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Rentenkürzungen unausweichlich

Von Dr. Oliver Everling | 11.Oktober 2016

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Universität Bergen, hält sich nicht lange mit Vorrede auf. Auf den Investmentfondstagen der Börsen-Zeitung geht Raffelhüschen direkt in medias res. Seine Keynote widmet sich dem Thema „Zur Nachhaltigkeit des Staatshaushalts: Eine mathematische Perspektive“.

Raffelhüschen steigt mit einigen einfachen Rechnungen in das Thema ein. Ein großer Teil der Staatsschulden sei nicht sichtbar. „Zum Beispiel ich“, sagt Raffelhüschen. Wenn er noch ein „paar Jahre“ durchhalte, habe er – oder gegebenenfalls seine Frau – einen Anspruch gegen den Staat. Dieser sei sogar im Grundgesetz verankert, sei aber nirgends als Statsschuld verbrieft.

Raffelhüschen räumt mit der Vorstellung auf, dass die von der Bundesregierung ermittelte und verkündete Staatsverschuldung das volle Ausmaß zum Ausdruck bringen würde. Die Haushalte der Gebietskörperschaften reflektieren nicht die Versprechen, die diese gemacht haben.

Unternehmen müssen für jede eventuelle Verbindlichkeit gegebenenfalls Rückstellungen bilden. „Der Staat ist wie eine Frittenbude“, sagt Raffelhüschen, denn der Staat bilanziere nicht, genauso wie eine Frittenbude das Bilanzieren für überflüssig halte. Entsprechend gibt es keine Bilanzierung von Staatsschulden. Anders als bei Unternehmen gebe es beim Staat auch kein Insolvenzrecht. Daher falle es leicht, die Schulden zu ignorieren. Ein Unternehmen müsste längst schon Insolvez anmelden, wenn es ohne Aussicht auf entsprechende Erträge immer höhere Rückstellungen bilden müsse.

„Wir haben Alte zuviel, auch Unqualifizierte zuviel“, sagt Raffelhüschen. Die Pilzstruktur der Bevölkerungsentwicklung habe nichts mit demografischen Katastrophenpolitikern zu tun. Raffelhüschen betont, dass er nicht über unsichere Zukunft spreche, sondern über das Jetzt und Heute. „Politiker werden die Demografie nicht mehr ändern können. Es ist gelesen, gesetzt.“

„Wir haben die beste Gesundheitsversorgung in diesem Land die wir jemals hatten, teuer“, sagt Raffelhüschen. Doppelt so viele Rentner, drei Mal so viele Pflegefälle usw. – Raffelhüschen macht die zusätzlichen Belastungen klar, die auf Deutschland zukommen werden.

Wenn der Aktuar mit Versicherungsmathematik errechne, was später an Leistungen erbracht werden soll und heute an Beiträgen geleistet wird, wäre Nachhaltigkeit nur gewährleistet, wenn sich diese ausgleichen. „Wenn das, was wir wollen, mehr ist, als das, was wir zu zahlen bereit sind, haben wir eine Lücke“, warnt Raffelhüschen.

Raffelhüschen zeigt die Nachhaltigkeitslücke der Gesetzlichen Rentenversicherung von 1998 bis 2014 auf. Die zwischenzeitlichen „Reformen“ seien in Wahrheit praktisch nur Rentenkürzungen gewesen, die keiner als solche verstanden habe. Der Leitgedanke der Reform von Gerhard Schröder sei es gewesen, die Lasten auf die Schultern zu legen, die sie verursacht haben. Norbert Blüm wie auch Andrea Nahles glauben, einfach durch Beitragserhöhungen alles regeln zu können. „Andrea Nahles verteilt nur Geschenke“, kritisiert Raffelhüschen, denn von Nahles Geschenken würden nur einige langjährige Facharbeiter profitieren, nicht einmal Frauen.

„Hätte man die Fehler von Nahles nicht gemacht, hätte man alles in Ordnung.“ Raffelhüschen sieht sich mit seinen Kollegen aus den Wissenschaften einig, „bitte haltet das Thema Rente aus dem Wahlkampf heraus“. Denn wenn es zum Wahlkampfthema würde, käme garantiert das Gegenteil von dem heraus, was Deutschland brauche.

Die Beamtenversorgung werde durch eine „Tretminenstruktur“ gekennzeichnet. DIe Beamten- und Pensionärsentwicklung von 2012 bis 2050 zeigt eine noch extremere Form auf als die der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Frauen unter den Beamten sei deutlich gestiegen. Während die früher sterbenden Männer eher für Entlastung gesorgt hätten, rolle nun eine Welle von langlebigen Frauen auf das Pensionssystem zu. Die Schuldenbremse werde für keinen Staatshaushalt mehr einhaltbar sein.

80 % wegen verbriefter Staatsschuld, plus 60 % wegen Rente plus 30 bzw. 60 % wegen Beamtenversorung mache die tatsächliche Staatsverschuldung aus. Die Beamten allein seien ein ebenso schwerwiegendes Problem wie der gesamte Rest.Hinzu komen 80 bzw. 220 % wegen Gesundheit.

Raffelhüschen warnt, dass die längere Lebenserwartung nicht „vorne“, sondern „hinten“ erzielt werde, also bei eher pflegebedürftigen und kranken Menschen. Das echte, große Risiko sei die Beteiligung der Bevölkerung an dem technologischen Fortschritt im Gesundheitssektor. Raffelhüschen sieht voraus, dass man nur mit schönen Begriffen darüber hinweg täuschen werde, dass die Leistungen zu kürzen sein werden.

Die Alten von heute seien zum größten Teil noch zuhause gepflegt. Für die Pflege hätten diese allerdings zum größten Teil gar nichts oder wenig bezahlt, da die Pflegeversicherung erst 1995 eingeführt wurde. Die Soziale Pflegeversicherung wurde erst 1995 in Deutschland als ein eigenständiger Zweig der Sozialversicherung eingeführt und ist im Sozialgesetzbuch XI gesetzlich geregelt.

„Wir sind nicht in der Lage, unseren Sozialstaat für uns selbst aufrechtzuerhalten und wollen ihn nun auch noch mit der Welt teilen“, macht Raffelhüschen. Er vergleicht die aktuelle Situation der Staatsverschuldung mit einem Eisberg. Der gefährlichere Teil sei der, den man nicht sehe.

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