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Die großen Crashs 1929 und 2008

Von Dr. Oliver Everling | 8.Juni 2015

Die Finanzkrise von 2008 liegt schon mehr als ein halbes Jahrzehnt zurück. Die Krise und ihre Ursachen sind nicht überwunden. Das zeigt schon die Tatsache, dass Staaten und Notenbanken zäh an ihrer Krisenbewältigungsstrategie festhalten. Die Weltwirtschaft wächst nur langsam, nur das Fluten der Märkte mit Liquidität und massive Konjunkturprogrammen scheinen eine Depression verhindert zu haben.

Barry Eichengreen ist Professor für Ökonomie und Politologie an der University of California, Berkeley, und einer der renommiertesten Analytiker der Weltwirtschaft. In seinem monumentalen Epos „Die großen Crashs 1929 und 2008: Warum sich Geschichte wiederholt“ aus dem Finanzbuch Verlag will er zeigen, welche Schlussfolgerungen aus der Geschichte der Großen Depressionen gezogen werden müssen, ehe dieselben Fehler erneut gemacht werden. „Kein anderes Werk erklärt die Geschichte der zwei größten ökonomischen Krisen unseres Zeitalters umfassender und gibt weitreichendere Antworten“, so der Anspruch des Buches.

Eichengreen kommt zunächst auf Klischees zu sprechen, die heute zweifellos die Medien beherrschen: Während man 1929 noch nicht nach Keynes Geld gespritzt und durch Schulden für weitere Staatsausgaben gesorgt habe, sei diesmal die richtig gehandelt worden. „Diese nette Geschichte ist leider zu einfach. Sie lässt sich nicht mit der Tatsache in Einklang bringen,“ warnt Eichengreen, „dass man die Risiken nicht antizipiert hat.“ Bei einem Besuch der London School of Economics 2008 habe daher Königin Elisabeth II. eine später berühmt gewordene Frage zurecht gestellt: „Warum hat das niemand kommen sehen?“

„Es mangelt ja nicht an Parallelen. In den 1920er-Jahren gab es in Florida einen Grundstücksboom und auch einen Boom im Bereich der Gewerbeimmobilien im Nordosten und im mittleren Norden der USA,“ analysiert Eichengreen, „die eine starke Ähnlichkeit mit den enormen Preisanstiegen der Immobilien in den USA, Irland und Spanien im frühen 21. Jahrhundert aufwiesen. Es gab einen starken Anstieg der Aktienbewertungen bei Unternehmen aus dem Bereich der Informationstechnologie; Radio Corporation of America (RCA) in den 1920er-Jahren, Apple und Google 80 Jahre später.“

Seine Analyse der Einlagensicherung z.B. zeigt, dass mit einem solchen staatlichen System nur ein partieller Schutz erreicht werden kann, der mit Blick auf die Stabilität des Finanzsystems insgesamt früher oder später aber dann versagt, wenn ein Run bei Finanzprodukten erfolgt, die nicht Gegenstand der Einlagensicherung sind. Eine staatliche Garantie für jede Art von Finanzforderung kann es nicht geben, denn sie käme nicht nur einer restlosen Verstaatlichung aller Banken, sondern auch dem Übergang in die Zwänge einer Zentralverwaltungswirtschaft gleich.

Eichengreen kommt auf einige Kernprobleme des amerikanischen Finanzsektors zu sprechen, wie etwa der dominanten Rolle seiner Großbanken. „Aber die Großbanken wurden nicht zerschlagen. Das Problem der Finanzunternehmen, die zu groß waren, um scheitern zu können, wurde nicht angepackt.“ Es sei z.B. unklar, ob die den Banken auferlegten „Testamente und Liquidationsprozeduren angesichts der Furcht, die Märkte zu beunruhigen, tatsächlich angewendet werden. Was Institute betrifft, die zu groß sind, um zu scheitern, ist bislang wenig Bedeutendes geschehen. Dass eine weitere große Depression verhindert wurde, schwächte die Argumente für radikalere Veränderungen und erlaubte den Banken eine Neuaufstellung.“

Eichengreen zeigt Verständnis für die mangelnde Krisenbewältigung in Europa. „In den USA erforderte eine Einigung über Reformen ein gewisses Einverständnis zwischen zwei Parteien. Aber für Fortschritte in der EU war eine Einigung zwischen 27 Regierungen erforderlich.“

Gemessen an seinem Umfang von 560 Seiten liefert das Buch von Eichengreen die wohl umfassendste Faktensammlung zu den Krisen von 1929 und 2008. Mit großer Akribie kompiliert Eichengreen eine Vielzahl von Fakten und Misständen, die zum Teil allerdings nicht unmittelbar mit dem Phänomen „Finanzkrise“ zu tun haben.

So bemängelt Eichengreen beispielweise, dass Goldman Sachs immer noch CDOs verkauft habe, die durch Hypothekenpools abgesichert waren, und dabei hohe Gebühren einstrich, während sie in ihren Tradingoperationen dagegen wettete. „Die eigenen Positionen der Bank waren geborgt und wurden verkauft,“ schreibt Eichengreen, „weil man mit sinkenden Preisen rechnete.“ Das zeigte, so sein vorschneller Schluss: „Die Bank war nicht der Meinung, dass die Seniortranchen dieser CDOs ihr AAA-Rating verdienten. Aber wenn das so war, fühlte sich Goldman als Anlageberater nicht dazu verpflichtet, die eigenen Kunden zu warnen, ob es sich dabei um die IKB Deutsche Industriebank, den australischen Hedgefonds Basis Yield Alpha (Master) oder Bear Stearns Asset Management handelte.“ Diese Kontrahenten, zitiert Eichengreen Goldmans Argument, waren „erfahrene Investoren“.

Eichengreen erkennt hier nicht, dass im Verhalten von Goldman Sachs – zumindest soweit es von Eichengreen im Buch dargestellt wird – kein logischer Widerspruch liegt. Anleger verkaufen AAA-geratete Papiere auch dann, wenn es keinen Zweifel am AAA-Rating gibt, aber die Papiere überbewertet erscheinen. Jeder Verkäufer eines Wertpapiers verkauft ein Wertpapier ohnehin nur deshalb, weil er den damit erzielten Erlös in Geld höher bewertet als das Wertpapier, das er abgibt. Die von Eichengreen „aufgedeckten“ Tradingoperationen waren daher nur stimmig.

„Während der Finanzkrise gab es viele unzutreffende Statements,“ so Eichengreen, „aber nur wenige stachen derart ins Auge wie die Reaktion von Standard & Poor’s auf die Meldungen der IKB. Am Tag nach der Richtigstellung der Finanzverhältnisse versicherte Stefan Best, der bei der Ratingagentur für die Analyse europäischer Banken zuständig war, es gebe kaum einen Grund, sich um andere Finanzinstitute Sorgen zu machen. „Bislang geht es den Banken recht gut“, zitiert er Best, den er als „Mr. Best“ bezeichnet, „Es gibt eine ziemlich hohe Schwelle, ehe ihnen ein Schaden entstehen könnte.“ Hätte sich Best damals anders geäußert, wäre im Buch von Eichengreen heute wahrscheinlich zu lesen, wie „Mr. Best“ die Krise durch seine unvorsichtigen Äußerungen zur angespannten Lage erst richtig entfacht habe.

Eichengreen folgert nach solchen Analysen: „Die Ratingagenturen entkamen signifikanter Regulierung und Reformen.“ Das dürften die Mitarbeiter von Ratingagenturen anders sehen, die täglich mit einer überbordenden Flut neuer Anforderungen zu kämpfen haben. Zurecht ist aber die Frage zu stellen, ob die Ratingagenturen einer sinn- und wirkungsvollen Regulierung und Reform unterworfen wurden. Wie aber eine signifikante Regulierung und Reform der Ratingagentur aussehen könnte, darüber schweigt sich Eichengreen aus.

Das Buch gliedert sich in vier Teile: Teil I „Die beste aller Zeiten“, Teil II „Die schlechteste aller Zeiten“, Teil III „Auf dem Weg zu besseren Zeiten“ und Teil IV „Das nächste Mal vermeiden“. Diese Gliederung lässt erwarten, konkret zu erfahren, wie „das nächste Mal“ vermieden werden kann. Dazu bringt Eichengreen leider wenige Vorschläge. Dennoch ist sein Buch jedem zu empfehlen, der in die Fülle der Fakten und Ereignisse um die Krisen von 1929 und 2008 eintauchen will: „Die großen Crashs 1929 und 2008: Warum sich Geschichte wiederholt“.

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