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China zwischen strukturellem Aufbruch und konjunktureller Herausforderung

Von Dr. Oliver Everling | 14.Oktober 2025

Der jüngste Zollstreit zwischen den USA und China mag kurzfristig die Schlagzeilen dominieren, doch im Hintergrund vollzieht sich ein tiefergreifender Wandel, der auch für Ratingagenturen von hoher Relevanz ist. Während Analysten der großen Agenturen – von Fitch bis Moody’s – die konjunkturelle Abkühlung und geopolitische Risiken im Blick behalten, sehen Fondsmanager wie Martin Lau, Managing Partner bei FSSA Investment Managers, in China vor allem strukturelle Chancen. „Wir sind überzeugt, dass Chinas Aufwärtstrend im Bereich Innovation strukturell bedingt ist“, schreibt Lau in einem aktuellen Marktkommentar.

Für Ratingagenturen ergibt sich daraus die Aufgabe, konjunkturelle Risiken und langfristige Strukturveränderungen klar zu trennen. Seit dem politischen Kurswechsel im Herbst 2024 hat Peking, wie Lau beschreibt, „eine Reihe gezielter Maßnahmen ergriffen: Neben einer expansiveren Geldpolitik wurden ‚Trade-In‘-Programme zur Konsumförderung aufgelegt, der Abbau von Überkapazitäten adressiert und fiskalische Impulse gesetzt.“ Solche Reformschritte wirken stabilisierend, können aber – aus Sicht der Bonitätsbewertung – nur dann zu einer Verbesserung des Kreditprofils führen, wenn sie dauerhaft Wachstum und Finanzstabilität sichern.

Lau betont die Attraktivität chinesischer Bewertungen: „Derzeit gibt es wohl keinen anderen asiatischen Markt, der in Bezug auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder die Dividendenrendite attraktiver ist als China.“ Für Ratingagenturen ist dies ein Signal, dass Marktpreise bereits viel Pessimismus eingepreist haben – Bonitätsurteile jedoch stets auf Fundamentaldaten und Schuldentragfähigkeit beruhen müssen, nicht auf temporären Bewertungsniveaus.

Trotz der positiven Entwicklungen bleiben laut Lau Risiken bestehen. „Die Wirtschaftstätigkeit hat sich in diesem Jahr zwar stabilisiert, bleibt aber absolut gesehen nach wie vor schwach“, warnt er. Der angeschlagene Immobiliensektor, aggressive Preiskämpfe im E-Commerce und in der Elektromobilität sowie regulatorische Eingriffe der Regierung prägen ein komplexes Umfeld. Ratinganalysten werden daher prüfen, ob staatliche Steuerung langfristig die Wettbewerbsfähigkeit stärkt – oder neue Abhängigkeiten schafft.

Während Fondsmanager wie FSSA gezielt auf innovationsstarke Unternehmen setzen – „Tencent, Netease und Cloud Music gehören zu unseren Favoriten“, so Lau –, müssen Ratingagenturen die Tragfähigkeit dieser Geschäftsmodelle unter verschiedenen Marktszenarien bewerten. Kapitaldisziplin und solide Bilanzen gelten dabei als entscheidende Indikatoren für Stabilität. Lau verweist auf einen positiven Trend: „Sowohl staatliche als auch private Unternehmen erhöhen Dividenden und Aktienrückkäufe – ein Effekt der ‚Value-Up‘-Initiativen.“ Diese Entwicklung signalisiert Reife und könnte mittel- bis langfristig auch auf eine Verbesserung der Unternehmensratings hindeuten, sofern sie mit nachhaltigen Cashflows unterlegt ist.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen aus Ratingperspektive die Innovationsbranchen. „Wir sind der Meinung, dass chinesische Technologie nicht mehr als minderwertig gegenüber westlicher Technologie angesehen werden kann“, betont Lau. Unternehmen wie BYD, CATL, Midea Group oder Shenzhen Mindray zeigen, dass China zunehmend eigenständig agiert und seine globale Wettbewerbsposition ausbaut. Für Ratingagenturen stellt dies einen strukturellen Stabilisierungsfaktor dar, der sich in Zukunft stärker in Kreditbewertungen widerspiegeln könnte.

FSSA und Ratingagenturen verfolgen damit unterschiedliche, aber komplementäre Perspektiven: Während FSSA gezielt Chancen sucht und auf langfristiges Gewinnwachstum setzt, liegt der Fokus der Ratingagenturen auf der nachhaltigen Kreditqualität und der Fähigkeit, wirtschaftliche Schocks zu überstehen.

Lau fasst die Lage treffend zusammen: „Wer auf Fundamentaldaten und nachhaltige Geschäftsmodelle setzt, dürfte auch künftig von Chinas Wachstumspotenzial profitieren – sollte jedoch die bestehenden Risiken nicht aus dem Blick verlieren.“ Für Ratingagenturen bedeutet dies, diese Balance objektiv zu messen – zwischen strukturellem Aufbruch und konjunktureller Unsicherheit.

Themen: Aktienrating, Anleiherating, Länderrating | Kommentare deaktiviert für China zwischen strukturellem Aufbruch und konjunktureller Herausforderung

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