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Korrektur eines europäischen Mythos

Von Dr. Oliver Everling | 22.April 2016

In einer Zeit, in der immer weniger Menschen das Schengener Abkommen oder den Euro mit der Idee Europas gleichsetzen, sind grundsätzliche Überlegungen zur Identität Europas willkommen. So auch das Buch von Rolf Bergmeier, der sich bemüht, einen insbesondere in Deutschland und den frankophonen Ländern gepflegten Mythos aufzuräume: Karl der Große gilt als prägende Persönlichkeit der europäischen Geschichte und wird von Historikern daher auch als „Zierde des Erdkreises“ oder „Vater Europas“ gepriesen. Aber ist er diesem Ruf wirklich gerecht geworden? Dieser Frage geht Bergmeier in seinem aktuellen Buch nach.

Der studierte Philosoph und Althistoriker Rolf Bergmeier will in seinem Buch „Karl der Große. Die Korrektur eines Mythos“ (Tectum Verlag) zeigen: Karls Denken und Handeln stehen in krassem Gegensatz zu allem, was Europa Gesicht und Farbe verleiht. Rolf Bergmeier räumt auf mit falschen Idealisierungen und unterzieht den Mythos Karl der Große einer Korrektur.

Bergmeier zeichnet den Rahmen des Handelns von Karl dem Großen nach, nämlich das antike und mittelalterliche Sozialmilieu, sowie die Antike des „Mäzenatenparadies“. Zur Jahrtausendwende wurde das katholische Christentum zur Staatskirche. Bergmeier fügt das Wirken von Karl dem Großen in einen größeren Kontext, indem er auf das das verschwiegene Religionschaos im 4. Jahrhundert und die Bischöfe als neuer Führungsschicht zu sprechen kommt. „Mundus vult decipi“ – Die Welt will betrogen werden, glaubt Bergmeier und sieht dies in Bildung, Wissenschaft und bei Gelehrten in der Karl-Literatur bestätigt.

Karls Hof und sein Wirken, die „Hofakademie“, das klösterliche Schulsystem, speziell auch das Wesen der fränkischen Klosterschulen unterzieht Bergmeier einer kritischen Untersuchung mit der Folgerung, dass Klosterschulen sind keine Volkshochschulen waren, sondern Teil eines Systems zur Machtentfaltung.

Bei Bergmeier erfährt man manches über die Klosterbibliotheken, Kataloge und Verzeichnisse mittelalterlicher Klosterbibliotheken, Karls Hofbibliothek, Karolingische Buchkunst und wie die Klosterbibliotheken im Schatten antiker und arabischer Sammlungen zu sehen sind, wie auch Karolingische Architektur im Vergleich zu den Errungenschaften der Antike.

Der Leser erfährt, wie die fränkische Wirtschaftsverfassung von Karls feudalem Gesellschaftsmodell einer feudalen Ordnung geprägt war mit einem großen Gewinner, nämlich der Kirche. Der Analphabet reformiert Sprache und Schrift und fördert Latein als Kirchensprache, Herrschaftssprache und Ausschlusssprache.

„Wie in aller Welt kann man Karl zum ‚Vater Europas‘ machen?“ Das fragt Bergmeier und zieht die „Ehre“ des Karlspreises in Frage. Bergmeier bestreitet nicht die große Bedeutung von Karl dem Großen für die Geschichte Europas. Karl der Große habe zweifellos seinen Anteil an der Errichtung eines christlichen Staates, denn „Karls Handwerk ist der Krieg“, wie Bergmeier schreibt. Ohne Karl dem Großen würde die katholische Kirche möglicherweise nicht heute noch über eines der größten Vermögen der Welt verfügen und hätte sich das Christentum sicherlich nicht derart in Europa verbreitet, so dass es noch heute Quell religiöser, politischer und sozialer Auseinandersetzungen bleibt.

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