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Bonität und Justitiabilität im Euroraum

Von Dr. Oliver Everling | 12.April 2012

Im Gespräch mit Dr. Oliver Everling befasst sich Rechtsanwalt Michael C. Schneider, Frankfurt am Main, mit dem Thema „Bonität und Justitiabilität im Euroraum“. Schneider gibt mit seinen Antworten eine Reihe von Denkanstöße und Klarstellungen.

Was verstehen Juristen von der Bonität Griechenlands oder Portugals? „Überhaupt nichts,“ sagt Schneider, „aber sie werden letztlich darüber entscheiden. Ob Griechenland oder Portugal ihre Rechnungen bezahlenkönnen, hängt an Transferzahlungen aus Deutschland. Die Kapitalmärkte reagieren letztlich auf die Bereitschaft Deutschlands zuweiteren Transferzahlungen. Und welche Transferzahlungen zulässig sind, das entscheidet zuerst der Gesetzgeber, aber zuletzt das Bundesverfassungsgericht, und dort sitzen Juristen.“

Hat das Bundesverfassungsgericht denn kein grünes Licht gegeben für die Eurorettung? „Die Sache ist komplexer,“ antwortet  Schneider, „als sie auf den ersten Blick scheint. Eurogegner haben versucht, den Euro-Rettungsschirm mit einem Verfügungsantrag und einer Verfassungsbeschwerde zu kippen. In dem Verfahren 2 BvR 987/10 ist der Verfügungsantrag am 09.06.2010 gescheitert, die Verfassungsbeschwerde dann am 07.09.2011. Und der Berichterstatter Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio hat einen (auf seine einschlägigen Publikationen gestützten) Befangenheitsantrag am 11.10.2011 unbeschadet überstanden, bevor er am 19.12.2011 turnusgemäß aus dem Amt schied.“

Worum ging es bei dem Verfügungsantrag?  Schneider: „Die Verfügungskläger wollten der Bundesregierung verbieten lassen, Griechenland zu retten. Sie behaupteten, dem Bundeshaushaltdrohe nicht wiedergutzumachender Schaden, wenn sich Deutschland die Rettung der EU-Südflanke aufbürde. Umgekehrt behauptete die Bundesregierung, der Gesamtwirtschaft drohe nicht wiedergutzumachender Schaden, wenn die Griechenlandrettung gestoppt werde.“ Dabei anerkannte das Bundesverfassungsgericht einen „Einschätzungsvorrang“ der Bundesregierung.  Schneider mit anderen Worten: „Wir sind nur Juristen, wir wissen es nicht, also soll die Bundesregierung einmal machen. Das Bundesverfassungsgericht beugte sich hier dem Diktat der Bundesregierung, und die Bundesregierung dem Diktat der Kapitalmärkte.“

Und worum ging es bei der Verfassungsbeschwerde? „Da kam dann die ganze Konzeption der EFSF auf den Prüfstand,“ erläutert  Schneider, „und das Bundesverfassungsgericht zog mit, mit kleinen kosmetischen Korrekturen (der Haushaltsausschuss statt eines 9er-Gremiums sollte beteiligt werden). Im Kern ging es um dasBudgetrecht des Parlaments und damit um den Kern der Demokratie.

Darf sich ein Staat derart verschulden, so dass künftige Generationen keine Gestaltungsspielräume mehr haben? Darf er sich so weit verschulden, dass das Parlaments eine Budgethoheit über Jahrzehnte hinaus verspielt? Das Bundesverfassungsgericht sei diesen Fragen ausgewichen, berichtet  Schneider. Es erkannte einen „Einschätzungsspielraum“ des Parlaments an, und zwar auf den drei entscheidenden Ebenen, so  Schneider: „Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, für Gewährleistungen tatsächlich einstehen zu müssen, hinsichtlich der Tragfähigkeit des Bundeshaushaltes und hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik in der Zukunft. Das soll alles das Parlament wissen, und das Gericht will es nicht prüfen.“

Überzeugt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.09.2011?  Schneider: „Das Bundesverfassungsgericht hat sich um eine Entscheidung in der Sache gedrückt. Mutig war das nicht.“ Nachdem praktisch alle Sachfragen im „Einschätzungsspielraum“ des Parlaments aufgehen, bleibe nur noch die Frage, ob dieser irgendwann erschöpft sei,und wann er erschöpft sei. „Ein delirierendes Parlament, das demographische Gegebenheiten, absehbare konjunkturelle Entwicklungenund ökonomische Fundamentaldaten nicht einordnen kann, kommt in der Denkstruktur des Bundesverfassungsgerichts nicht vor.“

Die Entscheidung sei eine unkritische Verneigung vor dem Bundestag – mit einer kleinen Hintertüre.  Schneider argumentiert, dass die Hintertüre darin bestehe, dass das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, dass mit den der Entscheidung zugrunde liegenden Maßnahmen, also Stand 2010, die Grenze „noch“ nicht überschritten sei, wo das Parlament seine Budgethoheit aufgebe.

„Damals ging es aber um ganz andere Beträge als heute. Es macht doch einen erheblichen Unterschied, ob man die magische Grenze von 211 Mrd.Euro einhält,“ so  Schneider, „oder ob man sie, gegebenenfalls um ein Vielfaches, überschreitet.“

Dann kann das Bundesverfassungsgericht sich irgendwann drehen? „Das kann es, und das wird es. Die Budgethoheit des Parlaments schmilzt nämlich schneller als das Grönlandeis. Bereits in der Regierungspressekonferenz vom 21.03.2012 führte Regierungssprecher Seibert einen Eiertanz auf,“ urteilt  Schneider, „als er zur Verbindlichkeit dermagischen 211 Mrd. Euro befragt wurde. Gleiches bei Finanzminister Schäuble im BILD-Interview vom 30.03.2012. Kopenhagensprach insoweit für sich.“

Gegenüber der Osnabrücker Zeitung benutzte Schäuble dann am 10.04.2012 für künftige Zahlungendas Wort „schneller“ anstelle des Wortes „mehr“, das war der Kopenhagen-Konsens. Und dann fügte er hinzu: „Der Euro warimmer sicher“. So wie Blüm 1986 plakatierte: „Denn eines ist sicher – die Rente.“ Wähler kann man täuschen. „Die Demographie und Ökonomie nicht. Daher wird das Bundesverfassungsgericht irgendwann die Reißleine ziehen und dann urteilen, dass die Budgethoheit des Parlaments nicht mehr gewahrt sei,“ folgert  Schneider, „weil das Transfersystem das Budget aufzehre. Die Kläger stehen schon in den Startlöchern, den ESM zu kippen.“

Und wo liegt die Grenze, ab der das Parlament seine Budgethoheit aufgibt? „Da scheiden sich die Geister. Entgegen der No-Bailout-Clause in Art. 125 AEUV, also europarechtswidrig, hat sich Deutschlandüber EFSF, ESM, IWF-Instrumente und EZB-Instrumente bereits mit einem Betrag an Gewährleistungen engagiert, der irgendwozwischen 400 und 800 Mrd. Euro geschätzt wird und ständig ansteigt. Die Verstrickung Deutschlands in das Euro-Schuldengebilde verdichtet sich also täglich rapide, während verfassungsgerichtliche Verfahren Jahre dauern. Das Bundesverfassungsgericht ist der finanzpolitischen Realität immer 1 bis 2 Jahre hinterher. Dass das Bundesverfassungsgericht die Reißleine ziehen muss und wird, ist sicher. Ob das Bundesverfassungsgericht die Reißleine vor oder nach dem Aufschlag zieht,“ resümiert  Schneider, „ist noch völlig unklar.“

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