kontinuierlich zu verfolgen, um rechtzeitig auf strukturelle Verschiebungen reagieren zu können, die eine Anpassung bestehender Ratings erforderlich machen könnten.
Trotz der geopolitischen Spannungen sieht Kwik auch positive Aspekte: „Trotz der aktuellen Lage bleiben wir langfristig konstruktiv gegenüber chinesischen Aktien eingestellt. Die Festlandmärkte gehören in diesem Jahr zu den stärksten Performern und haben sowohl die USA als auch andere große asiatische Märkte übertroffen.“ Besonders die internen Reformen und die wirtschaftspolitische Reaktionsfähigkeit Pekings könnten laut Kwik dazu beitragen, den externen Druck abzufedern.
Für Ratingagenturen bedeutet dies, dass sie die gegenläufigen Kräfte – geopolitische Risiken auf der einen, strukturelle Stärke der Binnenwirtschaft auf der anderen Seite – differenziert einordnen müssen. Denn „die Bewertungen liegen unter dem Fünfjahresdurchschnitt, die Ersparnisse der Haushalte sind im Verhältnis zur Marktkapitalisierung hoch“, so Kwik. Gerade diese Faktoren könnten das Fundament für stabile Kreditratings trotz kurzfristiger Turbulenzen bilden.
Insgesamt zeigt die jüngste Entwicklung, dass geopolitische Spannungen zunehmend als Ratingfaktor Gewicht gewinnen. Analysten sind gefordert, politische Signale ebenso sorgfältig zu bewerten wie finanzielle Kennzahlen – und flexibel genug zu bleiben, um auf eine sich rapide verändernde Weltordnung zu reagieren.
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Einseitige Nachrichten und die Gefahr für die Meinungsvielfalt in der Schweiz
Von Dr. Oliver Everling | 13.Oktober 2025
Eine neue Studie von Felix Schläpfer Economic Research in Zusammenarbeit mit gfs.bern zeigt auf, wie stark Schweizer Medien in internationalen Themen von ausländischen Quellen beeinflusst werden – und welche Folgen das für die öffentliche Meinungsbildung hat. „Nachrichten aus ausländischen Quellen, die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der USA nahe stehen, prägen über Schweizer Medien die Meinungen in der Schweizer Bevölkerung in wichtigen internationalen Themen einseitig“, heisst es in der Medienmitteilung.
Die Untersuchung, die unter dem Titel „Einseitigkeit in Nachrichtenmedien“ veröffentlicht wurde (DOI: 10.5281/zenodo.17224633), basiert auf einer Medienanalyse und einer repräsentativen Umfrage mit 1590 Personen in der deutschsprachigen Schweiz. Dabei wurden 20 häufig verbreitete Aussagen zu internationalen Themen überprüft – von der Corona-Pandemie über den Ukraine-Krieg bis zu geopolitischen Fragen rund um China und die USA.
Das Ergebnis ist deutlich: In den grossen Medienhäusern – SRF, Tamedia und NZZ-Medien – zeigen sich laut Studie „nur geringe Unterschiede in der Übernahme einseitiger Sichtweisen“. Hingegen weichen kleinere Medien wie Die Weltwoche oder Die Republik teils deutlich ab. Besonders brisant: Viele der untersuchten Aussagen spiegeln Perspektiven wider, die direkt den Kommunikationslinien westlicher, insbesondere US-amerikanischer, Akteure entsprechen.
Ein Beispiel: 50 % der Befragten stimmten der Aussage „Russland unter Putin ist eine Gefahr für ganz Europa“ voll und ganz zu, während 47 % die Aussage „Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist ein unprovozierter Angriffskrieg“ ohne Einschränkung bejahten. „Die Aussagen entsprechen Sichtweisen der einen Kriegspartei – der Ukraine und ihrer Unterstützer“, heisst es in der Studie. Schweizer Medien hätten diese Sichtweisen „nicht nur übernommen, sondern Bemühungen um Objektivität sogar ausdrücklich abgelehnt und regelmässig verunglimpft.“
Auch in anderen Themenbereichen zeigt sich laut Schläpfer ein ähnliches Muster: „Sichtweisen, die durch neuere Information ganz oder teilweise widerlegt wurden, blieben für Meinungen bestimmend, möglicherweise auch, weil die Medien frühere Fehlinformation nur selten korrigierten.“ So glauben noch immer 36 % der Befragten uneingeschränkt an das in westlichen Medien geprägte Narrativ eines chinesischen Sozialkreditsystems mit umfassender Überwachung, obwohl dieses in der ursprünglichen Form nicht nachweisbar ist.
Interessant ist auch der soziodemografische Befund: Ältere Personen und Männer stimmen einseitigen Aussagen häufiger zu, während jüngere Befragte und Frauen tendenziell kritischer reagieren. Zudem steigt die Zustimmung mit der täglichen Nachrichtenzeit – wer mehr als 30 Minuten pro Tag Medien konsumiert, übernimmt einseitige Sichtweisen signifikant häufiger.
Die Schlussfolgerung fällt entsprechend deutlich aus: „Die einseitige Abhängigkeit stellt eine autonome und souveräne Gestaltung der internationalen Beziehungen und der Aussenpolitik der Schweiz in Frage.“
Studienautor Felix Schläpfer, ehemals Professor an der Kalaidos Fachhochschule, betont, dass die Untersuchung keine externen Auftraggeber oder finanzielle Unterstützung hatte. Ziel sei es gewesen, „die strukturellen Ursachen einer wachsenden Einseitigkeit in der Medienlandschaft empirisch sichtbar zu machen“.
Damit stösst die Studie eine Grundsatzdebatte an: In welchem Masse kann ein Land wie die Schweiz, das auf Unabhängigkeit und Neutralität baut, seine außenpolitische Selbstbestimmung bewahren, wenn seine Medien die Perspektiven ausländischer Akteure unreflektiert übernehmen?
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Der politische Gencode der radikalen Mitte
Von Dr. Oliver Everling | 11.Oktober 2025
In Deutschland entsteht derzeit ein neues politisches Phänomen, das sich zunehmend als „radikale Mitte“ artikuliert – eine Haltung, die sich deutlich von den politischen Extremen abgrenzt, aber auch nicht in der bequemen Mitte des etablierten Spektrums verharrt. Diese neue Mitte ist weder reaktiv noch verwaltend, sondern sucht gezielt nach Fortschritt und Reform, ohne ins ideologische Lagerdenken abzugleiten. Sie verfolgt grundlegende, teils tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat, bleibt dabei aber der Idee verpflichtet, dass Wandel nur dann Bestand hat, wenn er die Stabilität des Gemeinwesens sichert.
Die radikale Mitte ist damit keine Rückkehr zu einer alten politischen Normalität, sondern der Versuch, eine neue Balance zwischen Ordnung und Erneuerung zu schaffen. Sie ist offen für Veränderungen, lehnt aber sowohl radikale linke als auch radikale rechte Positionen ab. Ziel ist es, stabile, aber dennoch innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln – etwa im Umgang mit Migration, dem digitalen Wandel oder der Transformation der Industrie. Der politische Gencode dieser neuen Bewegung verbindet also Rationalität mit Entschlossenheit: Reformen sollen nicht nur angekündigt, sondern umgesetzt werden – schnell, evidenzbasiert und ohne ideologische Verblendung.
Diese Entwicklung entspringt einer tiefen gesellschaftlichen Sehnsucht nach Handlungsfähigkeit. Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden das politische System als gelähmt durch Koalitionsarithmetik, moralische Symbolpolitik und institutionelle Trägheit. Die „radikale Mitte“ reagiert darauf mit dem Versprechen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen: Sie will Pragmatismus mit Prinzipien verbinden, Fortschritt mit Verlässlichkeit. Das kann in verschiedenen Formen geschehen – durch parteiübergreifende Bündnisse, neue Reformbewegungen oder eine Neuausrichtung bestehender Parteien, die alte ideologische Gewissheiten über Bord werfen.
Politisch gesehen könnte diese Strömung die Kräfteverhältnisse in Deutschland spürbar verändern. Wenn sie gelingt, entsteht ein neuer Block, der wirtschaftliche Dynamik, technologische Modernisierung und soziale Kohärenz zusammendenkt. Ein solches Programm würde stabilisierend wirken – ähnlich wie die „Dritte-Weg“-Bewegungen der 1990er Jahre, jedoch mit einem stärkeren Fokus auf Souveränität, Sicherheit und Standortpolitik. Ratingagenturen wie S&P Global oder Moody’s würden ein solches Signal positiv werten, weil es auf institutionelle Stärke und fiskalische Planungssicherheit hindeutet. Strukturreformen, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit fördern, gelten in der Bonitätsanalyse als zentrale Faktoren für die Beibehaltung des AAA-Ratings Deutschlands.
Doch diese Stabilisierung ist nicht garantiert. Die radikale Mitte muss beweisen, dass sie tatsächlich integrativ wirkt und keine technokratische Elite bildet, die sich von der gesellschaftlichen Basis entfremdet. Wenn das Streben nach Effizienz in autoritäre Steuerung kippt oder gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen werden, verliert das Konzept seine moralische und ökonomische Legitimation – mit negativen Folgen auch für das politische Vertrauen und das Kreditrating. Ratingagenturen reagieren sensibel auf politische Fragmentierung und institutionelle Schwäche, insbesondere wenn diese die Fähigkeit zu nachhaltiger Haushaltsführung oder Reformumsetzung beeinträchtigt.
Am Ende entscheidet sich die Bedeutung der radikalen Mitte daran, ob sie Verantwortung neu definiert: als Fähigkeit, Wandel zu gestalten, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden. Gelingt ihr das, kann sie zur eigentlichen Trägerin politischer und wirtschaftlicher Stabilität werden – und damit zu einem Faktor, der Deutschlands Position an den Finanzmärkten und in der internationalen Wahrnehmung stärkt. Scheitert sie jedoch an innerer Widersprüchlichkeit oder Machtkalkül, würde der politische und ökonomische Kompass erneut ins Wanken geraten.
Die radikale Mitte steht somit für den Versuch, Stabilität durch Erneuerung zu erreichen – und gerade darin liegt ihr revolutionäres Potenzial. Sie könnte Deutschlands politische Landschaft erneuern, seine demokratische Mitte festigen und zugleich jene Verlässlichkeit schaffen, die Investoren, Märkte und Ratingagenturen als Grundlage langfristigen Vertrauens werten.
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Marktbereinigung im Zeichen der Bonität
Von Dr. Oliver Everling | 9.Oktober 2025
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland bleibt auf alarmierend hohem Niveau. Nach Angaben des IWH Halle wurden im dritten Quartal 2025 fast die Rekordwerte des Vorquartals erreicht – die zweithöchsten Insolvenzzahlen seit zwei Jahrzehnten. Diese Entwicklung ist nicht nur ein konjunkturelles Signal, sondern auch ein Prüfstein für das Kreditrisikomanagement und die Aussagekraft von Credit Ratings.
„Die aktuellen Insolvenzzahlen sind ein ernstes Signal: Nach Jahren niedriger Zinsen und staatlicher Stützungsmaßnahmen erleben wir nun eine schmerzhafte, aber notwendige Marktbereinigung“, erklärt Dr. Tobias Moser, Gründer von MR Corporate Solutions. Seine Einschätzung verweist auf eine Phase, in der viele Unternehmensratings einer realwirtschaftlichen Bewährungsprobe unterzogen werden.
Für Ratingagenturen und Kreditprüfer bedeutet der Anstieg der Insolvenzen, dass Frühwarnindikatoren, Bilanzqualität und qualitative Bonitätseinschätzungen stärker gewichtet werden müssen. Besonders Branchen mit strukturellen Herausforderungen – wie die Automobilzulieferindustrie, der Handel, die Modebranche und der Immobiliensektor – geraten unter verschärfte Beobachtung. „Unternehmen, die zu lange von günstigen Rahmenbedingungen profitiert oder notwendige Anpassungen verschoben haben, geraten unter Druck“, so Moser weiter.
Im Zentrum der Diskussion steht auch der Ansatz des Restructuring as a Service (RaaS). Dieses Modell bietet laut Moser „pragmatische, vorinsolvenzliche Lösungen“, die weit über klassische Sanierungsinstrumente hinausgehen. RaaS ermöglicht es, sanierungsbedürftige Geschäftseinheiten gezielt auszugliedern und so die Bilanz zu entlasten – eine Maßnahme, die aus Sicht der Ratinganalysten Bonitätsrisiken mindern und Ausfallwahrscheinlichkeiten senken kann.
„Ein externer Restrukturierungsgesellschafter übernimmt die Anteile, entlastet die Bilanz des Mutterkonzerns, mindert Haftungsrisiken für die Geschäftsführung und ermöglicht eine fokussierte operative Sanierung außerhalb des Kerngeschäfts“, erläutert Moser. Solche Strukturen könnten in künftigen Credit-Rating-Analysen als stabilisierende Faktoren bewertet werden, insbesondere wenn sie den langfristigen Fortbestand des Unternehmens sichern.
Der Trend zeigt: Das Rating von Unternehmen wird künftig stärker davon abhängen, wie proaktiv und kreativ sie mit Krisen umgehen. Wer frühzeitig restrukturiert, Carve-outs strategisch nutzt und die Kapitalstruktur anpasst, kann nicht nur das Vertrauen der Gläubiger erhalten, sondern auch sein Rating stabilisieren. In einer Zeit, in der der „Trend zur notwendigen Bereinigung“ laut Moser unausweichlich ist, wird die Bonität zunehmend zum Spiegel unternehmerischer Anpassungsfähigkeit.
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Goldminen im Rating-Aufwind: SSR Mining, Avino Silver & Gold Mines und Silver One Resources
Von Dr. Oliver Everling | 7.Oktober 2025
Goldaktien erleben derzeit, wie James Luke von Schroders betont, einen „stillen Boom“, der zunehmend auch aus Sicht von Kredit- und Ratinganalysten Aufmerksamkeit verdient. Denn die Kombination aus rekordhohen Margen, soliden Bilanzen und diszipliniertem Kapitalmanagement signalisiert eine Verbesserung der Bonität quer durch den Sektor – von großen Produzenten bis zu kleineren Akteuren wie SSR Mining, Avino Silver & Gold Mines Ltd oder Silver One Resources.
„Goldminenunternehmen erzielen Rekordmargen und haben solide Bilanzen aufgebaut, werden jedoch zu nicht überzogenen Bewertungen gehandelt“, erklärt Luke – ein Befund, der in der Sprache der Ratings auf eine deutliche Verschiebung der Risikowahrnehmung hinweist.
Gerade die Beobachtung, dass „die Produzenten einen um ca. 50 % höheren freien Cashflow als erwartet“ generieren, wirkt wie ein klassischer Auslöser für Rating-Upgrades. Unternehmen wie SSR Mining, die ihre Verschuldung in den vergangenen Jahren konsequent reduziert haben, oder Avino Gold & Silver, das nach einer Phase der Expansion stabile operative Cashflows ausweist, stehen beispielhaft für diesen Trend. Selbst kleinere Player wie Silver One, die noch im Aufbau ihrer Produktionskapazitäten stehen, profitieren von der verbesserten Wahrnehmung der Branche im Hinblick auf Kreditwürdigkeit und Finanzstabilität.
Die Kapitaldisziplin der Unternehmen – sichtbar in moderatem Wachstum, gezielten Aktienrückkäufen und stabilen Dividenden – stärkt nicht nur das Vertrauen der Investoren, sondern auch das Credit Standing der Emittenten, sollten sie künftig über Anleihemärkte finanzieren wollen. Aus Rating-Perspektive ist besonders interessant, dass die Bewertungen laut Schroders „über alle Kennzahlen hinweg angemessen“ bleiben, selbst bei einem Goldpreis deutlich unter den aktuellen Spotpreisen. Diese konservative Kalkulation reduziert die Abhängigkeit von externen Schocks und unterstreicht, dass die Kreditqualität der Branche heute weit robuster ist als während der Jahre zwischen 2005 und 2015, die Luke als Phase „massiver Wertvernichtung“ beschreibt.
Damals führten Überinvestitionen und mangelnde Kapitalkontrolle zu einer Welle von Herabstufungen. Heute dagegen zeigen Gespräche auf Branchenveranstaltungen wie der Denver Gold Show, dass Managementteams wie jene von SSR Mining oder Avino Silver & Gold Mines „äußerst besonnen agieren und weder Wachstum noch höhere Preise anstreben“. Diese Haltung steht im Einklang mit einer Ratingkultur, die Stabilität und Vorhersehbarkeit belohnt.
Dass der Markt laut Schroders „erst beginnt, darauf aufmerksam zu werden“, spiegelt auch die Trägheit vieler institutioneller Modelle wider, in denen Goldminen traditionell als spekulative Assets mit erhöhtem Ausfallrisiko klassifiziert werden. Doch wenn Cashflow-Stabilität, Kapitaldisziplin und Bilanzqualität die zentralen Treiber von Bonitätsurteilen sind, dann zeichnet sich eine Neubewertung ab – im doppelten Sinn: als Börsenchance und als Aufwertung im Kreditrating. In diesem Umfeld könnten Goldproduzenten, wie Luke resümiert, „noch beträchtliches Potenzial“ entfalten – nicht nur gegenüber dem Goldpreis, sondern auch im Urteil der Ratingagenturen.
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