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Von Rettern und Rebellen

Von Dr. Oliver Everling | 31.August 2015

Klaus-Peter Willsch ist ein Eurorettungs-Kritiker der ersten Stunde. Der CDU-Bundestagsabgeordnete stellte sich entschlossen gegen den Euro-Rettungskurs der Bundesregierung, den kollektiven Rechtsbruch und die Plünderung Deutschlands durch die Schuldenstaaten Europas. „Experten der Ratingagentur von Standard & Poor’s erklärten in interner Runde,“ schreibt Willisch in seinem neuen Buch, „dass vergleichbare Fälle zu Griechenland nur noch in der Dritten Welt zu finden wären, aber nicht in Europa.“

Das Buch von Klaus-Peter Willsch und Christian Raap „Von Rettern und Rebellen – Ein Blick hinter die Kulissen unserer Demokratie“ (288 Seiten, ISBN 978-3-89879-926-3) erscheint im FinanzBuch Verlag, München 2015. „Der Klügere gibt nach“, heißt eine alte Volksweisheit. Das Buch von Willisch und Raap zeigt leider: Nicht jeder, der nachgibt, ist auch klug.

„Im Gegensatz zur US-Investmentbank Lehman Brothers, die kurz vor ihrem Bankrott im September 2008 noch mit einem Spitzenrating bedacht worden war,“ schreiben Willisch und Raap, „wusste bei Griechenland jeder Investor, woran er war. Seit Monaten bastelte die Regierung an Notfallplänen für den Fall, dass Griechenland auf den Märkten nur noch Geld zu prohibitiv hohen Zinsen bekam.“

Willisch und Raap zeigen auf, wie der Deutsche Bundestag überrumpelt wurde. „Das letzte Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs lag Wochen zurück,“ zeichnen Willisch und Raap detailliert die Ereignisse nach, „hatte die Bundesregierung noch nicht einmal einen Kabinettsbeschluss zustande gebracht. Und jetzt bekam das Parlament plötzlich die Pistole auf die Brust gesetzt.“

Solange die Troika Athen eine positive Schuldentragfähigkeitsanalyse ausstelle, könne das Geld bedenkenlos fließen, argumentierte die Bundesregierung. „Auch als Griechenland im Herbst 2011 kurz vor der Pleite gestanden hatte, sprach sich Schäuble gegen eine haushaltsmäßige Vorsorge in Form einer Verpflichtungsermächtigung aus. Einschätzungen von Ratingagenturen spielte das BMF herunter. Das Herabstufen Griechenlands im Frühjahr 2011 durch Fitch würde nur eine private Meinung widerspiegeln, wobei Ratingagenturen ihre Einstufungen ohnehin oft prozyklisch vornähmen.“

Willisch und Raap zeigen, wie opportunistisch die Bundesregierung Ratings nutzt: „Dabei hatte das BMF der Bewertung der Ratingagenturen im Bankenbilanzrecht im Rahmen von Basel II und Basel III eine große Rolle zugeschrieben. Die Bundesregierung bog sich ihre Wahrheit zurecht.“

Die EFSF refinanzierte sich selbst über die Kapitalmärkte, kommt Willisch und Raap auf weitere Ratingaspekte zu sprechen. „Um die Zinsen und Refinanzierungskosten möglichst gering zu halten, brauchte es ein Spitzenrating. Dieses wurde der EFSF aber verweigert, weil sich am Rettungsschirm auch Staaten beteiligten, deren Kreditwürdigkeit deutlich niedriger war. Über das begehrte AAA verfügten nur Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich, Finnland und Luxemburg.“

Der Sinn der EFSF bestand aber gerade darin, dass sich die Fazilität zu guten Konditionen Geld auf den Finanzmärkten beschaffte und diese dann an die Programmstaaten weitergab. „De facto standen nur 250 der 440 Milliarden Euro für Rettungstaten zur Verfügung. Für diese Summe standen die sechs AAA-Länder ein. Bereits beim Bailout Irlands war aufgefallen,“ analysieren Willisch und Raap, „dass sich der EFSM, hinter dem die Europäische Union als Ganzes stand, seinen Anteil zu deutlich besseren Konditionen beschaffen konnte als die EFSF. Noch am 1. Oktober 2010 hatte EFSF-Chef Klaus Regling gegenüber dem Unterausschuss für Fragen der Europäischen Union im Bundestag gesagt, dass die Bewertung der EFSF durch die drei relevanten Ratingagenturen mit Erfolg abgeschlossen worden war. Die EFSF werde mit dem begehrten AAA eingestuft. Später hieß es jedoch, der Rettungsschirm könne seine komplette Feuerkraft nicht entfalten. Wie viel Geld genau zur Verfügung stand, konnte lange Zeit niemand beantworten.“

Der Europäische Rat beschloss, den bisherigen ESM-Vertragsentwurf und den dazugehörigen Zeitplan komplett zu überarbeiten. Weil der Verlust des französischen Spitzenratings drohte, sollte der ESM bereits im Juli 2012 seine Arbeit aufnehmen.

Nach außen brüstete sich die Fraktionsführung, Deutschland habe den europäischen Partnern entscheidende Positionen abringen können, der Bundesregierung sei gar ein großer Coup gelungen. Wenn dies eine „Meisterleistung“ gewesen wäre, hätte es den ESM gar nicht gebraucht, stellen Willisch und Raap nüchtern fest. „Denn der temporäre Rettungsschirm EFSF lief noch bis Mitte 2013, also zum damaligen Zeitpunkt noch mehr als ein Jahr. Wenn alle Staaten die im Fiskalvertrag intendierten Regeln – ohne das Hineinverhandeln von Schlupflöchern – eingehalten hätten, wäre das viel beschworene Vertrauen der Märkte von alleine zurückgekommen. Das Gegenteil war der Fall. Frankreich verlor sein Spitzenrating; die EFSF wurde in der Folge ebenfalls herabgestuft.“

Willisch und Raap kommen aber nicht nur auf Griechenland zu sprechen. „Infolge des griechischen Schuldenschnittes im Februar 2012 verloren die zyprischen Banken etwa 4,7 Milliarden Euro, was die Eigenkapitalsumme der Institute teils weit überstieg.255  Jetzt waren die zwei größten Banken Zyperns, die Bank of Cyprus und die Laiki Bank, faktisch insolvent. Warum man gerade bei der Bank of Cyprus alles auf die hellenische Karte gesetzt hatte,“ fragen Willisch und Raap, „wird die Nachwelt nie erfahren. Denn nachdem die zyprische Zentralbank am 21. August 2012 bei Alvarez & Marsal ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben hatte, wurden von zwei hochrangigen Mitarbeitern der Bank massiv Daten gelöscht. Ihren Report legte die Beraterfirma am 26. März 2013 vor und benannte die beiden Mitarbeiter sogar namentlich, die mithilfe einer nur zur Datenlöschung eingespielten Software ihre lokalen Festplatten bereinigt hatten.“

Mit welchen Leuten man es dort zu tun hatte, wird im Buch von Willisch und Raap jedem Leser klar. „Nur eine Stunde vor dem Anrücken der Kontrolleure von A&M löschte Andreas E. massiv Daten von seinem Computer. Die Analysten fanden eine völlig leere Festplatte vor, auf der nur noch die Systemdateien vorhanden waren. Christakis P. löschte am 18. Oktober 2012 nachweislich mit dem gleichen Programm 28.000 Dateien, darunter waren 1.300 Dateien, die er selbst erstellt hatte. Die A&M-Analysten konnten nur noch einige Dateinamen rekonstruieren, die aber darauf schließen ließen, ‚that some of the deleted documents are relevant to the investigation.'“

Im Gegensatz zu Irland und Spanien konzentrierten sich die Probleme auf Zypern aber nicht allein auf den Finanzsektor. „Zwar gab es auch hier eine geplatzte Immobilienblase,“ berichten Willisch und Raap, „hinzu kamen mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und hohe Defizitzahlen. Die Maastricht-Kriterien hatte das Land nur kurzzeitig im Vorfeld der Euro-Einführung eingehalten, umsich infolge nur noch kräftiger zu verschulden. Der Schuldenstand war seit 2008 innerhalb von vier Jahren von 58,8 Prozent auf 89,7 Prozent gestiegen. Seit Anfang 2013 konnten die Ratingagenturen nur noch Spekulanten eine Empfehlung für zyprische Staatstitel aussprechen, deren Renditen gewaltig stiegen.“

Willisch kommt oft auf seinen Kollegen Frank Schäffler von der FDP zu sprechen. Schäffler dürfte der erste Abgeordnete gewesen sein, der die Entwicklung bis heute nicht nur richtig voraussah, sondern auch den Mut hatte, der Vermögensverschiebung zugunsten der Schuldnerstaaten mutig entgegenzutreten. In der BILD-Zeitung vom 4. März 2010 hatte Schäffler gefordert, zitieren Willisch und Raap: „Die Kanzlerin darf keinen Rechtsbruch begehen, darf Griechenland keine Hilfen versprechen. Der griechische Staat muss sich radikal von Beteiligungen an Firmen trennen und auch Grundbesitz, z. B. unbewohnte Inseln, verkaufen.“

Nach der Lektüre dieses Buches kann kaum ein Leser an dem Unrecht zweifeln, dass Deutschland in der griechischen Tragödie widerfuhr.

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