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Verkehrsregeln ohne TÜV und Führerschein

Von Dr. Oliver Everling | 8.Oktober 2008

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück legt beim G7-Treffen in Washington acht „Verkehrsregeln“ für die Finanzmärkte vor. Mit seinen Vorschlägen sorgt der Minister – um in seiner Terminologie zu bleiben – zwar für den Verbot von Überholspuren oder die Einrichtung von Tempolimits, geht aber am Kern des Problems vorbei, für TÜV-geprüfte Fahrzeuge zu sorgen, die nur bei Nachweis eines Führerscheins gelenkt werden dürfen.

Ein Grund für die Schärfe der Finanzkrise sei, dass die beachtliche Innovationskraft der Finanzindustrie auch dafür genutzt wurde, Risiken aus den Bilanzen der Finanzinstitute auszulagern und damit die aufsichtlichen Kapitalanforderungen zu umgehen. Banken sollen künftig nur Risiken eingehen können, die sie mit ausreichend Eigenkapital unterlegt und in der Bilanz aufgeführt haben. Nur eine solche Transparenz schütze vor vergleichbaren Krisen wie der gegenwärtigen und einem drohenden Vertrauensverlust, der die Grundlagen der Finanzindustrie selbst in Frage stellt.

Mit dem Ausweis von Finanzinnovationen in der Bilanz ist aber die Höhe der Risiken nicht bestimmt. Gleich, ob in der Bilanz ausgewiesen oder nicht, die eigentliche Herausforderung liegt in der angemessenen Einschätzung der Risiken, die naturgemäß durch keinen in Euro oder Dollar ausgedrückten Ziffernwert in einer Bilanz deutlich werden. Zielführender ist es, unabhängige Ratings zu fördern, die für eine zutreffendere Einschätzung der Risikoklassen sorgen.

Die massive Liquiditätskrise und das Einfrieren der Interbankenmärkte sind nach Meinung von Steinbrück das deutlichste Merkmal der gegenwärtigen Bankenkrise. Der Baseler Ausschuss habe bereits das Vorhalten von Liquiditätspuffern gefordert. Jetzt gelte es, diese zu quantifizieren und möglichst rasch auf internationaler Ebene umzusetzen. Seine geforderten Puffer verursachen zusätzliche Liquiditätskosten, die letztlich an Bankkunden weitergegeben werden. Sie belasten daher die Realwirtschaft. Zielführender wäre es, die Bemühungen, zu stärken, die Voraussetzungen zu verbessern, dass durch unabhängige Agenturen Liquiditätsgrade besser eingeschätzt werden können.

Nach Steinbrück ist es Zeit für internationale Standards für eine stärkere persönliche Haftung der Finanzmarktakteure. Diese müsse sowohl der unternehmerischen als auch der gesellschaftlichen Verantwortung der Finanzmarktakteure Rechnung tragen. Wenn durch leistungsfähigere, externe Ratings nicht auch die Entwicklungen und Ausfallgefährdungen der Gesellschaften deutlicher gemacht werden, kann persönliche Haftung der Manager erst recht zur Steigerung moralischer Risiken führen: Droht einer Bank die Schieflage, bleibt dem Manager nur noch, „aufs Ganze“ zu gehen, um sich schadlos zu halten. Wichtiger wäre es daher, mehr Anreize zu geben, für gute Ratings zu sorgen.

„Die aktuellen Anreiz- und Vergütungssysteme müssen auf den Prüfstand. Finanzdienstleistungen leisten einen wesentlichen Beitrag zu Effizienz und Wertschöpfung, aber in der atemberaubende Entwicklung von Renditen in den letzten Jahren äußert sich auch eine zunehmend Abkopplung – von der Realwirtschaft und von den kumulierten Risiken, die im Tausch für diese Renditen tatsächlich in kauf genommen wurden“, so der Bundesminister. Auch hier dürfte es kaum Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Systemen bestehen, die Anreize und Vergütungen den Risiken gegenüberstellen. Zentrales Problem ist aber die Beurteilung der Risiken – dafür bedarf es besserer Ratingsysteme und -agenturen.

Steinbrücks „Verbot schädlicher Leerverkäufe“ schließt die Tür zur Arbitragefreiheit der Märkte. Zwar ist nicht auszuschließen, dass „zu gefährliche Fahrzeuge“ in den Verkehr geraten, besser wäre aber ein System der Risikoklassifizierung bzw. des Ratings, so dass nicht eines Tages nur noch vermeintlich sichere „Trabbis“ den Verkehr beherrschen und Innovationen durch Verbote der Weg versperrt wird.

Die Trennung von Kreditvergabeentscheidung und Risikoverantwortung hat sich in der gegenwärtigen Krise als fatal herausgestellt. Steinbrück will daher Verbote, so dass Kreditrisiken, die Banken eingehen, von diesen nicht mehr zu 100% verbrieft und damit weitergereicht werden können. Gleich, welche Einschränkung dem Minister vorschwebt – ob 90 %, 80 % oder gar noch weniger -, auch hier bringen Verbote keinen besseren Durchblick in der Beurteilung der Risiken, die schließlich am Markt platziert werden. Gerade in diesem Feld spielen Ratings und die Ratingagenturen eine zentrale Rolle, so dass es auf die Stärkung der Ratingkultur und des Wettbewerbs unter den Ratingagenturen ankommt.

„Aus meiner Sicht,“ so Steinbrück, „sollte das veräußernde Institut verpflichtet werden, einen bestimmten Anteil der eingegangenen Kreditrisiken in den eigenen Büchern zu behalten.“ Über einen angemessenen Prozentsatz, der einerseits hoch genug ist, um ein risikobewusstes Verhalten sicher zu stellen, andererseits den Banken aber auch den ökonomisch erwünschten zusätzlichen Handlungsspielraum in der Kreditvergabe einräumt, will er auf G7 Ebene sprechen. Die Angemessenheit eines solchen Prozentsatzes kann aber gar nicht auf G7 Ebene diskutiert werden, da die Angemessenheit nach den im Einzelfall eingegangenen Risiken, also etwa den Ratings, beurteilt werden müsste. Ansonsten führt die Regel zu zusätzlichen Belastungen und Einschränkungen ohne Anspornung zur besseren Einschätzung der Risiken. Steinbrück differenziert nicht nach Risiken, sondern fordert pauschal: „Aus meiner Sicht wäre ein Selbstbehalt bis zu 20% eine denkbare Größe.“

Leider kommt der Bundesminister nicht auf den Gedanken, von vornherein nur „TÜV-geprüfte“ Fahrzeuge in den Verkehr zu lassen (um in seinem Bild zu sprechen) und dafür zu sorgen, dass jeder Verkehrsteilnehmer über einen Führerschein verfügt. Jeder, der Finanzinstrumente in den Verkehr bringt, gefährdet potentiell sich selbst und andere. Daher müssen sowohl für Emittenten als auch Emissionen durchgängig Ratings gefordert werden, die durch unabhängige und überwachte Ratingagenturen erteilt werden. Für mehr Wettbewerb und Meinungspluralität im Rating zu sorgen, muss auf die Agenda des Ministers.

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