Kluger Auftrag der Stadt Münster in Westfalen

Von Dr. Oliver Everling | 10.April 2021

Ein automatisiertes Sicherheitsnetz für kommunale Geldanlagen gibt es seit 2017 nicht mehr. Wenn Kommunen nicht selbst umfangreiche Research-Abteilungen aufbauen wollen, in denen Finanzanalysten tausende qualitative Daten und Jahresabschlüsse von Emittenten finanzieller Produkte untersuchen, sind die Kommunen auf unabhängige Urteile verlässlicher Ratingagenturen und Spezialisten angewiesen. Der Skandal der Berliner Ratingagentur Scope um die Greensill Bank in Bremen zeigt, welche milliardenschwerden Folgen geschönte Urteile haben können (siehe Börsen-Zeitung: Rating mit Geschmäckle).

Die Stadt Münster in Westfalen verließ sich nicht auf das Urteil einer in der Europäischen Union registrierten Ratingagentur – der Vorgang an sich ist schon eine Blamage nicht nur für die betroffene lokale Ratingagentur Scope Ratings GmbH in Berlin, sondern auch für die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA in Paris, denn fern ab in Paris sitzen die Aufseher, denen über Vorgänge in Berlin bereits interne Compliance-Berichte, Transparenzberichte und Anzeigen vorlagen. Es mangelte nicht an Sorgen und Hinweisen.

Die Arbeit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA hinkt weit hinterher: So wurden bei der Berliner Scope Ratings erst im Sommer 2020 Vorgänge sanktioniert, die schon 2015 erwiesen waren (siehe „Kein Verlass auf Scope Ratings“). Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA lässt es zu, dass die Agentur Scope ungehindert Bankenratings weiterhin erstellen kann, die nicht nur volkswirtschaftlich zur Fehlallokation der Ressource „Kapital“ führen, sondern nun auch die beklagten Milliardenschäden bewirken.

Dabei gilt es zu bedenken, dass Ratingagenturen ohne Zertifizierung oder ohne Registrierung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen keine Ratings veröffentlichen dürfen. Es darf kein Unternehmen Ratings verbreiten und zugleich über diese Ratings behaupten, sich mit qualifizierten Analysten in einem kompetenten Ratingkomitee fachlich fundierte Bonitätsurteile über andere Unternehmen gebildet zu haben, ohne zuvor dafür eine Anerkennung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA erhalten zu haben. In der Autorisierung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA liegt daher ein Signal für alle Marktteilnehmer, dass bestimmte taxonomische wie auch prozessuale Mindeststandards durch die Ratingagentur eingehalten werden.

„Die Stadt Münster hat im Sommer 2019 sehr genau hingesehen, als es galt, ein vergleichsweise attraktives Angebot der Greensill-Bank für die Anlage eines längerfristigen Festgeldes zu prüfen“, berichtet jetzt Stadtkämmerin Christine Zeller. Die Stadt beauftragte damals eigens die Schweizer Agentur Independent Credit View (I-CV) mit einer besonders sorgfältigen Prüfung der Greensill-Bank.

„Was sich im Rückblick als kluge Entscheidung erwies. Denn der Prüfauftrag der Stadt Münster führte dazu, dass die Schweizer I-CV-Experten schon 2019 zu einer warnenden Einschätzung hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Greensill Bank kamen,“ schreibt die Stadt Münster in Westfalen in einer Mitteilung, „während das Institut in den Augen der meisten anderen Fachleute noch unauffällig war.“

Von „den meisten“ Fachleuten – wie es die Stadt Münster behauptet – kann jedoch nicht die Rede sein. Zur Erteilung von Ratings sind in der Europäischen Union nur autorisierte Ratingagenturen befugt. Nur nach Registrierung oder Zertifizierung dürfen diese Agenturen ihre Urteile in Form der bekannten Buchstabencodes veröffentlichen. Die Greensill Bank war aber nur von der lokalen Ratingagentur in Berlin, der Scope Ratings GmbH, mit einem guten Credit Rating beurteilt worden, einem Rating „A-„, wie es sonst nur die besten deutschen Banken genießen. Daher konnten sich Sparer wie auch institutionelle Anleger nur an diesem Rating orientieren, alles andere hätte einen kostspieligen Auftrag an Spezialisten wie die in der Schweiz erfordert.

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde führt die Berliner „Scope Ratings GmbH“ unterschiedlos in einer Liste gemeinsam mit den international führenden wie auch mit anderen zertifizierten oder registrierten Ratingagenturen. Für Außenstehende sind Unterschiede in den Qualitäten dieser Ratingagenturen nicht ohne weiteres erkennbar (Beweis: Liste „CRA Authorisation“ der ESMA).

Da einzig die Scope Ratings GmbH eine Autorisierung hatte und zugleich auch das Rating „A-“ für die Bank ihres Scope-Beiratsmitgliedes und Scope-Investors Maurice Thompson hatte, blieb Sparern und Anlegern keine andere Wahl, als auf dieses Rating der durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA anerkannten Agentur zu vertrauen. Der Investor der Ratingagentur Scope ist zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der insolventen Greensill Bank.

Aufsichtsratsvorsitzender der Scope SE & Co KGaA (ehemals Scope Corporation AG) ist Georg Graf Waldersee, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der in den Wirecard-Skandal verwickelten Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist und Martha Boeckenfeld als Aufsichtsratsvorsitzende der Scope Corporation AG (heute Scope SE & Co KGaA) ablöste, Martha Boeckenfeld, die schon damals zugleich auch Aufsichtsrat der von Scope Ratings mit einem ebenso guten Rating wie für die Greensill Bank beurteilten italienischen Großbank Unicredit war.

Während sich die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA aber noch mit der Aufarbeitung der Gesetzesverstöße durch Scope aus dem Jahr 2015 beschäftigte, wurden von Scope Ratings GmbH ungehindert weiter Ratings veröffentlicht und sogar mutwillig mit einem aufwändigen Netz aus „Botschaftern“ von Berlin aus in ganz Europa verbreitet. Zahlreiche Befunde belegen das Verhalten der Ratingagentur. Das Versäumnis wiegt umso schwerer, da Externe das „genaue Vorgehen von Scope bei der Ratingvergabe“ nicht kennen. Die mangelnde Transparenz erlaubt es nicht zu beurteilen, ob die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA zurecht Scope’s Lizenz zur Erteilung von Ratings (und zur Vereinnahmung hoher Ratinggebühren) aufrecht erhält.

Rat von außerhalb der Euroäischen Union zu suchen und einen Prüfauftrag an die Schweizer I-CV-Experten zu erteilen, hat sich jedenfalls für die Stadt Münster gelohnt. Die kluge Stadtkämmerin darf auf ihr Gespühr stolz sein, nicht vorschnell dem ihr für die Greensill Bank aufgedrängten guten Rating aus Berlin gefolgt zu sein. Leider bedurfte es dazu erst eines Prüfauftrags an die Schweizer Independent Credit View AG – Kosten der Prüfung, die nach der Logik des Ratingwesens, das von den Emittenten selbst bezahlt wird, eigentlich den Investoren erspart bleiben sollten.

Von der unabhängigen Research-Boutique für institutionelle Bondinvestoren gab es aus Zürich jedenfalls eine klare Warnung – nur leider nicht auch für jeden Sparer und jede Kommune. „Münster ist dieser Einschätzung damals gefolgt und hat sich gegen ein Geschäft mit der Greensill-Bank entschieden“, so Zeller. „Damit blieb der Stadt – anders als vielen anderen Kommunen in Deutschland – ein mutmaßlicher Millionenschaden erspart.“

Wer sich aber ordnungsgemäß auf das Rating der durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA kontrollierten Scope Ratings GmbH verließ, hat nun das Nachsehen. Allerdings ist gegen die Machenschaften der Scope-Gruppe, dessen Initiator sich aus seinem Büro mit Blick auf den Reichstag in Berlin gerne mit altgedienten Politikern, einflussreichen Prominenten und einem am Kapitalmarkt aktiven Ankerinvestor umgibt, mit den aufsichtsrechtlichen Instrumenten der Euroäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA schwer anzukommen – siehe „Scope Group außer Kontrolle“ oder „Scope Ratings Spiel des Gesellschaftsrechts“ zum Beispiel.

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Explodierende Bewertungen für EdTech-Unternehmen

Von Dr. Oliver Everling | 8.April 2021

Corona und Digitalisierung bringen den Bildungsmarkt in Bewegung wie kaum je zuvor. Um wieviel es hier geht, zeigt finanziell auch der Börsengang von Coursera. Das ist ein US-amerikanischer Anbieter von interaktiven Onlinekursen, kurz MOOC (Massive Open Online Courses). Ende März katapultiert die Börsenbewertung das Unternehmen mit einem Satz auf Platz 10 der größten börsennotierten Bildungsunternehmen der Welt. „Unter dem NYSE-Ticker COUR sammelt es bei einer impliziten Bewertung von 4,3 Milliarden US-Dollar fast 520 Millionen US-Dollar ein“, berichtet Rahul Bhushan, Mitgründer von Rize ETF. „Nach Ende des ersten Handels war eine Marktkapitalisierung von sage und schreibe 5,9 Milliarden US-Dollar erreicht. An die Stelle von Coursera auf der Liste der 20 größten privaten EdTech-Einhörner rückt nun Yunxuetang aus China. Das Unternehmen hat im März dieses Jahres bei einer Serie-E-Finanzierungsrunde über 190 Millionen Dollar eingesammelt.“

Die Erfolgsgeschichte von Coursera beginnt 2012, als Professoren der renommierten Universität Stanford eine digitale Studienplattform gründen. „So bietet Coursera Universitäten Online-Kurse, Zertifizierungen und Abschlüsse in einer Vielzahl von Fächern. Heute ist Coursera mit mehr als 3.200 Kursen in 13 Sprachen Partner von über 190 Institutionen aus mehr als 40 Ländern. Seit 2016 hat das Unternehmen seinen Umsatz von damals nur 60 Millionen US-Dollar auf 293 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 gesteigert“, berichtet Rahul Bhushan. Die Einnahmen generiert das Unternehmen mit sogenannten Signature Tracks – Kursen, die zwischen 30 bis 100 US-Dollar kosten. Außerdem gibt es Spezialisierungen als Monatsabonnements zwischen 39 und 89 US-Dollar, Abschlüsse (vollständige Studiengänge ab 15.000 US-Dollar aufwärts) und Business-Kurse für Unternehmen zu 400 US-Dollar pro Nutzer und Jahr.

Auf dem Fuß von Coursera könnte alsbald die im Mai 2020 gegründete Plattform Udemy an die Börse folgen, glaubt Rahul Bhushan. „Udemy mit Hauptsitz in San Francisco ist gleichfalls MOOC-Anbieter, jedoch nicht nur für Studierende, sondern auch für berufstätige Erwachsene, die sich beruflich weiterbilden. Im Februar 2021 haben sich bei Udemy mehr als 40 Millionen Studenten eingeloggt und sich 480 Millionen Mal für Kurse eingeschrieben. Insgesamt fanden 155.000 Kurse in über 65 Sprachen mit 70.000 Dozenten statt. Studenten und Dozenten stammen aus über 180 Ländern, zwei Drittel der Studenten befinden sich außerhalb der USA.“

Nicht nur börsenreife Unternehmen stehen in den Startlöchern. So gibt es auch eine Pipeline von hoch innovativen Start-ups, so auch in Berlin – zwar nicht von deutschen Gründern, sondern von einem internationalen Team: „Alles, was Sie brauchen, um Live-Online-Erlebnisse zu ermöglichen und zu skalieren“, verspricht GetClustered.App und bietet eine leistungsstarke Kombination von Funktionen, die Mitglieder von Online-Kursen motivieren und unterstützen und den Professoren, Lehrern, Tutoren und Repetitoren gleichzeitig wertvolle Zeit und Geld sparen.

Laut Researchhaus HolonIQ wird sich die Größe des globalen EdTech-Marktes bis 2025 verdoppeln. „Wir erwarten weitere EdTech-Börsengänge im Lauf dieses Jahres“, sagt Rahul Bhushan und sieht im Markt keine Anzeichen einer Verlangsamung, im Gegenteil: „Das globale Engagement auf dem Bildungsmarkt dürfte die Art und Weise, wie auf der ganzen Welt auf Bildung zugegriffen, finanziert und konsumiert wird, völlig neu gestalten. Für den Einzelnen und die Gesellschaft sind dies genauso positive Nachrichten wie für Investoren.“

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Wenn die EU einknickt, wächst der Druck der USA

Von Dr. Oliver Everling | 8.April 2021

Die Volatilität ist zurück an den chinesischen Aktienmärkten: Nachdem der MSCI China von seinem Tiefpunkt im März 2020 bis zu einem Höchststand im Februar 2021 um 90 % gestiegen war, ist er im letzten Monat um 16 % gefallen, berichtet die Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP).

Diese Volatilität geht nach Meinung der Schweizer Experten auf unterschiedliche Faktoren zurück: „Neben zyklischen Erwägungen dürften die langsame Normalisierung der chinesischen Geldpolitik, der wachsende Druck der chinesischen Kartellwächter sowie die merklich steigenden geopolitischen Spannungen dabei eine Rolle gespielt haben.“

Norman Villamin, CIO Wealth Management und Head of Asset Allocation der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP)

Norman Villamin, CIO Wealth Management und Head of Asset Allocation der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP)

Die zyklischen Bedenken sieht Norman Villamin, CIO Wealth Management und Head of Asset Allocation der Schweizer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP), als „wahrscheinlich überbewertet“, da China seine fiskalpolitischen Maßnahmen nicht so dramatisch straffen muss wie 2011 oder 2015, denn die pandemiebedingten Stimuli im Jahr 2020 fielen im historischen Vergleich bescheidener aus.

„Der erhöhte regulatorische Druck könnte hingegen mehr Grund zur Sorge bereiten“, warnt Norman Villamin. Der Druck könnte dazu führen, dass Chinas „Big Tech“-Unternehmen weniger Kapital erwirtschaften und in neue, wachstumsstarke Geschäftsideen reinvestieren. Dies könnte somit trotz attraktiver kurzfristiger Gewinnaussichten auf die hohen Bewertungen drücken.

Darüber hinaus sehen die Schweizer in der Anti-China-Rhetorik der USA in den ersten Tagen der Biden-Administration zwar keine Überraschung, aber: „Sollte die Europäische Union aufgrund des chinesischen Drucks bei ihren Sanktionen einknicken, könnte dies schneller als erwartet zu einer Verschärfung der Maßnahmen von Seiten der USA führen.“

„Für Investoren sehen wir weiterhin zyklische und strategische Chancen auf der nächsten Etappe von Chinas Transformation,“ unterstreicht Norman Villamin, „insbesondere bei den auf dem chinesischen Festland gelisteten A-Shares. Ein Fokus auf inländischen Konsum und Unternehmen in einer frühen Innovationsphase könnte Schutz vor potenziellem regulatorischem und externem Druck bieten.“

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Corona vernebelt langfristige Gründe für Herabstufungen

Von Dr. Oliver Everling | 6.April 2021

Deutschland und die deutsche Industrie muss sich langfristig auf Herabstufungen gefasst machen, wenn nicht umgesteuert wird. Herabstufungen allerdings nicht aufgrund der Pandemie oder inhärenter Probleme der deutschen Industrie, sondern aufgrund wirtschafts- und finanzpolitischer Rahmenbedingungen, die den Standort seit Jahren weiter schwächen.

Die Industrie ist nämlich nach Ansicht von Experten wie denen der FERI Gruppe in Bad Homburg derzeit der wichtigste Stabilisator der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland: „Nach dem heftigen Einbruch der Produktion um fast 30 Prozent vor einem Jahr gelang eine schnelle Erholung, im Januar lag die Produktion noch um knapp 3 Prozent unter dem Niveau unmittelbar vor Ausbruch der Pandemie. Gebremst wurde die Aufwärtsentwicklung zuletzt vor allem von fehlenden Speicherchips für die Automobilherstellung. Die deutsche Industrie profitiert vor allem von der starken Nachfrage aus ihren beiden wichtigsten außereuropäischen Absatzmärkten: Die Exporte nach China liegen inzwischen fast 10 Prozent höher als vor Ausbruch der Pandemie, die in die USA nur knapp darunter.“

Wirft man allerdings einen generellen Blick auf die Lage der Industrie, trübt sich das Bild deutlich ein: „Die Industrie befand sich nämlich vor einem Jahr bereits in einer Rezession. In den zwei Jahren vor Ausbruch der Pandemie war die Produktion um etwa 7,5 Prozent gesunken. Einen besonders hohen Anteil daran hatte die Automobilindustrie,“ warnt Axel D. Angermann, der als Chef-Volkswirt der FERI Gruppe die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen aller für die Asset Allocation wesentlichen Märkte analysiert.  Der Anteil der Automobilindustire an der Produktion in diesen zwei Jahren ging um mehr als 20 Prozent zurück. Unabhängig von der Corona-Pandemie steht die Schlüsselbranche vor vier strategischen Herausforderungen:

Erstens sinkt der Anteil Deutschlands an der Gesamtproduktion der deutschen Autohersteller seit 2005 von damals noch deutlich mehr als 50 Prozent auf aktuell (2020) weniger als 30 Prozent. Dies spiegelt einerseits eine stagnierende Inlandsnachfrage und einen rückläufigen Marktanteil deutscher Hersteller an den inländischen PKW-Verkäufen wider, lässt aber auch auf eine sinkende Attraktivität des Produktionsstandorts Deutschland schließen. Das seit vielen Jahren praktisch unveränderte Unternehmenssteuerregime, aufgebrauchte Vorteile in der Entwicklung der Lohnstückkosten, hohe Energiepreise und im internationalen Vergleich bestenfalls durchschnittliche Bildungsausgaben sieht die FERI hierfür als einige Gründe.

Zweitens: „China wird in immer stärkerem Maße von einem Käufer deutscher Produkte zu einem konkurrenzfähigen Hersteller innovativer Erzeugnisse. Der neue, elektrisch betriebene BMW IX3 wird beispielsweise in China für den Weltmarkt entwickelt und gebaut. In dem Maße, in dem China mit seiner Strategie erfolgreich ist, in ausgewählten Bereichen selbst eine führende Rolle einzunehmen, geht das Absatzpotenzial von in Deutschland hergestellten Produkten sowohl in China als auch auf den globalen Drittmärkten zurück.“

Drittens werden mit der Umstellung auf den Elektroantrieb und der Entwicklung hin zu teilautonomem Fahren bisherige Stärken der deutschen Automobilindustrie, die in der Perfektionierung von Verbrennungsmotoren lagen, entwertet, rechnet die FERI aus. „Die Unternehmen sehen sich mit Tesla, aber auch mit Google und Apple neuartigen Wettbewerbern gegenüber und müssen sich selbst zum Teil neu erfinden, um in diesem Wettbewerb bestehen zu können.“

„Die globale Nachfrage wird“, prognostiziert Angermann in seinem vierten Punkt, „in den kommenden Jahren weniger dynamisch wachsen als in den ersten 20 Jahren des Jahrhunderts. In den Industrieländern sind viele Märkte gesättigt, der Klimaschutz dürfte die individuelle Mobilität erheblich verteuern, und auch aus den Schwellenländern fallen die Impulse geringer aus.“

Diese Herausforderungen sind nach Ansicht der FERI in der Autoindustrie besonders deutlich ausgeprägt, betreffen aber in unterschiedlichem Maße auch andere Bereiche der deutschen Industrie. Dass die Industrie auf Dauer eine Stütze der deutschen Wirtschaftsentwicklung bleibt, ist also kein Selbstläufer, sondern setzt erhebliche Anstrengungen in den Unternehmen selbst wie auch in der Gestaltung der Rahmenbedingungen voraus – mit offenem Ausgang.

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Scope Ratings Spiel des Gesellschaftsrechts

Von Dr. Oliver Everling | 2.April 2021

Durch den Skandal der Scope Ratings GmbH um die erstmals 2019 mit A- als „investment grade“ geratete und heute insolvente Greensill Bank in Bermen haben die genauen Aktivitäten dieser lokalen Ratingagentur in Berlin an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen. Daher werden auch die Hintergründe für die jüngste Berliner Übernahme der Euler Hermes Rating GmbH (EHRG) erforscht.

Der weltbekannte Markenname „Euler Hermes“ wurde von den Berlinern nicht mit erworben. Auch schon damals, als am 1. August 2016 die von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) registrierte FERI EuroRating Services AG mit Sitz in Bad Homburg von Scope übernommen wurde, kam es Scope nicht auf die Fortführung des guten Namens der erworbenen Agentur an.

Gemäß dem erst am 6. November 2020 veröffentlichten Jahresabschlusses wies die Euler Hermes Rating GmbH (EHRG) in Hamburg 2019 einen „Nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ in Höhe von 4.857.377,49 € aus. Der Verlustvortrag erhöhte sich 2019 auf -5.959.576,90 € von -3.112.299,45 € im Vorjahr 2018. Weiterhin wurden Jahresfehlbeträge in Millionenhöhe erwirtschaftet, -2.589.768,15 € im Jahr 2019. Gemessen an der Mitarbeiterzahl hohe Fehlbeträge, wie schon in den Vorjahren: Im Geschäftsjahr 2019 waren im Durchschnitt 21 Mitarbeiter beschäftigt.

Was ist attraktiv an einer Gesellschaft, die seit Mai 2001 zunächst Hermes Rating GmbH, dann Euler Hermes Rating GmbH firmierte, wenn diese seit mehr als einem halben Jahrzehnt nur Verluste bringt und deren wichtigstes Asset der gute Name war, der aber nicht weitergeführt wird? Die Berliner „Scope Group“, die seit fast zwei Jahrzehnten selbst nie Gewinne erwirtschaftete, übernahm die Gesellschaft und schreibt: Euler Hermes Rating „ergänzt künftig das Geschäft von Scope um attraktive Zukunftsfelder“.

Der Analyse-Fokus liege vor allem auf kleinen und mittelgroßen Unternehmen (SME) sowie auf Projektfinanzierungen. „Mit dieser Ausrichtung hat Euler Hermes Rating in Segmenten eine gute Position, in denen große Wachstumspotenziale liegen“, lautet ein Scope-Zitat in der Pressemitteilung von der Euler Hermes Rating GmbH (EHRG) zur Übernahme durch Scope.

Tatsächlich wurde aber die eigens für SME entwickelte Methodologie „TRIBRating“ mit dem Ausstieg von Moody’s aus der Euler Hermes Rating GmbH (EHRG) bereits Ende Juni 2020 eingestellt. „TRIBRating“ versprach für den Mittelstand zugeschnittene Methoden und Modelle für die Bewertung von Kreditrisiken.

Die 2016 angekündigte neue, von Moody’s unterstützte Methodologie „TRIBRating“ gab damals Hoffnung, den Erwartungen von Anlegern und Emittenten besser zu entsprechen, nachdem die alte Methodologie zu herben Enttäuschungen Anlass gab – siehe beispielsweise 2010 „Mit RENA nahen Unternehmensanleihen für Privatanleger“, die schon 2014 in die Insolvenz gingen. Statt der bis 2020 gültigen Methodologie wurde wieder auf den Zustand von 2016 zurückgeschaltet.

Euler Hermes Rating GmbH (EHRG) war am 16. November 2010 die erste Ratingagentur, die in der Europäischen Union als Ratingagentur nach der 2009 verabschiedeten EU-Verordnung über Ratingagenturen registriert wurde. Die dafür zuständige Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) wurde aber erst am 1. Januar 2011 gegründet. Daher wurde die Registrierung der Ratingagentur in Hamburg noch durch die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorgenommen und anschließend von der Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) fortgeführt.

Die Ablösung von Gesellschaften hat bei Scope „Tradition“: Nach der Insolvenz der Vorgängers der Ratingagentur titelte die Immobilien-Zeitung 2002 „FondScope AG ist tot, es lebe die FondScope GmbH“. Namen und Gesellschaften wurden stets vom selben Initiator gegründet und gewechselt. Am 2. September 2009 wurde eine Scope Credit Rating GmbH als eine 100%ige Tochter einer Scope Holding GmbH gründet und sollte für eine Registrierung durch die damals noch zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sorgen.

Die Zustände bei der ursprünglich in Potsdam ansässigen und dann nach Berlin verlegten Scope Credit Rating GmbH erlaubten jedoch keine Registrierung: Daher wurde die damals kleinste Ratingagentur in Deutschland gekauft, die bereits am 24. Mai 2011 eine Registrierung erlangt hatte, namentlich die aus der Prof. Schneck Rating GmbH aus Reutlingen hervorgegangene PSR Rating GmbH, die ihren Sitz von Reutlingen nach Tübingen verlegt hatte. Nach der Übernahme von PSR Rating GmbH wurde die Gesellschaft von Tübingen nach Berlin verlegt und in Scope Credit Rating GmbH umbenannt und die Registrierung durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) fortgeführt, während die vormals in Potsdam ansässige Scope Credit Rating GmbH und dann ebenfalls in Berlin firmierende Scope Credit Rating GmbH keine Registrierung bekam. Ohne Registrierung darf eine Ratingagentur in der Europäischen Union nicht Credit Ratings erteilen.

Die heute Scope Ratings GmbH firmierende Gesellschaft geht auf die Vorgängerin in Tübingen zurück, denn die von PSR Rating GmbH in „Scope Credit Rating GmbH“ umbenannte Gesellschaft wurde in „Scope Rating GmbH“ umbenannt, dann formwechselnd in eine Aktiengesellschaft und zurück in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt, die den Namen „Scope Ratings GmbH“ annahm. Die gleichnamige Gesellschaft Scope Credit Rating GmbH, Berlin (vormals: Potsdam), wies nur Verluste aus. Während die PSR Rating GmbH nach Anlaufverlusten doch bis zur Übernahme durch Scope auch Gewinne erwirtschaftet hatte, wurde nach Integration bei Scope das Geschäftsmodell an das Schema von Scope angepasst und anschließend – wie bei anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe – mit Verlusten weitergearbeitet.

Die Scope Ratings AG entstand durch formwechselnde Umwandlung der Scope Ratings GmbH (Amtsgericht Charlottenburg HRB 145472) in die Scope Ratings AG mit Sitz in Berlin (Amtsgericht Charlottenburg, HRB 161306) aufgrund eines Umwandlungsbeschlusses vom 18. Juli 2014. Danach wurde die Scope Ratings AG wieder in eine Scope Ratings GmbH umgewandelt. Die Eintragung des erneuten Formwechsels erfolgte am 24. Januar 2018.

Wenn ein Vertragspartner der „Scope Group“ sich nicht die Mühe macht, die genauen Handelsregisternummern der Amtsgerichte anzufordern und zu vergleichen, könnte leicht übersehen werden, ob der Vertrag mit einer „Scope Rating GmbH“, „Scope Ratings GmbH“, „Scope Ratings AG“ oder einer der beiden Gesellschaften mit den identischen Namen „Scope Credit Rating GmbH“ geschlossen wurde.

„Gutgläubige“ Investoren, die an die Schoeller Corporation GmbH oder die Schoeller Invest GmbH in der Hoffnung bezahlt oder Leistungen erbracht haben, dafür (Options-) Rechte an der „Scope Group“ und den versprochenen Wertsteigerungen zu erhalten, können sich getäuscht sehen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da in diesen vertraulichen Verträgen die genaue Firma schon in der Vorbemerkung des Vertrags durch eine andere Bezeichnung ersetzt wird, zum Beispiel „Scope AG“ statt „Scope Corporation AG“. Das ist in Verträgen zwar üblich, lässt aber den gutgläubigen Investor schnell übersehen, was tatsächlich verkauft wurde. Die Konsequenzen werden möglicherweise erst bemerkt, wenn ein Börsengang oder eine andere aufschiebende Bedingung eintritt. Der stete Wechsel von Rechtsformen macht es außerdem schwer, die Höhe eines erworbenen Anteils exakt zu berechnen und gerichtlich durchzusetzen.

Zu Beginn des Jahres 2019 wurde ein virtuelles Optionsprogramm für ausgewählte Führungskräfte eingeführt. Für die leitenden Angestellten ist es angesichts der vielen anderen Verbindungen, Verpflichtungen und Ansprüche, wie beispielsweise aus den Wandelschuldverschreibungen, schwierig, den Wert dieser Optionen richtig zu bemessen.

Nach deutschem Gesellschaftsrecht ist gemäß § 76 des Aktiengesetzes die Leitung der Aktiengesellschaft unabhängig. Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. Diese rechtsformbedingte Unabhängigkeit der Scope Ratings AG, die zudem auch die Einrichtung eines Aufsichtsrats erforderlich machte, der zwischen Vorstand und Alleinaktionär stand, konnte durch die Umwandlung in eine GmbH beseitigt werden. In der Praxis bedeutete der Aufsichtsrat, dass vom geschäftsführenden Hauptaktionär der Muttergesellschaft nicht direkt auf den Vorstand Einfluss genommen und keine rechtlich verbindliche Weisung in Einzelfragen erteilt werden konnte.

Da der Initiator des Berliner Geschäftsschemas und geschäftsführende Hauptaktionär der Muttergesellschaft nie eine Business School sah, weder über eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, noch über einschlägige praktische Erfahrungen aus einer Tätigkeit bei einer anerkannten Ratingagentur verfügt, was typische Voraussetzungen für die Zustimmung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) für maßgebende Funktionen in einer anerkannten Ratingagentur wären, werden seine Einflussmöglichkeiten alternativ gesellschaftsrechtlich gesichert.

Alleiniger Gesellschafter der Scope Ratings GmbH (vormals: Scope Ratings AG) ist die Scope SE & Co. KGaA (ehemals Scope Corporation AG), vertreten durch den Vorstand, dem der geschäftsführende Hauptaktionär angehört. Der Vorstand kann somit zu Angelegenheiten der GmbH jederzeit beschließen. Welche Weisungen an den bzw. die Geschäftsführer der Scope Ratings GmbH erteilt werden, steht völlig im freien Ermessen der Gesellschafter, also der Scope SE & Co. KGaA. Auch Einzelanweisungen an Geschäftsführer sind möglich, so erlaubt es das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 37 Abs. 1 GmbHG).

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Maurice Thompson, Aufsichtsratschef des in Havarie geratenen Bremer Kreditinstituts, der Greensill Bank, ist nicht nur Aktionär, sondern auch Beirat der Berliner Ratingagentur, die das Rating A- für die Greensill Bank erteilte – ein Rating gleichauf mit dem der namhaftesten deutschen Banken.

Die Beweise für diese und andere Verbindungen haben die Berliner, die die kritischen Augen der Großbanken sowie die räumliche Nähe zu allen maßgebenden Wettbewerbern aus dem Finanzzentrum in Frankfurt am Main scheuen und ihren Hauptsitz mit einem Blick auf den Reichstag im politischen Berlin bevorzugen, inzwischen aus ihrer Website gelöscht. Die Aktionäre, Wandlungsberechtigten, Optionsinhaber usw. im Mehr-Schichten-Beteiligungsmodell der Scope SE & Co. KGaA stützen ihr Vertrauen in den künftigen Profit ihrer Investition insbesondere auf die Versprechungen des geschäftsführenden Hauptaktionärs.

Nachdem die Börsen-Zeitung schon kurz nach dem über die Greensill Bank verhängten Moratoriums über die Interessenkonflikte bei der instrumentalisierten Scope Ratings GmbH berichtete, geriet das von der „Scope Group“ geschaffene System aus „Boards“, Honorary Board (u.a. mit Alt-Bundespräsident Horst Köhler, Alt-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet), Board of Trustees, Advisory Board, Supervisory Board, Management Boards und „Ambassadors“ in Verdacht, so dass u.a. auch Bloomberg darüber berichtete.

Die Spuren der Verbindungen wurden nun von Scope abgeschaltet, die Einträge im Internet gelöscht. Von der ursprünglichen Webseite ist nur ein Rumpf verblieben. Wenige Mausklicks hätten sonst Betrachtern offenbart, um welche Persönlichkeiten es sich sonst noch handelt. Verschwiegenheit spielt bei Scope eine große Rolle, wie das konkrete Beispiel eines – nun auf der Website von Scope nicht mehr namentlich genannten – Beiratsmitglieds zeigt.

Die Scope Ratings GmbH (vormals: Scope Ratings AG) wies zum Stichtag 31. Dezember 2016 Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen in Höhe von EUR 15.706.426,64 gegenüber der Muttergesellschaft Scope SE & Co KGaA (ehemals Scope Corporation AG) aus. Mit Beschluss vom 11.05.2016 wurde der Gesellschaft durch die Scope SE & Co KGaA ein nachrangiges Gesellschafterdarlehen in Höhe von bis zu EUR 14.000.000,00 gewährt, welches die bestehende Verbindlichkeit ablöste.

Die Liquidität der Gesellschaften wird durch Gesellschafterdarlehen und Kapitalmaßnahmen sichergestellt. Gewinne werden außerhalb der Gesellschaften dadurch in Aussicht gestellt, dass Anteile an der gemeinsamen Muttergesellschaft zu immer höheren Preisen an einen illustren Kreis von Prominenten und Kapitalsammelstellen verkauft werden. Insbesondere wird – von Vorzeigeadressen wie der RAG-Stiftung mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz oder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet im Kuratorium abgesehen – der genaue Kreis der Aktionäre, der Bezugsberechtigten und der Optionsinhaber nicht offengelegt.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird in Road Shows seit Jahren immer weiteres Kapital eingeworben. Der Auflösung dieser Geschäftsstrukturen soll eine Stiftung entgegenwirken, denn einer „Scope Foundation“ wurden 20% des Grundkapitals der Scope Management SE vom Gründer und Hauptaktionär sowie von einem am Kapitalmarkt aktiven „Ankeraktionär“ übertragen. Die Scope Management SE übt innerhalb der Scope Gruppe die unternehmerische Steuerungsfunktion aus.

Aufsichtsratsvorsitzender der Scope SE & Co KGaA (ehemals Scope Corporation AG) ist Georg Graf Waldersee, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender der in den Wirecard-Skandal verwickelten Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist. Auch bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verantwortet Georg Graf Waldersee, der für große Spendenbereitschaft in Deutschland wirbt, wie bei der Scope Group als Aufsichtsratsvorsitzender seit Jahren nur Verluste in mehrstelliger Millionenhöhe. Georg Graf Waldersee erhielt allein bei der bei der Scope SE & Co KGaA schon 80.000 Euro p.a. für seine Tätigkeit als Vorsitzender des Aufsichtsrates im Jahr 2019.

Die durchschnittliche Zahl der bei der Scope SE & Co KGaA beschäftigten Arbeitnehmer im Jahr 2019 betrug 81 (im Vorjahr 72). Zur Motivation von Mitarbeitern wird optional beispielsweise eine betriebliche Zuzahlung zum Fahrradkauf geleistet.

Georg Graf Waldersee gehört seit 2016 dem Aufsichtsrat der Scope Corporation AG an, deren Vorsitzende, Martha Boeckenfeld, er später im Vorsitz ablöste. Martha Boeckenfeld wurde 2016 auch Aufsichtsratsmitglied der italienischen Großbank Unicredit, die von Scope Ratings klar im Bereich der „Investmentqualität“ mit A- geratet wurde. In der Zeit nach der Bestelltung von Martha Boeckenfeld als Aufsichtsratsvorsitzende der Scope Corporation AG (heute Scope SE & Co KGaA) und als Aufsichtsratsmitglied der Unicredit wurde der Ausblick von Scope Ratings für das Rating der Unicredit auf Review für eine mögliche Anhebung gesetzt. Die von der Scope Ratings GmbH mit A- gerateten Verbindlichkeiten der Unicredit erreichten ein solches Rating nicht bei den anerkannten führenden Agenturen; die Schweizer Independent Credit View AG (I-CV) warnte sogar mit einem Rating für die Unicredit SpA auf spekulativem Niveau. Auch vor der von Scope Ratings GmbH mit A- gerateten Greensill Bank hatten die Schweizer Spezialisten bereits gewarnt (siehe im Übrigen auch „Kein Verlass auf Scope Ratings“, „Kein Verlass auf Scope Fondsrating“).

Über die Scope Ratings GmbH (vormals Scope Ratings AG und PSR Rating GmbH) liegen der zuständigen Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) nicht nur Jahrsabschlüsse, sondern auch Compliance-Berichte, Anzeigen und weitere Dokumente vor. Der europäischen Aufsichtsbehörde entziehen sich allerdings einige Gesellschaften der Gruppe (siehe „Scope Group außer Kontrolle“), da sie für die Aufsicht über diese anderen Gesellschaften kein Mandat hat.

Sollte sich die Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) aber aufgrund von Fakten veranlasst sehen, der Scope Ratings GmbH die Registrierung zu entziehen, bliebe der Muttergesellschaft Scope SE & Co KGaA (ehemals Scope Corporation AG) die Scope Hamburg GmbH (vormals Euler Hermes Rating GmbH), wenn die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) die Bedingungen für eine Registrierung bei der Scope Hamburg GmbH noch weiterhin erfüllt sähe.

Die Liste der von der Europäsichen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) authorisierten Ratingagenturen wurde am 4. Januar 2021 zuletzt aktualisiert. Hier wird die Euler Hermes Rating GmbH unverändert mit dieser Firma als „registrierte“ Ratingagentur geführt, auch wenn auf der Website der Ratingagentur bereits mit „Scope Hamburg GmbH“ firmiert wird. Ebenso findet sich hier weiterhin der Eintrag der „Scope Ratings GmbH (previously Scope Ratings AG and PSR Rating GmbH)“ als registrierte Ratingagentur.

Derzeit zeigen sich also zwei Registrierungen unter einem Dach. Damit wird die Resilienz der Scope SE & Co KGaA gestärkt, mindestens eine der beiden Registrierungen fortzuführen, da die Europäische Wertpapier- und Martkaufsichtsbehörde (ESMA) die Vorgänge bei der Scope Ratings GmbH (vormals: Scope Ratings AG) nicht der übernommenen Euler Hermes Rating GmbH (jetzt: Scope Hamburg GmbH) vorwerfen könnte, zumal diese bis 2021 keine problematischen Beziehungen zu Schwestergesellschaften (u.a. Scope Analysis GmbH, Scope Risk Solutions GmbH, Scope Investor Services GmbH) gehabt haben konnte.

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ESMA Sanktion gegen Moody’s setzt Maßstäbe

Von Dr. Oliver Everling | 31.März 2021

Die Europäische Wertpapier- und Marketaufsichtsbehörde (ESMA) hat gegen fünf Unternehmen der Moody’s Group mit Sitz in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich eine Geldstrafe von insgesamt 3.703.000 € verhängt und öffentlich Verstöße gegen die Credit Ratings Agencies Regulation (CRAR) in Bezug auf Unabhängigkeit und die Vermeidung von Interessenkonflikten der Aktionäre bekannt gemacht.

Die Verstöße betrafen demnach die Erteilung von Ratings unter Verstoß gegen das Verbot der Erteilung neuer Ratings für Unternehmen, bei denen ein Anteilseigner einer Ratingagentur (CRA) die 10% -ige Eigentumsschwelle überschreitet und / oder Vorstandsmitglied des bewerteten Unternehmens ist; Nichtoffenlegung von Interessenkonflikten im Zusammenhang mit der 5% -igen Eigentumsschwelle; und unzureichende interne Richtlinien und Verfahren zur Bewältigung von Interessenkonflikten der Aktionäre. Es wurde festgestellt, dass alle Verstöße auf Fahrlässigkeit von Moody’s zurückzuführen sind.

Die fünf von der Klage betroffenen Unternehmen sind Moody’s Investors Service Ltd (Moody’s UK) und Moody’s France S.A.S. (Moody’s France), Moody’s Deutschland GmbH (Moody’s Deutschland), Moody’s Italia S.r.l. (Moody’s Italy) und Moody’s Investors Service España S.A. (Moody’s Spain). ESMA ist der Ansicht, dass es für die Gewährleistung unabhängiger Ratings von guter Qualität und den Schutz der Anleger von entscheidender Bedeutung ist, dass die Ratingagenturen Interessenkonflikte sorgfältig identifizieren und anschließend beseitigen oder verwalten und offenlegen, um eine Störung des Ratingprozesses durch die Aktionäre zu vermeiden.

Die für Warren Buffett bekannte Firma Berkshire Hathaway reduzierte ihren Anteil an Moody’s schon vor vielen Jahren, so wurde der Anteil schon 2010 auf 17 % und zwischenzeitlich noch weiter gesenkt. Angesichts der Vielzahl der Beteiligungen von Warren Buffett bleibt es nicht aus, dass Beteiligungsverhältnisse nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erkannt und in der Beziehung zu Kunden der Ratingagentur berücksichtigt werden. Es ist nicht bekannt, dass die Beteiligungsverhältnisse in den USA irgendeinen Einfluss auf die von den europäischen Tochtergesellschaften von Moody’s erteilten Ratings gehabt hätten.

Die harten Strafen gegen die amerikanische Agentur setzt Maßstäbe in Bezug auf die Sanktionen, die gegebenenfalls auch gegen europäische Agenturen zu erwarten sind. So werden im Insolvenzfall der Greensill Bank schwere Versäumnisse in Bezug auf die Unabhängigkeit einer Ratingagentur geltend gemacht, die noch kurz vor der Insolvenz der Bank ein „investment grade“ Rating erteilt hatte. Zahlreiche Kommunen müssen mit teils zweistelligen Millionenverlusten rechnen, da sie sich auf das anfangs erteile Rating A- verließen. Während durch Moody’s Ratings niemand zu Schaden kam und bisher keine Besonderheiten bei erteilten Ratings nachgewiesen wurden, stand das Rating der Greensill Bank klar im Widerspruch zu Erkenntnissen anderer Researchhäuser und hinterließ einen Milliardenverlust.

 

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Chinesisches Fingerspitzengefühl

Von Dr. Oliver Everling | 31.März 2021

„China führt den Elefant im Porzellanladen mit viel Fingerspitzengefühl“, heißt es im aktuellen Investmentausblick von Eurizon. „China hat eine eindeutige Signalfunktion für den aktuellen Konjunkturzyklus. Das Land hat den Anfang gemacht und den vorherigen Zyklus mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie unterbrochen. Es war aber auch das erste große Land, das das Virus eindämmen und zu mehr oder weniger normalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen zurückkehren konnte.“

Von nun an komme China eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, die neue Phase der Rückkehr zur Normalität zu beobachten, das heißt die Aussetzung der Konjunkturmaßnahmen und dann, mit Blick auf das Jahr 2022, deren Abschaffung. Im dem gerade zu Ende gegangene Parteitag der Kommunistischen Partei sehen die Experten von Eurizon die Bestätigung für das bereits vor der Pandemie genannte Ziel, mittelfristig ein jährliches Wachstum von nicht weniger als 6% zu erreichen, und folgern, dass nach dem starken Aufschwung in diesem Jahr (+8,4% laut Konsenserwartungen) eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Richtung 6% möglich ist.

„Im Moment muss man nicht von wirklich restriktiven Eingriffen ausgehen“, urteilen die Analysten. „Diese würden nur im Falle einer Überhitzung erfolgen. Es wird ausreichen, die Wirtschaft allmählich wachsen zu lassen, ohne weitere Anreize zu geben. Es sollte dabei indes auch bedacht werden, dass der Wechsel von einer vollständig expansiven zu einer eher neutralen Politik bereits eine bedeutende Veränderung darstellt. Neben den Auswirkungen der steigenden US-Zinsen spiegelt die negative Performance der Schwellenländer im vergangenen Monat auch dieses Element wider. Andererseits gibt es jetzt auch keinen Grund, eine übermäßige Straffung zu befürchten. Die chinesischen Behörden haben es in den vergangenen Jahren verstanden, eine Wirtschaft von gigantischen Ausmaßen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zu steuern. Ein Elefant im Porzellanladen, der bis jetzt noch nichts kaputt gemacht hat.“

Was den Kredithebel anbelangt, mit denen der „Elefant“ gelenkt wird, so können die Experten von Eurizon derzeit eine Schwankung in der Intensität der Anreize feststellen, die auf Jahresbasis betrachtet nicht weiter zunimmt. Gleichwohl handelt es nicht um eine Beschränkung der Maßnahmen. „Der Staatshaushalt wurde seit 2008 fast kontinuierlich ausgeweitet, auch nach der globalen Abkühlung durch die Subprime-Krise. Unter Corona hat das jährliche Defizit fast 6,5% des BIP erreicht, und es gibt derzeit keine Anzeichen für einen Umschwung.“

Der Wechselkurs war aus Sicht von Eurizon in den angespanntesten Phasen des Handelskriegs als defensive Waffe eingesetzt worden: „Seit die Auseinandersetzung am Verhandlungstisch geführt wird, konnte der Wechselkurs stabil gehalten werden. Abgesehen von geopolitischen Faktoren ist die Wechselkursstabilität auch im Interesse der chinesischen Behörden, um Kapital für ihren wachsenden Anleihenmarkt zu gewinnen.“

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Erstes angefordertes ESG-Rating für Intrum

Von Dr. Oliver Everling | 31.März 2021

Intrum hat von Sustainalytics das erste angeforderte ESG-Risikorating erhalten. Der Intrum-Score hat sich von mittlerem auf niedriges Risiko verbessert und Intrum hat jetzt das beste ESG-Rating in seiner Gruppe innerhalb der Branche.

Die ESG-Risikobewertung von Intrum Sustainalytics (einem Unternehmen von Morningstar) hat sich von 24,5 (mittleres Risiko) im Jahr 2019 auf 12,8 (geringes Risiko) im Jahr 2021 auf einer Skala von 0 bis 100 verbessert, wobei 0 das niedrigstmögliche Risiko darstellt. Mit der neuen Punktzahl ist Intrum die Nummer eins unter 135 Peers in der Konsumentenfinanzierung der Subbranch („diversifizierten Finanzdaten“) und 415 unter allen 13.081 bewerteten Unternehmen, berichtet die Gesellschaft.

„Der überarbeitete ESG-Rating-Score ist uns wichtig und zeigt, dass wir unter hohen ethischen Standards arbeiten. Die Verbesserung ist das Ergebnis der starken Leistung von Intrum in einer Reihe von Messbereichen wie Datenschutz und Sicherheit, Humankapital, Produkt-Governance und Geschäftsethik. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir für die geleistete Arbeit anerkannt werden, die eine großartige Teamleistung in unserem Unternehmen darstellt. Intrums Ziel ist es, den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu weisen, und wir werden unsere ESG-Agenda in den kommenden Jahren weiterentwickeln, da sie eng mit unserem Ziel verbunden ist “, sagt Anders Engdahl, Präsident und CEO von Intrum.

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Kein Aprilscherz: FFP2-Maskenverbot für Kinder

Von Dr. Oliver Everling | 30.März 2021

Nach der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung (SchutzmV) gehören zum „anspruchsberechtigen Peronenkreis“ auch Kinder, wenn sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Kinder haben schon Anspruch auf Schutzmasken, wenn bei ihnen auch nur eine der nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 SchutzmV Erkrankungen oder Risikofaktoren vorliegt.

„Die Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung (SchutzmV) garantiert einen Anspruch auf insgesamt 15 Schutzmasken mit FFP2-Standard oder vergleichbarem Standard“, schreibt die Bundesregierung. Nun der Witz: Kindergerechte Masken dürfen nicht auf die Einhaltung des FFP2-Standards geprüft werden, da es dafür keinen Prüfstandard gibt. Damit nicht genug, es gibt nicht einmal einen einzuhaltenden FFP2-Standard für Kinder, da die Norm nur auf Produkte für Erwachsene anwendbar ist. Vergleichbare Standards gibt es für Kinder nicht.

Da Kinder nicht arbeiten dürfen, kann es für Kinder auch keine Arbeitsschutzkleidung geben. Also darf es auch keine Norm geben, die Atemschutz zur Kinderarbeit vorsieht.

„Sie werben auf Ihrer Homepage für Ihre FFP2-Masken mit dem Hinweis auf eine Zertifizierung und verweisen für all diese Produkte auf die CE-Kennzeichnung und Nummer der benannten Zertifizierungsstelle“, klingt es nun aus den Abmahnungen an die Hersteller, die sich um das Angebot von FFP2-Masken auch für Kinder bemüht haben.

„Bisher liegt nur für die FFP2 Maske des Typs … eine gültige Baumusterprüfbescheinigung vor, die berechtigt, an dem Produkt die CE-Kennzeichnung und Nummer der benannten Stelle anzubringen. Daher bitten wir Sie umgehend, den Hinweis auf die CE-Kennzeichnung sowie die Nummer der benannten Stelle an den nicht zertifizierten Produkten zu entfernen, da ansonsten der Eindruck erweckt werden könnte, dass auch für alle übrigen Masken auf Ihrer Homepage eine entsprechende Baumusterprüfbescheinigung vorliegen würde.“

Die Baumusterprüfbescheinigung wird nur für Baumuster von FFP2-Masken für Erwachsene ausgestellt. FFP2-Masken für Kinder gibt es jedoch nicht, weil die zugrundeliegende Norm nur für Erwachsene gilt. Vor Jahren gab es einen Vorstoß des spanischen Normungsinstituts, auch für Kinder eine Norm zu erarbeiten, der Versuch wurde mangels Interesse jedoch fallen gelassen.

Zuständig ist im DIN Deutsches Institut für Normung e. V. der Arbeitsausschuss NA 027-02-04 AA Atemgeräte für Arbeit und Rettung, der mit seinen Arbeitskreisen Normen entwickelt, die hauptsächlich die grundlegenden Anforderungen der EU-Richtlinie über persönliche Schutzausrüstungen in diesem Bereich ausfüllen. Er spiegelt die Arbeiten des CEN/TC 79 Atemschutzgeräte, das Produkt- und Prüfnormen bearbeitet. Auf ISO-Ebene werden Normen im ISO/TC 94/SC 15 Atemschutzgeräte erstellt, die sich, im Gegensatz zu den Europäischen Normen nicht an den Produkten, sondern an den menschlichen Faktoren wie z.B. Sehen und Hören, orientieren. In beiden Gremien wird das Sekretariat von DIN gehalten und die Arbeiten werden unter intensiver Beteiligung deutscher Experten erarbeitet.

Da es keine Norm für Kinder gibt, kann auch die Einhaltung der Norm nicht von den akkreditierten Prüflaboren und notifizierten Stellen geprüft werden. Weil es keine Prüfung gibt, darf selbst dann nicht eine FFP2-Maske für Kinder angeboten werden, wenn diese baugleich ist mit einer FFP2-Maske für Erwachsene und sich nur in der Größe unterscheidet. Daher sind die von der Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung vorgesehenen FFP2-Masken für Kinder verboten. Es dürfen Gesichtsmasken für Kinder verkauft werden, aber nicht FFP2-Masken für Kinder.

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Kleine Personalie, großer Aufruhr

Von Dr. Oliver Everling | 26.März 2021

Am 19. März ersetzte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Gouverneur der Zentralbank, Naci Agbal, zwei Tage nachdem die Zentralbank ihren Leitzins um 200 Basispunkte auf 19% angehoben hatte, und ernannte Sahap Kavcioglu zum Nachfolger von Agbal. Sahap Kavcioglu hatte zuvor erklärt, dass Zinserhöhungen zur Inflation beitragen würden.

Zinserhöhungen der Zentralbank werden gewöhnlich als ein geldpolitisches Instrument zur Bekämpfung von Inflation gesehen, nicht umgekehrt, wie es der von Präsident Recep Tayyip Erdogan nun eingesetzte neue Gouverneur der Zentralbank behauptet.

„Agbal unmittelbar nach einer Zinserhöhung und nach nur vier Monaten an seinem Arbeitsplatz zu ersetzen – der vierte Gouverneurwechsel in weniger als zwei Jahren – ist für die Finanzierung türkischer Banken kreditnegativ“, kommentiert dazu Moody’s. Der Schritt schade dem Vertrauen der Anleger und schränke den Zugang der Banken zu Marktfinanzierungen ein. Am 22. März 2021 fiel die türkische Lira von 7,22 TYR am 19. März stark auf rund 7,80 TYR pro US-Dollar, und die Istanbuler Börse fiel um etwa 10%.

Die Zinserhöhung um 200 Basispunkte, die zu Agbals plötzlichem Ersatz führte, war eine von mehreren positiven geldpolitischen Entwicklungen seit seiner Ernennung zum Zentralbankchef im November 2020, als er die Aufgabe hatte, die Inflation von 15,6% zu bekämpfen, die Glaubwürdigkeit der Zentralbank wiederherzustellen und das ausufernde Kreditwachstum im letzten Jahr von 35% zu mäßigen.

Vor Agbals Amtszeit bei der Zentralbank führten nach Feststellung von Moody’s eine übermäßig lockere Geldpolitik und ein aggressives Kreditwachstum im Einklang mit der Präsidentschaftspolitik dazu, dass die Lira auf Rekordtiefs abwertete und den Marktzugang für türkische Banken einschränkte.

Umgekehrt stärkte die geldpolitische Straffung um 875 Basispunkte seit November 2020 die Lira um rund 18%. Dies verhalf den Banken zu Beginn dieses Jahres zu einem mittelfristigen und nachrangigen Marktzugang, der seit Beginn der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr nicht mehr verfügbar war.

„Ohne die Glaubwürdigkeit der Zentralbank dürfte der Marktzugang wieder teurer und auf kurzfristige Syndizierungen beschränkt sein. Eine schwächelnde Währung und eine hohe Inflation werden das Vertrauen der inländischen Einleger weiter untergraben“, schreiben die Analysten von Moody’s.

Die bereits hohe Dollarisierung der Einlagen (in US-Dollar gehaltenen Einlagen) von 54% der gesamten Einlagen seit Februar 2021 wird weiter zunehmen, sieht Moody’s voraus. Letztendlich werde die Lira-Abwertung die Zuflüsse aus Portfolios und in Investitionen dämpfen und das Risiko-Szenario für Kapitalkontrollen erhöhen, die sich aus der Regierungspolitik ergeben. Diese Risiken sieht Moody’s durch die Tatsache etwas gemindert, dass türkische Banken über eine ausreichende Fremdwährungsliquidität verfügen und seit der Währungskrise 2018 im Allgemeinen weniger auf Marktfinanzierung angewiesen sind, wie aus der Verbesserung des Kredit-Einlagen-Verhältnisses des Bankensystems auf 108% im Jahr 2020 hervorgehe.

Die türkischen Banken sind jedoch nach wie vor auf Marktfinanzierung angewiesen, warnt Moody’s. Die Marktfinanzierung der großen Banken lag im Dezember 2020 zwischen 15 und 32% des Sachvermögens und ist daher einem Schock des Anlegervertrauens ausgesetzt.

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