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Die große Geldschmelze

Von Dr. Oliver Everling | 5.April 2015

Selten kann eine Buchempfehlung so deutlich ausgesprochen werden wie bei diesem Titel: „Die große Geldschmelze: Wie Politik und Notenbanken unser Geld ruinieren“. Das Buch ist nicht nur ein Ritterschlag für die Autoren Dr. Hanno Beck und Prof. Dr. Aloys Prinz von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, sondern auch für die Jury des Deutschen Finanzbuchpreis. Die Jury stellte mit der Wahl dieses Buches für den Deutschen Finanzbuchpreis nicht nur zum fünften Mal ihre Kompetenz unter Beweis, Bücher auszuzeichnen, die Privatanlegern einen praktischen Mehrwert bei allen Fragen rund um die Geldanlage, den Vermögensaufbau, die Wertpapierauswahl und die Zusammensetzung des eigenen Depots bieten, sondern auch ihren Mut, den Scheinwerfer auf ein für Politik und Banken unangenehmes Thema zu schwenken.

Obwohl sich am Thema der Finanzkrise schon viele Autoren versucht haben, kommt erst mit diesem Buch eine sorgfältig recherchierte Aufarbeitung in den Buchhandel, die die Gratwanderung zwischen Allgemeinverständlichkeit auf der einen Seite und fachlicher Unangreifbarkeit auf der anderen Seite überzeugend bewältigt. „Dieses Buch ist der Versuch,“ schreiben die Beck und Prinz bescheiden, „ohne Fachchinesisch, Imponiervokabular und Verschwörungstheorien zu erklären, was in den vergangenen Jahren passiert ist und welche Folgen das haben könnte.“

Der Titel ist nicht nur als Ratgeber für irritierte Anleger, sondern auch als unterhaltsame Lektüre hervorragend geschrieben. „Die Notenbanken stehen vor dem, was wir“, schreiben Beck und Prinz, „das Balu-Dilemma nennen: Hat man den Tiger erst einmal beim Schwanz gepackt (also die Finanzmärkte mit billigem Geld gerettet), ist es extrem schwierig, den Tiger wieder loszulassen (die überschüssige Geldmenge wieder einzusammeln), ohne dabei zu Schaden zu kommen.“

„Angetrieben von einem Prozess namens Geldschöpfung, für Normalsterbliche so rätselhaft wie die Kernfusion im Inneren eines Sterns, haben sie sich in den vergangenen Jahren zu Roten Riesen unseres Wirtschaftssystems aufgebläht. Wie sehr,“ machen die Autoren an Beispielen klar, „kann man anhand der Summen sehen, mit denen sie jonglieren: Ob die Europäische oder britische Zentralbank oder das amerikanische Notenbanksystem, das Federal Reserve System (kurz Fed) – sie alle haben in den vergangenen Jahren innerhalb kürzester Zeit mit unglaublichen Mengen an neu geschaffenem Geld um sich geworfen und damit ihre finanzielle Leuchtkraft dramatisch erhöht.“

Verschlimmert werde das Ganze durch die Finanzmärkte, die das Geld bereitstellen, das die Politik durchbringt – „sie haben die Spendierhosen der Politik ausgepolstert und sich so von der Politik abhängig gemacht. Zahlt eine Regierung ihre Schulden nicht zurück, wackeln weltweit die Bankentürme. Das gilt auch umgekehrt“, warnen Beck und Prinz: „Wackeln Banken, wird die Politik aktiv, um diese zu retten, mit der Folge, dass die Zahlungsfähigkeit des Staates selbst in Gefahr gerät – ein Teufelskreis.“

„Über Jahrhunderte haben Alchemisten, Betrüger, Scharlatane und Forscher versucht, Gold herzustellen – vergebens. Es ist diese Vergeblichkeit, die Gold so wertvoll macht – es ist selten und nicht beliebig vermehrbar. Alle Stoffe, die rar, nicht beliebig vermehrbar und speicherbar sind, können als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel, als Geld, dienen.“ Nur scheinbar haben die digitalen Codes, die heute Geld definieren, einen Menschheitstraum wahr gemacht. „Unser Geld ist nicht durch Gold gedeckt, sondern durch das Versprechen, dass ihm langfristig ein entsprechender Berg von Gütern und Dienstleistungen, das Sozialprodukt, gegenübersteht. Damit ist klar, wer den Wert unseres Geldes bestimmt: Alle diejenigen, die dieses Sozialprodukt herstellen.“

Wer über die Darstellungen der Autoren länger nachdenkt, dem wird klar, dass die Krisen im staatlichen Zwangsgeldmonopol wurzeln: „Der Staat nötigt die Notenbank, ihm gegen Wertpapiere, die er selbst ausstellt, Geld auszuhändigen, und dann zwingt er seine Bürger, dieses Geld als Zahlungsmittel zu akzeptieren.“

Bei der Europäischen Zentralbank heiße Rating „BBB– statt A–“ die Devise. Früher bekamen europäische Geschäftsbanken nur Zentralbankgeld, wenn sie Wertpapiere bester Bonität einreichten. „Im Fachchinesisch der Notenbanker sprach man davon, dass diese Sicherheiten von den Ratingagenturen, einer Art Finanzmarkt-Schufa, welche die Güte von Krediten benotet, mindestens mit der Note A– bewertet sein müssen – das entspricht etwa die Schulnote Zwei plus.“ Beck und Prinz skizzieren wie der Ramsch, der jetzt in den Bilanzen der EZB steht, und das Geld, das die EZB dafür im Gegenzug herausgegeben hat, nun durch das europäische Finanzsystem vagabundiert. „Hier wurde aus Schrott Geld gemacht, im schlimmsten Fall hat die Zentralbank Geld ausgegeben und im Gegenzug nur wertlose Kredite dafür bekommen.“

Diesem Geld steht kein Sozialprodukt gegenüber, mit bekannten Folgen, warnen die Autoren: ungedeckte Geldscheine, gebrochene Versprechen. „Die Garantien der Kundengelder der Banken durch die Regierung sind rein psychologischer Natur; im Ernstfall reichen die Mittel des Staates nicht aus,“ rechnen Beck und Prinz vor, „um die Einlagen des Bankensystems zu garantieren.“

Beck und Prinz illustrieren, warum auch die heutigen Talkshows populäre Wunschvorstellung des „Vollgeldes“ in die Irre führt. „Die entscheidende Frage in dieser Debatte ist, ob die Notenbank die Geld- und Kreditmenge einfach so bestimmen kann oder ob deren Höhe nicht letztlich durch die Kreditnachfrage der Kunden bestimmt wird – im letzteren Fall funktioniert die Sache mit dem Vollgeld dann auch nicht.“ In der Praxis kann ein Vollgeldsystem nur mit einer Zentralverwaltung à la DDR umgesetzt werden.

Die Autoren machen klar, dass die Ursachen der Krise nicht bei amerikanischen Immobilien zu finden sind. So zeigen sie auf, dass die Notenbanken weltweit schon ihren Anteil an der DotCom-, Internet- und Technologieblase Ende der 1990er Jahre sowie an weiteren Fehlentwicklungen hatten. „In den Augen der Öffentlichkeit standen sie unbeteiligt an der Seitenlinie und schauten dem Tollhaustreiben der Märkte und Anleger zu – doch ganz so unbeteiligt waren sie nicht, waren sie es doch letztlich, die diese Finanzmarkteskapaden ermöglichten.“ Die Notenbanken hatten „die Party an den Aktienmärkten finanziert – sie haben die Bowle-Schüssel für die Party bereitgestellt.“

Die Globalisierung und die Wirtschaftsliberalisierung weltweit trugen dazu bei, dass sich Geldvermehrung nicht in Güterpreisinflationen übersetzte. „Zunächst einmal dämpfte der Aufstieg Chinas zur Handelsmacht die Preisentwicklung – Waren kamen billiger auf die Weltmärkte, die Konsumenten bekamen für mehr Geld mehr Quantität.“ Ohne Privatisierungen wären die politischen Fehler wohl noch viel früher für jeden Bürger spürbar gewesen: „Nach der Privatisierung der Telekom und nach der Öffnung des Marktes für private Wettbewerber sanken die Preise für Telekommunikation drastisch – das entlastete den Geldbeutel der Verbraucher.“

Die Erfolge von Liberalisierungsmaßnahmen überdeckten lange die Schäden aus der Umsetzung einer weltweit „herrschenden Lehre“: „Längst ist Keynes’ General Theory ein Jahrhundertwerk, und längst hängt mehr oder weniger jeder Politiker an den Ideen des verstorbenen Jahrhundertökonomen – auch wenn man Zweifel daran anmelden muss, dass Politiker Keynes’ Ideen richtig verstanden haben.“ Im Kern hätten die Politiker nur verstanden, dass sie im Namen der Rettung der Wirtschaft mehr Geld ausgeben dürfen als sie einnehmen – „und was würden Politiker lieber tun?“, fragen Beck und Prinz.

Keynes’ Idee lebe davon, dass der Staat bei einem Boom das Gegenteil dessen tut, was er in einer Krise macht: Er zahlt seine Schulden zurück, nimmt einen Teil seiner Nachfrage aus dem Markt, verhindert damit eine Überhitzung der Wirtschaft und legt sich zugleich ein Polster für die nächste Krise zu. „Natürlich haben Politiker Letzteres nie gemacht – sie haben immer nur Geld ausgegeben und sich verschuldet“, stellen die Autoren nüchtern fest.

Der Leser des Buches lernt die zahlreichen Blüten kennen, die durch Staatseingriffe getrieben wurden: „Nichts könnte diesen zirkulären Wahnsinn besser beschreiben als die sogenannten Ninja-Loans, die gegen Ende dieser Blase vergeben wurden: Ninja, das steht als Abkürzung für »No income, no job, no asset« – kein Einkommen, keinen Job, kein Vermögen – und dennoch bekamen diese Ninjas Kredit von der Bank, um sich ein Häuschen zu finanzieren.“ Das sei „das Ärgerliche an keynesianischen Konjunkturprogrammen: Hier geht es nur darum, Geld auszugeben, über die Sinnhaftigkeit dieser Ausgaben wird kaum nachgedacht.“

So floss nach Einführung des Euros, Wegfall der Wechselkursrisiken und Angleichung der Zinsen auch Kapital aus ganz Europa in die Südstaaten – »Konvergenz-Trade« oder »Konvergenz-Spekulation« nannte man das, nur dass – im Gegensatz zum heutigen Kapitalmarkt-Bashing – jeder diese Form der Spekulation gut fand, „obwohl hier letztlich Kapitalmärkte eine Wette darauf abschlossen, dass die Europäische Union Pleitestaaten nicht hängen lassen wird.“

Beck und Prinz machen den Leser mit den quantitativen und qualitativen Spielarten des „Easings“ vertraut. Qualitative Easing besteht z.B. vereinfacht gesagt darin, „dass die Qualität der Kredite, die unser Geld besichern, immer schlechter wird. Man muss kein ausgesprochener Skeptiker sein,“ fügen Beck und Prinz hinzu, „um das problematisch zu finden.“

Dieser Politik wegen schwellen Vermögenspreise derzeit an und senken die realen Erträge von Sachwertinvestitionen, die Ersparnisse der Bürger werden auf diesem Weg noch weiter geschröpft. Zusammen mit den Maßnahmen der finanziellen Repression zeigen sich die Verlierer der kombinierten Finanz-, Euro- und Schuldenkrise eindeutig: „Es sind die Sparer. Die Erträge ihrer Ersparnisse werden durch finanzielle Repression und die Vermögenspreisinflation teilweise unter den Nullmeridian gedrückt, und wenn sie Pech haben, erwischen sie auch noch einen ungünstigen Moment zum Auflösen ihrer Ersparnisse und verlieren damit Vermögenssubstanz.“

Beck und Prinz begnügen sich in ihrem Buch nicht mit der Aufzählung von Missständen und Irrtümern, sondern zeigen auch den Weg in die Zukunft auf. „Die unheilvolle Allianz zwischen Banken und Staaten, die sich anschaulich in den Regelungen zur Bankenregulierung zeigen, muss aufgekündigt werden. Solange Banken Staaten finanzieren, die dann die Banken retten, wenn sie pleitegehen, und solange die Notenbanken das finanzieren, wird das Schulden-Perpetuum-mobile weiterlaufen, wird die Notenbank weiter gezwungen sein, Geldscheine zu drucken, werden die Bürger für diese Allianz aufkommen müssen.“ Es geht ihnen um die Prinzipien der Wirtschaft: Wer bestellt, bezahlt. Politiker werden gewählt, sie „bestellen“, bezahlen aber nicht: „Wer anderer Leute Geld ausgibt, entdeckt an sich freizügige Adern, vor allem dann, wenn er das Geld anderer Leute auch noch für andere Leute ausgibt – warum sich zurückhalten?“ Ihre Verbündeten sind dabei Banker: „Geht es gut, verdienst du an uns, geht es schief, kommt der Steuerzahler dafür auf. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.“ Damit haben Beck und Prinz die wahre Ursache des gegenwärtigen Dilemmas gefunden: „Es gab in den vergangenen Jahren zu wenig Pleiten. Das klingt zunächst einmal merkwürdig, wenn nicht sogar zynisch, schließlich haben wir jede Menge Abstürze gesehen – Griechenland, Island, Zypern, Lehman, Hypo Real Estate – und jetzt sollen wir noch mehr Pleiten brauchen?“

Risiko müsse wieder einen Preis bekommen, so ihre Forderung. „Wer sich auf ein riskantes Investment einlässt – und jedes Investment ist mit Risiko behaftet –, muss dieses Risiko auch selbst tragen, schließlich streicht er ja auch die Gewinne ein, wenn es gut geht. Mit anderen Worten: Die Welt braucht den Mut zur Pleite, wenn nötig im ganz großen Stil.“ Eine Vollkaskoversicherung für verschwenderische Staaten sei damit nicht vereinbar und werde zum Milliardengrab für alle Staaten, die auf solide Finanzen achten wollen. Die Autoren reden daher dem Modell der Solidität das Wort, das aus drei ineinandergreifenden, sich gegenseitig ergänzenden Elementen besteht: eine funktionierende Bankenunion, die Haftung der Eigentümer und Gläubiger der Finanzinstitute und Regeln für geordnete Staatsinsolvenz.

„Solange die Investoren nicht den Schmerz des Verlustes fürchten und fühlen müssen, werden wir immer wieder teure, steuerfinanzierte Rettungsaktionen bestaunen können. Sofern demgegenüber Investoren die Bonität der Institutionen prüfen, werden sie auch Wert darauf legen,“ folgern Beck und Prinz, „dass diese solide wirtschaften – und damit automatisch dazu beitragen, dass unser Bankensystem sicherer wird.“

Während in vielen anderen Ratgebern zum Thema Geld die Segnungen der Sachwertanlage oder des Goldes angepriesen werden, um dem angeblich bevorstehenden Zusammenbruch zu entkommen, legen Beck und Prinz nüchtern dar, welches die realistischen Optionen des Anlegers – je nach Lebensalter usw. – heute sind. Somit schließt das Buch mit einer Reihe praktisch umsetzbarer Regeln, die es für jeden Sparer lesenswert machen: „Die große Geldschmelze: Wie Politik und Notenbanken unser Geld ruinieren“.

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