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„Bullshit Economics“

Von Dr. Oliver Everling | 11.April 2015

Das mit dem Deutschen Finanzbuchpreis ausgezeichnete Buch „Die große Geldschmelze“ stellte bereits unter Beweis, dass diese beiden Autoren mehr als nur das Handwerk des Schreibens beherrschen: Prof. Dr. Hanno Beck und Prof. Dr. Aloys Prinz unterstreichen mit ihrem neuesten Titel „Bullshit Economics“erneut ihre Fähigkeiten, komplexe Sachverhalte in einer für breiteres Publikum geeigneten Form zu präsentieren. Wie nicht zuletzt auch die Lektüre dieses empfehlenswerten Buches zeigt, ist mehr Allgemeinbildung in Wirtschaftsfragen einer der wichtigsten Schlüssel dafür, Deutschland auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen.

Die Wahl eines gewagten Titels für ein Sachbuch, „Bullshit Economics“, lässt schon erahnen, dass es den Autoren nicht nur um trockene Wiedergabe von Fakten geht, sondern auch darum, dies in einer für Leser unterhaltsamen, sogar spannenden Form zu tun. Daher soll auch an dieser Stelle nicht verraten werden, wie es zur Wahl des Titels „Bullshit Economics“ – dazu sollte sich der interessierte Leser selbst in das Buch vertiefen. Das Grundprinzip der „Bullshit Economicsw“ sei jedoch bereits angedeutet: „Ein deutsches Nachrichtenmagazin hat sogar den ‚Merkel-Phrasomat‘ bereitgestellt,“ nennen die beiden Autoren ein den „Bullshit Economics“ vergleichbares deutsches Beispiel, „mit dessen Hilfe man sich seine eigene Rede nach dem Vorbild der Kanzlerin zusammenstellen kann – zu jedem Themenbereich, versteht sich.“

Hanno Beck, Jahrgang 1966, war bis 2006 Mitglied der Wirtschaftsredaktion der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Seit 2006 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Pforzheim. Hanno Beck ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Der Alltagsökonom“ und 2012 bei Hanser „Geld denkt nicht: Wie wir in Gelddingen einen klaren Kopf behalten“.

Aloys Prinz, Jahrgang 1956, war von Ende 1993 bis Frühjahr 2000 Professor für Wirtschaftspolitik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit April 2000 ist er Professor für Finanzwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Er ist Autor zahlreicher Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.

Wer beispielsweise die Anhörungen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zu den Themen „Rating“ und „Ratingagenturen“ mit verfolgen durfte/musste, kann die von Beck und Prinz beschriebene Art der Wahrheitsfindung des deutschen „Souveräns“ nur bestätigen: „Man kann das auch Fakten-Eklektizismus nennen – eine gezielt willkürliche Zusammenstellung von Fakten, die nur einem Ziel dient: die eigene Meinung stützen.“ Die Autoren berichten mit praktischen Beispielen davon, wie Politiker die Wissenschaft in diesem Spiel in etwa so nutzen „wie Betrunkene Straßenlaternen: sie suchen Halt, nicht Erleuchtung.“

Die beiden Professoren berichten von der Praxis des Gutachten-Hoppings – dieses wird so lange veranstaltet, bis Politiker die ihnen genehmen Ergebnisse erhalten. Diese Praxis ist allerdings keine neue Methode der Großen Koalition, sondern gab es auch schon früher, wie die Autoren nachweisen. „Die Missachtung der Gutachten ist teils legendär: Im Sommer 1964 sprachen sich die fünf Weisen in einem Sondergutachten für die Aufwertung der D-Mark und flexible Wechselkurse aus. ‚Das Gutachten haben wir zum Kanzleramt geschickt und danach nie mehr etwas davon gehört, es gab nur die Quittung des Pförtners‘, erinnert sich der damalige Wirtschaftsweise, Herbert Giersch.“

Beck und Prinz entlarven Emotionen als „eine Zauberwaffe im Kampf um die politische Lufthoheit: Wer will schon ein sachliches Argument hören, wenn niedliche Robbenbabys, hungernde Kinder oder unterjochte Tagelöhner beschworen werden? Ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen diesen Emotionsträgern und der betreffenden Politik gibt, ob die Politikvorschläge Robben, Kinder oder Tagelöhner wirklich schützen oder nicht – völlig egal. Wer die Emotionen der Menschen beherrscht, beherrscht die Politik.“

Das Buch hält manchen argumentativen „Leckerbissen“ bereit, zum Beispiel für diejenigen, die sich mit Kostentheorie und Opportunitätskostenansätzen auskennen. So kommen Beck und Prinz auf das Unwort des Jahres 2010 von der Alternativlosigkeit zu sprechen: „Die milliardenschwere Euro-Rettung wäre kostenlos, wenn sie tatsächlich alternativlos gewesen wäre, denn man hätte mit all dem Geld, das man in den Rettungsschirm gepumpt hat, nichts anderes anfangen können. Ehrlich? Das sehen wir nicht so. Es gibt immer eine Alternative.“

Die Autoren machen die Entscheidungssituation von Politikern deutlich: „…wenn Sie Politiker sind, ignorieren Sie jegliche Beurteilung Ihrer früheren Arbeit, kanzeln Sie Experten ab, die Ihnen am Zeug flicken wollen, ignorieren Sie jegliche Folgen Ihrer Politik. Werden Sie das, was man als ‚ergebnisresistent‘ bezeichnet.“

So geht es im Buch „Bullshit Economics“um Fakten-Shopping und Gutachten-Hopping. Emotionalisierung und Moralisierung, Schwarz-Weiß-Malerei, Maskierung, Metaphern – und natürlich um „Alternativlosigkeit“.

Beck und Prinz liefern einen Beweis nach dem anderen für die Überregulierung in Deutschland, z.B. Ladenschlussgesetz: Christdemokraten wie auch Sozialdemokraten sind sich aus unterschiedlichen Motiven beim Ladenschlussgesetz einig, das die Nacht, den Sonntag und Feiertage heiligt – mit der Folge der Verurteilung einer Tankstellenverkäuferin, die in der Nacht zwei Fußgängern Bier verkaufte, denn sie hätte nur Autorfahrern Bier verkaufen dürfen.

„Während die regulären Supermärkte um 22 Uhr schließen müssen,“ erläutern Beck und Prinz die widersinnige Rechtslage, „können Tankstellen munter weiter verkaufen, zum Ärger der Konkurrenz. Also hat der Gesetzgeber verfügt, dass nur Reisende nach 22 Uhr sich für ihren Bedarf eindecken können. Doch woran erkennt man Reisende? Na klar, daran, dass sie mit dem Auto kommen. Also verfügt man, dass nach 22 Uhr Alkohol nur noch an Leute verkauft werden darf, die mit dem Wagen kommen, weil man von denen vermutet, dass sie Reisende sind. Was mit Radfahrern ist oder mit Leuten, die im Taxi kommen?“ Die lästigen Details sichern dann die Arbeitsplätze von tausenden Bürokraten.

Der sich in zahlreichen Gesetzen entfaltende Aktionismus der Politik führt zu Schwierigkeiten, „die sie anschließend selbst bekämpfen muss, wobei man immer betont, dass die Folgen aber nicht von dieser Politik herrühren. Das ist fast ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Politiker und Bürokraten: Falsche Politik führt zu neuen Problemen, für die man dann weitere Politik und Bürokratie braucht.“

Von dieser Politik profitieren eine Fülle von Beamten, Unternehmen bis hin zu Freiberuflern wie Anwälten oder Prüfern aller Art. „Und diese werden ihre Einkommen, die sie dem Unfug der Politiker verdanken, mit Zähnen und Krallen verteidigen. Politik, so könnte man daher zynisch schlussfolgern, hat eine gesellschaftliche Ordnung zum Ziel, die sich ohne Politiker nicht mehr aufrechterhalten lässt.“

Beck und Prinz zeige „nützliche“ Methoden auf: „Die beste Methode, um als Dieb davonzukommen, ist der entschlossene Ruf ‚Haltet den Dieb!‘ – einfacher kann man gar nicht die Aufmerksamkeit von sich ab- und auf andere hinlenken. “

Die Autoren der „Bullshit Economics“ rechnen nach, was der Deutsche Bundestag eigentlich leistet: „Was kann man in 22 Sitzungswochen abarbeiten? In der vergangenen Legislaturperiode von 2009 bis 2013 waren es 553 Gesetze, die durch den Bundestag gewinkt wurden. Das sind aber nur diejenigen, die es geschafft haben. Die Zahl der insgesamt im Bundestag diskutierten Gesetze ist weitaus höher – insgesamt haben sich Bundestag und Bundesrat in diesen vier Jahren mit 900 Gesetzesvorhaben beschäftigt. Gehen wir einmal von 50 Wochen pro Jahr aus (ein wenig Ferien wollen wir den Parlamentariern gönnen), dann sind das mehr als elf Gesetze pro Woche. Setzen wir nur die 22 Sitzungswochen an, so sind das rund 25 Gesetze, die pro Woche durchs Parlament gewinkt werden.“ Daher folgern Beck und Prinz: „Das riecht nach der Sorte Aktionismus, die wir als ein Element von Bullshit identifiziert haben: Kleines Karo statt großer Würfe, Aktionismus vortäuschen, ein wenig Gesetz hier, ein wenig Verordnung da.“

Die beiden Wirtschaftswissenschaftler rechnen vor, dass sich Bürger leider „rational“ verhalten, wenn sie sich im deutschen Staatsfernsehen lieber von „Rote Rosen“ usw. ablenken lassen, als sich mit lästigen Details politischer Entscheidungen zu befassen. „Ihre Wahlentscheidung mag wohlfundiert sein, aber das Gewicht dieser Stimme liegt bei 0,0000017 Prozent. Lohnt es sich wirklich, dafür so einen Aufwand zu betreiben? Politisches Engagement ist zumindest in dieser Hinsicht alles andere als attraktiv.“

Beck und Prinz skizzieren ein strukturelles Problem einer Demokratie: „Der Aufwand, sich politisch zu informieren, ist unverhältnismäßig hoch, verglichen mit der tatsächlichen Wirkung dieses Engagements – wenn sich Wähler also keine Mühe geben, sich politisch zu informieren, so ist das – leider – durchaus rational.“

So findet sich allerdings immer eine große Koalition von Wählern dafür, „die Reichen“ endlich zur Kasse zu bitten. „Mal ehrlich – wer von uns fühlt sich reich? Reich, das sind immer die anderen, die mit der Oldtimersammlung, den zehn Villen, dem Hubschrauber, der Gemäldesammlung. Aber wir? Nein, wir sind doch nicht reich. Deswegen kann man – auch als Wähler aus der gehobenen Mittelschicht – so entspannt der Forderung zustimmen, die Reichen stärker zu belasten, sollen andere die Zeche zahlen. Wir nicht. Dass man aber, wenn man Masse braucht, dahin muss, wo die Masse ist, ignoriert man lieber. Und wo sitzt die Masse? Genau, dort, wo der Mittelstand ist.“

Beck und Prinz zeigen das Muster auf, wie mit Problemstellungen in der Politik umgegangen wird, z.B.: „Armut in der Dritten Welt? Rasch den anonymen Großkonzernen die Schuld in die Schuhe geschubst, noch eine Internetpetition unterzeichnet und dann wieder zurück zum Alltag. Politiker gaukeln uns eine einfache Welt vor, weil wir eine einfache Welt haben wollen.“

Beck und Prinz stehen mit ihrer Kritik in der Literatur keineswegs alleine. Allerdings handelt es sich bei anderen Autoren – meist nicht mit wirtschaftswissenschaftlicher Vorbildung – oft um „Verschwörungstheoretiker“: „Wichtig dabei ist, dass sie nie konkret werden, Namen nennen oder sonst irgendwie direkt werden – immer schön undifferenziert bleiben, anonyme Mächte oder Instanzen beschuldigen; damit macht man sich unangreifbar.“ Humorvoll zeichnen Beck und Prinz nach, wie diese Autoren ihr Geld verdienen: „Mach dem Leser klar, dass eine Katastrophe bevorsteht, dass Ausbeutung, Elend, Sklaverei und Weltuntergang auf der Agenda stehen – je sensationeller und emotionaler, desto besser.“

Zurecht stellen Beck und Prinz fest, dass diejenigen, die sich als Kritiker herrschender Politik präsentieren, nach einem Feuerwerk der Kritik in der Regel wenig Rat wissen: „Tütensuppenratschläge, die angesichts ihrer Harmlosigkeit und Banalität so gar nicht zu den Katastrophen- und Weltuntergangsszenarien passen, die in den Büchern beschworen werden.“ Beck und Prinz folgern: „Antikapitalismus funktioniert eben auch nach den Spielregeln des Kapitalismus. Es ist geradezu ein zynischer empirischer Beweis für die Funktionsfähigkeit von Märkten, dass die Marktkritik zum wirtschaftlichen Erfolg gerade über diese Märkte führt.“

Beck und Prinz sehen eine Fülle von Ansatzpunkten zur Verbesserung, z.B. weniger Wahlwerbung, mehr Anreize für (Berufs-) Politiker, eine sinnvolle Politik zu machen, weniger Lobbys, mehr direkte Demokratie, mehr Wissen. Mehr dazu in „Bullshit Economics“.

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