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Amerika-Syndikat

Von Dr. Oliver Everling | 5.Dezember 2016

Das neue Buch „Das Amerika-Syndikat“ von Dr. Wolfgang Freisleben im FinanzBuch Verlag ist für jeden interessant, der sich über die dominante Rolle ausschließlich amerikanischer Ratingagenturen auf den Weltfinanzmärkten wundert. Warum lässt es die Europäische Zentralbank nicht zu, dass für den Ankauf von Anleihen europäischer Emittenten auch Ratings europäischer Ratingagenturen verwendet werden dürfen? Es zählen allein die Ratings aus Kanada und den USA, von DBRS, Fitch Ratings, Moody’s und Standard & Poor’s, nicht aber ihrer rund zwei Dutzend Konkurrenten aus europäischen Wurzeln.

Wer nun glaubt, eine Verpflichtung wie die der EZB, allein die Klassifizierungen aus Amerika für ihre Ankaufsentscheidungen heranzuziehen, sei ein auf die Ratingbranche beschränktes Einzelphänomen, wird durch das Buch von Freisleben eines Besseren belehrt. Die USA beziehungsweise einige ihrer einflussreichsten Dynastien sichern sich ihren Einfluss in Europa offenbar nicht nur bei Ratingfragen, die für Emittenten von existentieller Bedeutung sind. Unternehmen, Banken, Versicherungen, Gebietskörperschaften bis hin zu ganzen Staten sind gleichermaßen betroffen. „Wie die souveränen Staaten Europas zur Kolonie der USA verkommen“ ist der Untertitel des provokanten Buches von Freisleben.

Freisleben zeigt in seinem Buch einen beachtlichen Spürsinn dafür, „wo der Hase im Pfeffer liegt“. Mit diesem Spürsinn vermochte er Miteigentümer und langjähriger Herausgeber eines Wiener Wirtschafts- und Finanzmagazins zu werden. So ist ihm auch die Rolle der US-Ratingagenturen bewusst, die als Transformationsriemen US-amerikanischer Investoreninteressen dienen, indem sie Ausfallrisiken aus Sicht insbesondere amerikanischer Gläubiger klassifizieren.

Freisleben sieht jedoch die Agenturen zu sehr in einer Täterrolle – einer Rolle, wie sie nach der Finanzkrise von vielen, doch oberflächlich informierten und recherchierenden Medien kolportiert wurde. Generell gilt: Richter haben ihre Urteile auf der Grundlage von Gesetzen zu sprechen. Ähnlich urteilen Ratingagenturen aufgrund der Gesetzmäßigkeiten, nach denen das – von Freisleben kritisierte – internationale Finanzsystem funktioniert.

Beispiel Staatsschuldenkrise in Europa – Freisleben schreibt: „Tatkräftig angeheizt wurde die Staatsschuldenkrise von den Ratingagenturen.“ Freisleben zitiert dazu „eine aufsehenerregende, aber dennoch kaum beachtete Analyse von Wissenschaftlern der renommierten Schweizer Hochschule St. Gallen (HSG), in der sie die Arbeit der US-Ratingagenturen unter die Lupe genommen haben. Anhand der Wirtschaftsdaten von 1999 bis 2011 entdeckten sie, dass die rapide heruntergestuften Bewertungen (Ratings) maßgeblich den Boden für die Schuldenkrise in Europa aufbereitet hatten. Denn diese seien geradezu eine ‚Self-fulfilling Prophecy‘ gewesen – sie erfüllten sich von selbst, auch wenn sie ungerechtfertigt waren.“ Die Studie verwechselt leider u.a. Korrelation mit Kausalität und ist daher keine verlässliche Stütze in der Argumentation.

Die angebliche „Sicherheit“ von Investitionen in Immobilien war nicht nur vor der Finanzkrise, sondern ist auch bis dato fast sprichwörtlich. Auch heute – im Niedrigzinsumfeld und bei zunehmender Volatilität an den Finanzmärkten – empfehlen Immobilienmakler und Banken wieder die angeblich sichere Geldanlage in Immobilien. Mit „Gaunerei“ hat der verbreitete Glaube an die Wertbeständigkeit von Immobilien eigentlich nichts zu tun. „Es war also eine regelrechte Kette von Gaunerei und Bereicherung. Sie begann“, so schreibt aber Freisleben, „beim Einsammeln von guten, weniger guten bis ausgesprochen notleidenden Hypothekarkrediten und setzte sich in der fantasiereichen Mischung (‚Verbriefung‘) in einer Mogelpackung von Asset Backed Securities (ABS) in verschiedensten Ausgestaltungen unter der speziellen Bezeichnung Mortgage Backed Securities (MBS) fort.“

Freisleben erwähnt nicht, dass das Verhalten der Ratingagenturen vor der Krise im Interesse „aller“ zu sein schien: Der finanzierenden Banken, der vermittelnden Immobilienmakler, der Investoren an den Finanzmärkten, der wirtschaftsstimulierenden Regierungen und – das wird oft übersehen – auch jedes US-Bürgers, der von seinen eigenen vier Wänden träumte. Mithin glaubten die Analysten der Ratingagenturen mit ihren guten Ratings im Konsens aller zu urteilen.

Wäre die Wahrheit ausgesprochen worden, nämlich dass sich die US-Bürger ein solches System politisch selbst gewählt hatten, wäre dies eine Wählerschelte gewesen, mit der auch Barack Obama nicht zum Präsidenten gewählt worden wäre. Daher bot sich die vergleichsweise kleine Schar der Ratinganalysten als ideale Buhmänner an, um ihnen die Schuld für die Dysfunktion eines Systems zuzuweisen, in dem sie in Wahrheit nur Ausführende sind.

„Die Zinsen für neue Kredite stiegen nach Ratingherabstufungen sofort an und erhöhten sprunghaft die Zinseinnahmen der Gläubiger“, schreibt Freisleben. Wäre es so einfach, könnten vielen Anleger schnell große Vermögen anhäufen. Tatsächlich wird aber Ratingagenturen nicht nur vorgeworfen, zu früh herauf- oder herabzustufen, sondern auch, zu spät zu reagieren. Beides kann aber nicht zugleich gelten. Mithin muss über die Performance der Ratingagenturen differenzierter geurteilt werden.

„Je mehr Honorar eine Bank bezahlte, umso bessere Benotungen bekamen die Wertpapiere, die die Bank auf den Markt bringen
wollte. Die Agenturen sind also käuflich.“ Auch mit dieser Aussage folgt Freisleben beliebten Klischees, die jeder zu widerlegen weiß, der es konkret mit Ratingagenturen zu tun hat. Wäre die Höhe des Ratings eine bloße Frage der Bezahlung, hätten sich längst schon viele große Emittenten bessere Ratings verschafft. Im Vergleich zu Emissionen im Volumen von vielen Milliarden fallen nämlich die Ratinggebühren eher marginal aus, so dass es für viele Emittenten ein Leichtes wäre, höhere Gebühren zu bezahlen, um mit besseren Ratings ihre Kapitalkosten um Millionen zu senken. Warum lassen sich selbst die USA ein AA+ von Standard & Poor’s gefallen, wenn sie durch Zahlung einer höheren Ratinggebühr ein AAA auf ihre Billionenschuld erhalten würden?

Freisleben lobt die Regulierung der Ratingagenturen. Leider hebt er ausgerechnet die weniger rühmlichen Teile der neuen EU-Verordnung über Ratingagenturen hervor, wie die durchschaubar im Interesse von Schuldnerstaaten geschaffene Restriktion für Länderratings. Freisleben: „Darüber hinaus dürfen sie EU-Staaten nur noch zu festen Terminen bewerten.“ Dass die Reglementierung der Länderratings im Interesse der schuldentreibenden Staaten liegt, dürfte doch offensichtlich sein.

Unzählige Male wird in den Medien und nun auch bei Freisleben der folgende Satz aus der Korrespondenz zwischen Ratinganalysten zitiert: „Der Deal könnte von Kühen strukturiert werden, und wir würden ihn trotzdem bewerten.“ Für Laien klingt er so, als würden Ratinganalysten auch für Transaktionen gute Ratings erteilen, die jeder Vernunft entbehren. Gesagt wurde zwischen den Analysten aber nur das, was für jede Ratingagentur gelten sollte: Ratings sollten für jedes Finanzinstrument gleich welcher Art und Qualität erteilt werden, um Anleger vor Risiken zu warnen. Die von „Kühen“ strukturierten Produkte würden eben in die unterste Ratingkategorie sortiert. Der Vorwurf gegen die Ratingagenturen kann also nicht lauten, jedes Finanzprodukt zu klassifizieren, sondern nur, im Falle schlechter Produkte eventuell zu gute Ratings zu erteilen.

Auch wenn man im Detail über manchen Befund von Freisleben streiten kann, bleibt dem Leser in jedem Fall eine große Zahl von Denkanstößen. Freisleben sieht „die internationale Hochfinanz in Europa“ durch die Staatsschuldenkrise am Ziel: „Denn wer die Staatsschulden kontrolliert, kontrolliert jede Regierung und jede Nation. Und genau das ist der Status quo: ein neofeudales Finanzsystem, in dem wir alle sowie unsere nationalen Regierungen in der Schuldenfalle sitzen. Dieses System wird von den Zentralbanken und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gesteuert. Es sorgt dafür, dass das weltweite Vermögen permanent aus Steuergeldern in die Taschen der globalen Finanzelite umverteilt wird.“

Das bestehende EU-System sei mithin der Inbegriff von „Post-Demokratie“, wie der britische Politologe Colin Crouch es formuliert hat: „Du kannst zwar wählen, aber du hast keine Wahl.“ Ulrike Guérot verweist zudem darauf, zitiert Freisleben die Politikwissenschaftlerin, dass die europäischen Bürger praktisch kein Recht auf Abwahl der EU-Institutionen haben; sie bestimmen den Regierungschef nicht; sie haben keine echte parlamentarische Opposition. „Die europäischen Bürger sind nicht Souverän des politischen Systems der EU. Kein Wunder,“ so Freisleben, „dass immer mehr Bürger das Angebot der EU nicht mehr attraktiv genug finden, um es zu unterstützen.“

Freisleben gelingt es, eine Fülle von Details und historischen Fakten an den roten Faden seiner Argumentation zu knüpfen. Wie seine Darstellung zu den Ratingagenturen aber zeigt, wird er selbst Opfer des von wenigen Medienkonzernen kontrollierten Nachrichtenoligopols. Obwohl sich Freisleben dieser oft einseitigen Berichterstattung bewusst ist, gerät auch er in die Versuchung, jede Kritik (wie der an den Ratingagenturen) aufzugreifen, auch wenn sie letztlich durch die von ihm skizzierte und kritisierte Finanzelite lanciert wurde.

Auf die Charakteristik der von den USA über Europa bis China und Japan geltenden, staatlichen Zwangsgeldmonopole kommt Freisleben nicht zu sprechen, auch wenn er wiederholt kritisiert, dass die Zentralbanken in den USA, Großbritannien und anderen Staaten von privaten Gesellschaftern kontrolliert werden. Die von Freisleben erhobenen Fakten machen deutlich, dass das gegenwärtige Geldsystem weder rein privat, noch rein staatlich und demokratisch legitimiert ist, sondern ein Zwitter.

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