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Finanzexperte im Aufsichtsrat

Von Dr. Oliver Everling | 28.April 2013

Der Paragraph 100 Absatz 5 des Aktiengesetzes (AktG) liest sich wie ein Treppenwitz: „Bei Gesellschaften im Sinn des § 264d des Handelsgesetzbuchs muss mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen.“ Natürlich ist es ein geistreicher Gedanke, dass diejenigen, die nach § 111 (1) AktG die Geschäftsführung zu überwachen haben, auch über den notwendigen Sachverstand verfügen sollen. Zu den Aufgaben und Rechten des Aufsichtsrats gehört nach § 111 (2) AktG ja auch, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, einzusehen und zu prüfen. Wie soll dies geschehen, wenn dazu kein Sachverstand vorhanden ist?

Der § 100 (5) AktG lässt ahnen, wie es um kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften bestellt ist. Theoretisch sollten die Eigentümer einer Gesellschaft ein Eigeninteresse daran haben, nur solche Personen zu Mitgliedern des Aufsichtsrats zu bestellen, die auch zur Wahrnehmung dieser Aufgaben gewisse Mindestqualifikationen mitbringen. Nach Erkenntnissen des Gesetzgebers ist dies aber offenbar nicht immer der Fall. Im „Club“ der kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften sichern sich oft solche Personen Einflussmöglichkeiten, die keinen Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung und Abschlussprüfung erworben haben, aber ihre Eigeninteressen erfolgreich zu verfolgen wissen.

Ob die neue Regelung nach § 100 (5) AktG ohne Rating zum gewünschten Erfolg führt, bleibt fraglich. Wenn nicht unabhängige Ratingagenturen durch Credit Ratings, Corporate Governance Ratings oder durch noch speziellere Methoden und Ratingansätze gezielt die Qualifikationen des Managements hinterfragen, werden weiterhin Wertpapiere von Kapitalgesellschaften im Handel sein, für die der Anleger kaum Informationen über die Qualität der Aufsichtsräte erhält. Eine Kapitalgesellschaft wird nämlich im Kapitalverkehr dann als „kapitalmarktorientiert“ definiert, wenn sie einen organisierten Markt durch von ihr ausgegebene Wertpapiere in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat.

Wenn man den Kapitalverkehr mit dem Straßenverkehr vergleicht, fordert § 100 (5) AktG, dass in jedem Personenkraftwagen mindestens eine Person sein muss, die zur Lektüre der Straßenschilder qualifiziert ist. Da dies nach § 100 (5) AktG nicht notwendigerweise der Fahrer des Wagens sein muss, kann der sachverständige Mitfahrer auch auf dem Rücksitz Platz nehmen. Ob daher kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften auch ohne den äußeren Druck eines kontinuierlichen, vergleichenden und transparenten Ratings die notwendigen Impulse erhalten, für Sachverstand zu sorgen, bleibt fraglich.

Das Buch von Christian Orth, Rudolf X. Ruter und Bernd Schichold (Hrsg.) mit dem Titel „Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat: Überwachungstätigkeit, Qualifikation, Besetzung, Vergütung, Haftung“ (Handbuch 2013. 396 S.: Mit 21 s/w-Abbildungen und 16 Tabellen. Gebunden, Schäffer-Poeschel, ISBN 978-3-7910-3251-1) macht die Problematik des Themas deutlich. Die Autorengemeinschaft umfasst bekannte und aktive Mitglieder von Aufsichtsräten und Vorständen, Wirtschaftsjuristen sowie Vertreter aus den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Wissenschaft, Unternehmens- und Personalberatung.

Das praxisorientierte Werk ist jedem Ratinganalysten zu empfehlen, da es aktuelle Fragestellungen zur Corporate Governance aus der Sicht des Finanzexperten im Aufsichtsorgan aufgreift. Behandelt werden der regulatorische Rahmen, Probleme der Qualitätssicherung, Performance- und Haftungsfragen, die Kommunikation und die Informationspolitik des Aufsichtsrats sowie seiner Ausschüsse, die fachlichen und persönlichen Anforderungen an den Finanzexperten, seine Entwicklung hin zum Berufsaufsichtsrat und seine Beziehungen zum Finanzvorstand, der Internen Revision und zum Abschlussprüfer. Auch wird auf die bestehende Fach- und Verbandsarbeit abgestellt. Ein besonderer Beitrag widmet sich den Erwartungen der Enforcement-Stellen an den Finanzexperten.

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