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Boomende Nahtstelle zwischen Europa und Asien

Von Dr. Oliver Everling | 5.November 2012

In der Türkei haben Reformen sowohl auf der Angebotsseite, als auch auf der Nachfrageseite Wirkung gezeigt, berichtet Dr. Georgi Tsertsvadze von der Feri EuroRating Services AG aus Bad Homburg. Tsertsvadze sprach auf der Feri Herbsttagung am Frankfurter Flughafen zum Thema „Türkei – Aufstrebendes Land an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien“.

Auf der Angebotsseite sind die strukturellen Reformen (Bankenrettungspaket, Konsolidierung des Bankensektors, Rekapitalisierung der Banken, Verschärfung der Bankenaufischt), die Geldpolitik (Flexibilisierung des Wechselkurses, Unabhängigkeit der Zentralbank, Einführung eines Inflationsziels), Fiskalpolitik (rigorose Verringerung des Staatsdefizits und des Schuldenstands) sowie Privatisierungen und Straffung des öffentlichen Sektors zu nennen.

Wirkung zeigen aber auch das starke Bevölkerungswachstum, der Nachholbedarf sowie das schnellere Wachstum der Nachbarländer nachfrageseitig. Die Demographie ist für die Wirtschaftskraft des Landes insgesamt der wichtigste Wachstumstreiber. Noch 1990 rangierte die Türkei mit 54,1 Mio. Einwohnern auf Platz 18, 2011 dagegen mit 73,6 Mio. auf Platz 14, vor Thailand, Frankreich, Großbritannien und Italien. Auch beim BIP holt die Türkei absolut gesehen auf, nämlich von Platz 23 1995 auf Platz 18, so dass die türkische Wirtschaft inzwischen größer ist als die der Schweiz, Schweden, Belgien, Polen, Norwegen, Taiwan, Argentinien oder Österreich. Allerdings bleibt das BIP pro Kopf auf Platz 41 abgeschlagen.

Der Aufschwung steht in der Türkei nach Angaben von Tsertsvadze auf vielen Beinen, insbesondere ist das Baugewerbe ein Wachstumstreiber, denn die Zunahme der Bevölkerung und die Migration im Inland führt zu einer entsprechenden Nachfrage. Außerdem kursiert auch in der Türkei die Angst vor der Inflation und nachfrageseitiger Nachholbedarf. Angebotsseitig geht es um den Ausbau der Infrastruktur, die Reform des Hypothekenwesens, die Liberalisierung für Ausländer und den Abriss illegaler Bauten.

„In der Türkei steckt die Finanzierung des Wohnungsbaus durch die Banken noch in den Kinderschuhen“, sagt Tsertsvadze. Stellt man die Wohnungsbaukredite dem Bruttoinlandsprodukt gegenüber, zeigt sich die Differenz zu Ländern wie Großbritannien (UK), Spanien oder auch Deutschland, wo die Kennzahl bis zu über 80 % erreiche (UK), in der Türkei dagegen nicht einmal einen zweistelligen Prozentsatz ausmacht.

Der Tourismus stütze den Aufschwung und ermögliche steigende Überschüsse im Dienstleistungshandel. Eine dynamische Entwicklung sei aber auch im Verarbeitenden Gewerbe zu verzeichnen. „Auf die Branchen Baugewerbe, Tourismus, Fahrzeugbau und Metallindustrie entfällt ein bedeutender Teil des Wachstums“, berichtet Tsertsvadze.

Tsertsvadze fasst seine Analyse mit einem Blick auf die nach seiner Meinung „konzentrierten und richtig durchgeführten Reformen sowie wachsende Integration in den Welthandel“ zusammen und konstatiert ein sehr erfolgreiches Jahrzehnt. „Die Abhängigkeit von Europa ist nach wie vor groß, wenn auch der Nahe Osten und Zentralasien als Exportziele stark an Bedeutung gewonnen haben.“

Trotz ökonomischer Erfolge und dem Willen der Regierung, am Erfolgskurs weiter festzuhalten („vision 2023″), bleiben zum Teil erhebliche Risiken bestehen, die die Feri EuroRating Services im Blick hält. Die starke Ausweitung der Exporte in den Nahen Osten sei aufgrund der Unruhen in der Region risikobehaftet und wird in instabilen Absatzmärkten erzielt. „Der bestehende Technologiemix“, legt Tsertsvadze auseinander, „begrenzt den Spielraum für Einkommenszuwächse und Exportwachstum. Vor dem Hintergrund der Wahlen 2014 könnten kurzfristige Ziele bei der Geld- und Fiskalpolitik an Bedeutung gewinnen.“

Themen: Länderrating | Kein Kommentar »

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